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Übernehmen nach Auflösung der zwei 1860-Ultragruppen rechte Fans die Macht in der Kurve?

VICE Sports sprach mit der Initiative „Löwenfans gegen Rechts" über in die Kurve drängende rechte Fans, die wichtige Rolle der Ultras und eine Zusammenarbeit mit der Bayern-Ultragruppe Schickeria.
Foto: imago

Mit der Cosa Nostra und den Giasinga Buam lösten sich in den letzten Wochen die beiden großen Ultragruppen des TSV 1860 München auf. Die 2001 gegründete Cosa Nostra, die seit Jahren mit dem Einstieg des jordanischen Investors Hasan Ismaik haderte, erklärte ihre Auflösung in einem kurzen Statement, ohne wirklich Gründe dafür zu nennen. Die Giasinga Buam sahen sich zu diesem Schritt gezwungen, nachdem zwei ihrer Zaunfahnen—scheinbar von Fans des Stadtrivalen Bayern München—geklaut worden waren.

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Da beide Gruppen so kurz vor der neuen Zweitliga-Saison ein Vakuum in der Kurve hinterlassen, fragt sich die Fanszene, wer in der ohnehin schon unbeliebten Arena für Stimmung sorgen soll. Dahinter steckt auch eine besondere Brisanz, da in den letzten Jahren immer wieder rechtsextreme Fans und Gruppen besonders bei Abwesenheit der Ultras versucht haben, sich die Stimmungshoheit in der 1860-Kurve unter den Nagel zu reißen. VICE Sports sprach mit der Initiative „Löwenfans gegen Rechts" über in die Kurve drängende rechte Fans, die wichtige Rolle der Ultras und eine Zusammenarbeit mit der Bayern-Ultragruppe Schickeria.

VICE Sports: Beide großen Ultragruppen haben sich aufgelöst und hinterlassen ein Vakuum. Ist die Gefahr nun da, dass rechtsextreme Fans ihre Chance wittern und in die Kurve drängen?
Löwenfans gegen Rechts: Wir können der Szene wohl soweit vertrauen, dass sich keine organisierte rechte Gruppe als tonangebend etablieren wird. Die Leute der Gruppen sind ja zum großen Teil auch weiterhin in der Kurve. Und da kein organisierter Support mehr stattfinden wird, kann man sich auch besser um das Naziproblem kümmern… Aber im Laufe der Hinrunde wird es sich zeigen, wie es sich entwickelt.

Wer könnte nun die Stimmungshoheit in der 1860-Fanszene übernehmen?
Da ließe sich nur spekulieren. Ob eine der noch bestehenden kleineren Gruppen diese Aufgabe wahrnehmen wird, kann man—Stand jetzt—noch nicht sagen. Wie es mit dem organisierten Support in der Arena weitergeht, wird sich im Laufe der Saison zeigen.

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2012 gab es zahlreiche Medienberichte über ein Erstarken rechter Gruppen wie den „Outsiders" im Fanblock. Wie hat sich die Lage in der Fanszene bei 1860 entwickelt?
Die „Outsiders" sind als Gruppierung schon seit einigen Saisons verschwunden. Auch ihre Zaunfahne hängt nicht mehr im Stadion. Die Fans selbst sind allerdings immer noch da. Einzelne, teils auch prominente, Neonazi-Aktivisten und Aktivistinnen sind weiterhin über die Kurve verteilt vor Ort. Die sind derzeit allerdings wenig organisiert. Mit der „Brigade Giasing" ist vor einiger Zeit eine neue Gruppierung um die Neonazi-Aktivistin Petra K. entstanden, in der sich Nazis und gewaltbereite Fans zusammenfinden. Im Stadion fallen die kaum auf. Auf und im Umfeld von Demos—vor allem Pegida oder der III. Weg—sind manche von denen aber sehr aktiv. Bei besonderen Spielen, wie zum Beispiel dem Amaderby (Amateurderby, d.h. Bayern II gegen 1860 II, Anm. d. Red.), sind immer viele Nazis und Nazi-Hools zu sehen.

