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Frage des Tages - Fühlst du dich arm?

Du hast keine Penunzen in der Tasche?! Mach dir nichts draus. Dem bemitleidenswerten Penner mit dem alten iPhone 3GS geht es noch dreckiger als dir.

Deine Freunde sind schon wieder in New York, aber du kommst nur bis nach Mailand? Du hättest gerne die neue Xbox, aber die Drogen für das nächste Wochenende wollen schließlich auch bezahlt werden? Du hast keinen Bock mehr auf das Billigbier? Das 50% reduzierte Sushi schmeckt dir auch nicht mehr? Kurz gesagt: Keine Penunzen in der Tasche?! Mach dir nichts draus. Dem bemitleidenswerten Penner mit dem iPhone 3GS geht es noch dreckiger als dir—und vielleicht noch den Menschen in Afrika. Ach ja, Afrika … Scheiße. Da darf man ja vernunftsmäßig natürlich eigentlich gar nicht ankommen, mit seinen Übelkeit erregenden First World Problems. Aber das Herz! Das macht, was es will. Und, sei mal ehrlich, das Herz fühlt sich ganz schrecklich minderbemittelt, oder?

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Mordi VICE: Bist du ein armer Schlucker?
Mordi: Ja! Warum denn?
Mein Gehalt ist sehr niedrig. Als was arbeitest du denn?
Ich arbeite im Moment gar nicht. Aber ich lebe auch nicht in Berlin. Ich komme aus Jerusalem. Ich bin hier als Tourist. Ja, wovon lebst du dann?
Ich hab noch recht viel übrig aus der Zeit, in der ich gearbeitet hab. Aber wenn du dir das Reisen leisten kannst, dann bist du doch nicht arm.
Ja doch, weil ich mir hier keine normale Wohnung leisten kann.

Du fühlst dich arm, weil du dir für deinen Urlaub keine Zweitwohnung in Berlin leisten kannst?
Na ja, das ist meine erste große Reise, da will ich mir mal was gönnen. OK, vielleicht kann ich mich nicht wirklich als arm bezeichnen … Aber die Deutschen finden sich auch zu Unrecht arm. Arm sein bedeutet in Israel, dass man kein Essen hat, nicht, dass man nicht auf irgendwelche fancy Partys gehen kann. Du bist doch auch nicht besser. Obwohl du kein Deutscher bist.
Ja, da hast du wohl recht … André VICE: Fühlst du dich manchmal arm?
André: Ja voll! Wenn mal das Geld knapp ist, dann ist man arm. Worauf verzichtest du, wenn du mal nicht so flüssig bist?
Dann muss man mal weniger weggehen. Und weniger trinken. Ja, das ist schon hart … Oder vielleicht stattdessen einfach Sternburg oder anderes Billigbier trinken?
Nee, komm! Wer will das denn?
Ich, wenn ich kein Geld habe! Wohnst du hier in Berlin?
Ja. Findest du, es ist eine arme Stadt?
Nee, ich finde, das ist überhaupt nicht so, wie alle sagen, dieses „arm und sexy“, das stimmt nicht. Man kann hier mit wenig Geld gut leben. Versteh ich nicht, aber dann stimmt das doch. Man kann hier mit wenig Geld leben, weil die Stadt arm ist.
Hm … Jedenfalls kann man hier viel besser als in andern Städten mit wenig Geld über die Runden kommen. Es sei denn, man will ausgehen. Dann wird man zur Unterschicht.
Man kann noch immer rumhängen. In Berlin kann man gut rumhängen und das kostet nichts. OK. Und was gönnst du dir mal, wenn du gerade Geld hast?
Gut essen gehen, verreisen … Das klingt alles wirklich nicht, als wärst du arm.
Ich fühle mich aber so!
 
Bist du knapp bei Kasse?
Als Musiker und Journalist: Ja. Woran machst du das fest?
Dass ich dieses Jahr nicht in den Urlaub fahren kann. Also bitte. Das ist doch wirklich ein Luxusproblem. Gibt es in Deutschland auch wirklich arme Leute und nicht nur welche, die sich keinen Flug in die Karibik leisten können?
Ja sicher, die ganzen Alkoholiker und Obdachlosen und so weiter. Im LSD-Viertel die Jugendlichen … Die Leute, die in den Mülleimern herumwühlen, seit das Flaschenpfand eingeführt wurde. Das finde ich schon ziemlich widerlich. Wenn du zum Beispiel in der Bahn fährst, dann fasst du ja auch alles an, was die vorher angefasst haben und die hatten ihre Hände eben noch in einer Mülltonne, das ist schon irgendwie eklig. Was? Und obwohl du so etwas hier täglich siehst, fühlst du dich arm?
Ja, weil ich einfach einen andern Standard habe. Pfandflaschensammeln ist unter deinem Niveau, ich verstehe. Du hast da den LIDL-Prospekt in der Hand. Ist das, weil du arm bist?
Na ja, schon. Ich schaue mir die Preise an und vergleiche. Ja, das ist wirklich ein elendes Leben.
Aber vielleicht sind die Zeiten ja bald vorbei. Ich werde nächsten Monat nämlich einen Song mit Steve Bronski von Bronski Beat aufnehmen. Ernsthaft?
Ja! Vielleicht wird das ein Hit und ich endlich reich. Nie wieder Preise vergleichen! Ori und Urschi Braucht ihr mehr Geld?
Urschi: Ja! Wir haben gerade all unser Geld für Zeichenblöcke ausgegeben. Wir sind gestern aus Budapest angekommen und ziemlich pleite. Ihr seid erst seit gestern da und schon pleite?
Ori: Nein, nicht wirklich. Wir haben einfach nur zu viel für dieses ganze Kunstzeug ausgegeben.
 
Ihr seid Künstler?
Ori: Ja, so etwas in der Art. Wir studieren Architektur und Kunst. Ha! Also habt ihr euch für die brotlose Kunst entschieden.
Urschi: Nee, ich nicht. Eigentlich habe ich vor, hierher zu kommen und in Berlin fertig zu studieren, weil ich denke, dass ich hier als Architektin viel mehr verdienen kann als in Ungarn. Dort nehmen die Leute das nicht wirklich ernst. Die denken: Warum soll ich jemanden dafür bezahlen, dass er irgendwelche Skizzen malt? Aber hier kriege ich hoffentlich einen gut bezahlten Job. Seid ihr zum ersten Mal in Deutschland?
Urschi: Ich nicht.
Ori: Ich schon.

Und was sagt ihr, gibt es hier viel Armut?
Ori: Was für Armut?
Urschi: Nein. Gar nicht. Das hier, das ist Utopia für mich. Alle lächeln und sind fröhlich. Ich habe hier noch keine armen Menschen gesehen. Aber die meisten Leute, die ich heute gefragt habe, fanden sich ziemlich arm.
Ori: Wer soll das denn sein? Zeig mir mal, wer hier arm sein soll? Zum Beispiel die Alkis da drüben im Park. Könnte auch sein, dass die obdachlos sind. Ich weiß nicht.
Ori: Hm. Na gut. Die wären mir jetzt nicht aufgefallen. Die Leute, die in Ungarn auf der Straße leben, sehen anders aus. Aber das kann man sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie die so leben … Aber die da drüben sehen doch so aus, als würden die jeden Tag was zu essen kriegen.
Urschi: Ach, die Leute hier wissen ihren Lebensstandard gar nicht zu schätzen. Das habe ich auch so in Spanien erlebt. Ich war da vor ein paar Jahren mal und da hörte ich auch alle rumjammern, wie schlecht alles ist und wie arm alle sind. Aber ich habe keine Leute gesehen, die mir als obdachlos oder arm aufgefallen wären. So sehen in Ungarn teilweise halt die normalen Leute aus.
Ori: Also, aus unserer Perspektive sind hier alle reicher und glücklicher als wir.

Jana und Hannes VICE: Fühlt ihr euch arm?
Hannes: Boah, schwierige Frage!
Jana: Emotional? Nee, kein-Geld-arm.
Hannes: Ach so! Dann nicht. Nö.
Jana: Ich auch nicht.
 
Also, ihr bildet da heute wirklich die Ausnahme. Was meint ihr denn, warum sich so viele Leute arm fühlen?
Jana: Die haben einfach zu hohe Ansprüche. Die wollen sich mehr leisten können, als sie eigentlich brauchen. Aber was heißt denn schon „brauchen“?
Hannes: Das wird den Leuten durch die Werbung eingetrichtert, was sie angeblich brauchen. Aber meint ihr, die sollten dann einfach versuchen, mehr Geld zu verdienen, damit sie sich die Sachen leisten können, und endlich aufhören zu jammern oder sollten die eher den Gedanken ablegen, dass das überhaupt der Standard ist?
Jana: Ja, sollen sie mehr arbeiten. Aber ich bin auch zu arm, um mir ein neues Auto zu kaufen, und mir ist das egal. Aber du hast ein iPhone.
Hannes: Das ist meins. Ist ein iPhone mittlerweile die Standardausstattung, wenn es um Handys geht, oder ist das noch für reiche Leute?
Hannes: Hm …  Ich finde ein internetfähiges Handy ist schon notwendig.
Jana: Nein, iPhones sind für reiche Leute. Gab es denn jemals eine Phase in eurem Leben, in der ihr euch arm gefühlt habt?
Jana: Nee, ich bin eigentlich immer recht zufrieden gewesen. Ganz ohne iPhone?
Ja, ganz ohne iPhone. Du bist wirklich sehr genügsam.