Kam es in der letzten Saison zu rechtsmotivierten Vorkommnissen bei Heim- oder Auswärtsspielen?
Regelmäßig fallen bei Heimspielen einzelne Personen oder kleinere Gruppen von Personen mit Tätowierungen und/oder Kleidung auf, die dem rechten Spektrum zugeordnet werden können. Man hört vereinzelt diskriminierende Rufe und Pöbeleien und sieht hin und wieder auch Hitlergrüße. Außerdem kommt es sehr vereinzelt zu Vorkommnissen bei Auswärtsspielen mit organisierten Neonazis aus Nord- und Ostbayern, die sonst nicht in Erscheinung treten. Auch bei den letzten Amaderbys wurden Fans, die sich gegen Diskriminierung einsetzen, von Nazi-Hools bedroht. Ein weiterer Vorfall war der Diebstahl der Lfgr-Zaunfahne während eines Arenaspiels in der vorletzten Saison.

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Foto: Löwenfans gegen Rechts

Was geschah bei dem Diebstahl eurer Zaunfahne?
Die Fahne wurde in einem Moment der Unachtsamkeit von vermummten Personen vom Zaun genommen. Später tauchten Fotos von vermummten Personen, die die Fahne verkehrt herum hielten, in den sozialen Medien auf. Die nachfolgenden Solidaritätsbekundungen aus der Fanszene haben uns aber sehr gefreut! Unter anderem gab es auch ein Solishirt mit dem Aufdruck „Wir sind alle Löwenfans gegen Rechts".

Wie kann man bei Vorfällen im Stadion am besten reagieren?
Als Einzelner sollte man sich wohl um Hilfe beim Ordnungsdienst bemühen. Die Fanszene selbst muss bei solchen Vorfällen zusammen gegen die Nazis stehen, was sie schon auch meist tut. Im Nachhinein gilt es, solche Vorfälle vor allem in Zusammenarbeit mit dem Verein aufzuarbeiten.

Fanprojekt und 1860-Fans sprachen immer davon, wie wichtig die Ultras wie die „Cosa Nostra" oder „Giasinga Buam" seien, damit rechte Fans nicht die Macht in der Kurve erlangen. Wie wichtig waren die Ultras im Kampf gegen rechte Fans?
Sehr wichtig. Wichtig ist vor allem die Nachwuchsarbeit der Ultras. Also dass unter den nachrückenden jungen Fans von vornherein gewisse Werte vermittelt werden. Hier spielen die Ultras als Vorbilder und natürlich auch als Vorsänger eine große Rolle. Ein anderes Beispiel ist aus dem Jahr 2011, als sich die Cosa Nostra wegen des Investoreneinstiegs zurückgezogen hatte. Hier wurde die Organisation der Kurve bewusst den jüngeren Giasinga Buam übergeben, um zu verhindern, dass sich die „Outsiders" hinter dem Tor breitmachen.

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Was für Aktionen habe sie gegen Rassismus unternommen?
Es gab in der Vergangenheit immer wieder Spruchbänder; auch im Rahmen der FARE-Aktionswochen haben wir mit Ultras schon gemeinsam Banner für die Arena gemalt. Dann setzen die Ultras natürlich auch im Stadion wichtige Zeichen, wenn sie in der Kurve darauf achten, dass diskriminierende Gesänge und Parolen unterbleiben, oder wenn sie ganz einfach auch aufstrebende Bewegungen von rechtsoffenen Fans unterbinden.

READ MORE: Wann entlässt Hasan Ismaik 1860 München aus seiner Geiselhaft?

Gilt die Fankurve von 1860 als rechts, unpolitisch oder wie beim FC Bayern als links gefärbt?
Als links gilt sie sicherlich nicht. Viele sehen sich wohl als „unpolitisch", was auch immer das sein soll; das wird bei den „normalen" Kurvengängern auch selten thematisiert. So einfach ist das auch nicht abzutrennen. Bei den Roten engagiert sich halt die größte Ultra-Gruppierung deutlich antifaschistisch, aber sonst? Da gibt es auch genügend Fangruppen, die alles andere als links sind…

Wäre eine Zusammenarbeit mit der Schickeria nicht sogar ein wichtiges Zeichen?
Es wäre sicherlich ein wichtiges Zeichen, gerade um zu zeigen, dass antirassistische Werte wichtiger sind als die Auseinandersetzung zwischen Fußballfans. Sicherlich gibt es auch vereinzelt Kontakte zwischen uns, gerade im Zuge überregionaler Bündnisse wie „!NieWieder" oder früher auch bei B.A.F.F. (Anm. d. Red.: Bündnis aktiver Fußballfans). Eine konkrete Zusammenarbeit können wir uns derzeit allerdings—auch angesichts der jüngsten Ereignisse—kaum vorstellen.

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Immer wieder hört man von Fans, dass die Abneigung gegen Investor Ismaik auch in fremdenfeindliche Parolen übergeht. Wie kann man dagegen ankämpfen?
Vor allem im Internet ist immer wieder vom „Kameltreiber" o.Ä. zu lesen. Dagegen anzugehen, ist schwierig, da die Abneigung gegen Ismaik sich durch die ganze Fanszene zieht. Es bleibt eigentlich nur, wie immer, rassistische Beleidigungen direkt anzusprechen und darauf aufmerksam zu machen…

Wie versucht eure Initiative ansonsten, rechte Parolen oder Vorkommnisse zu bekämpfen?
Wir schauen genau hin, sind bei Demos vor Ort, informieren Verantwortliche im Verein und natürlich auch Fans. Wir machen den Ordnungsdienst aufmerksam, wenn wir Symbole und Zeichen entdecken, die nach der Stadionordnung unerwünscht sind. Ende letzten Jahres haben wir auch eine Schulung des Ordnungsdienstes in die Wege geleitet bzw. dabei inhaltlich beraten. Außerdem stellen wir Kontakt zur Politik her und arbeiten mit der „Fachstelle für Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit" zusammen.

Was tut der Verein 1860 München?
Eine wichtige Aktion war 2008 die Ergänzung der Stadionordnung. Seitdem sind viele Symbole und Kleidungsstücke, die gerne von Nazis getragen werden, verboten. Mit unserer Unterstützung und mit Hilfe des Fanprojekts wurde dazu vor drei Jahren eine Neuauflage des Stadionflyers herausgebracht und verteilt. Außerdem wurden Schulungen für den Ordnungsdienst durchgeführt. Mitgliedsanträge von Neonazis wurden abgewiesen bzw. rechtsextreme Mitglieder ausgeschlossen. Öffentlich hat sich der TSV 1860 zudem schon relativ deutlich von Rechtsextremismus distanziert. Geschehen ist dies vor allem durch Bandenwerbung gegen Rassismus oder Videobotschaften auf der Leinwand in der Arena. Auch die Mannschaft kam schon mit einem entsprechenden Banner in die Kurve, wie man es ja auch schon von anderen Vereinen kennt.

Was sollte der Klub eurer Meinung nach zusätzlich tun?
Symbolische Aktionen, wie die Werbebanden gegen Rassismus, sind wichtig, um sich grundsätzlich zu positionieren und vor allem den „normalen" Fans zu zeigen, wo der Verein steht. Neonazis lassen sich hiervon allerdings nicht abschrecken, ein Spiel zu besuchen. Wir würden uns hier eine noch konsequentere Vorgehensweise gegen rechtsextreme Fans und gegen Diskriminierung sowie eine stärkere Positionierung wünschen. Dazu haben wir kürzlich eine lange Liste an Vorschlägen für Aktionen oder Kampagnen erstellt und den Verantwortlichen beim TSV vorgelegt. Dazu gehören zum Beispiel eine Flyeraktion für mehr Zivilcourage ("LöwInnen, reißt das Maul auf!"), Statements der Spieler—Heimteam und Gäste—vor dem Spiel, eine Podiumsdiskussion mit dem Fanprojekt oder Fanartikel gegen Rassismus. Wir sind zuversichtlich, dass in der kommenden Saison unter dem neuen Geschäftsführer einige unserer Vorschläge umgesetzt werden.

Was werdet ihr als Initiative in Zukunft tun?
Was wir immer tun: Wir setzen uns gegen Rassismus, Rechtsextremismus und jegliche Art der Diskriminierung im Stadion beziehungsweise der Fanszene von 1860 ein. Wir wollen den Verein und auch die Fans auf Problematiken aufmerksam machen, informieren und sensibilisieren. Unser Ziel ist eine Fankurve, in der sich alle—unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Religion oder sexuelle Orientierung—wohlfühlen.

Das Interview führte Benedikt Niessen, folgt ihm bei Twitter: @BeneNie