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Amerika darf nicht Österreich werden, oder: Ein offener Brief an die USA

Liebes Amerika, das hier ist eine Intervention. Bitte werde nicht wie wir.
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Liebes Amerika,

Wir haben uns bis her nur aus der Ferne kennengelernt und unsere Beziehung war dabei sehr einseitig: Du hast mich an verregneten Katersonntagen mit Filmen beschenkt, die mir das Land der unbegrenzten Möglichkeiten quasi ins Wohnzimmer trugen. Ich konnte mit all den Möglichkeiten dennoch wenig anfangen, weil ich am Vorabend viel zu lange zu deiner Musik getanzt habe und Alkohol in Österreich ungefähr die gleiche Bedeutung hat wie Freiheit in Amerika.

Ich will dir jetzt aber dennoch etwas zurückgeben. In Form eines kurzen Zwischenrufs. Ich will kurz rufen "Heast, woat amoi!" und dich fragen "Oida, bist du wo aungrennt?". Das ist auch gar nicht böse gemeint. Im Gegenteil. Es geht um unsere Beziehung—und darum, wie sie sich in Zukunft entwickelt.

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Bis jetzt warst du nämlich immer die gescheitere große Schwester. Die, zu der jeder verstohlen aufschaut. Das beliebteste Mädchen an der Schule, das gleichzeitig und genau deshalb auch bei einigen das unbeliebteste ist, das sich aber weder von Hass noch Liebe zu viel irritieren und von niemandem um den Finger wickeln lässt. Die, die Unsicherheit genauso gut überspielen kann wie ihre Schwachstellen. Die, der die Eltern selbst den größten Fehltritt verzeihen.

Aber seit einiger Zeit enttäuscht du mich. Ja es wirkt fast so, als wärst du in einer Art Midlife-Crisis angekommen, in der du plötzlich alles hinschmeißt. Und als Vorbild scheinst du dir dafür ausgerechnet Österreich ausgesucht zu haben.

Zum Beispiel, wenn bei dir jetzt auch "Lügenpresse" gerufen wird. Oder wenn auch deine Präsidentschaftskandidaten statt mit Argumenten lieber mit Drogentest-Aufforderungen um sich werfen. Oder wenn einer der Kandidaten jetzt auch bei dir ankündigt, das Ergebnis vielleicht nicht anzuerkennen, falls nicht er gewinnt. Oder wenn "Türen mit Seitenteilen" von Heute auf Morgen alle Problem lösen sollen. Lass mich dir kurz erklären, warum das falsch ist.

It's not punk, it's junk

Du hast sehr viele gute eigene Journalistinnen und Journalisten. Das weiß und schätze ich. Manchmal solltest aber auch du auf die hören, die von woanders aus zuschauen. Zum Beispiel auf Sylvie Kaufmann, die im Mai einen wunderbaren Satz in einem Artikel für die New York Times schrieb: "Austria is not new Europe. It is old Europe."

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Diese simple Feststellung beinhaltet sehr viel Wahrheit. So ist das Nationalismus-Populismus-Gemisch, das bei uns von Norbert Hofer und bei dir von Donald Trump verkörpert wird, nichts Neues. Das gab es in Europa schon einmal. Und damals hat es in einer Katastrophe geendet, in die sich schließlich auch dein Präsident Woodrow Wilson mit den Worten "Recht ist kostbarer als Frieden" eingemischt hat.

Wenn heute Hofer und Trump unter dem Deckmantel des Anti-Establishments wieder auf Nationalismus und Destabilisierung setzen, wenn sie Angst und Wut schüren, dann ist das für uns alle alarmierend und bedrohlich. Sollte also das nächste Mal jemand Trump ein Punk-Rocker-Image bescheinigen, antworte ihm doch bitte: "It's not punk, it's junk."

Life is hard and drugs are fun

Foto: Alexander king | flickr | CC BY 2.0

Der Bürgermeister von Wien, Michael Häupl, hat zwei kluge Dinge gesagt: 1. "Man bringe den Spritzwein!" und 2. "Wahlkampf ist Zeit fokussierter Unintelligenz". (OK, Häupl noch ein paar mehr kluge Dinge gesagt, aber hier geht es um diese zwei.)

Fasst man die beiden Zitate in eines zusammen, liest sich das (frei interpretiert) so: "Wahlkampf ist Zeit fokussierter Unintelligenz, also bringe man mir den Spritzwein!" Das kann man jetzt entweder so interpretieren, dass man Wahlkampf ohne Drogen nicht aushält, oder aber, dass man Wahlkampf ohne Drogen gar nicht führen kann.

Dass Alkohol und Wahlkampf zusammengehören, zeigt sich auch in anderer Form: Alkohol ist in Österreich genau wie Wählen schon ab 16 erlaubt (in Wien beinhaltet das auch harten Alkohol). Das ist wahrscheinlich kein Zufall. Denn bei Wahlkampfveranstaltungen bekommt das Freibier immer noch den meisten Applaus. Gleichzeitig ist es aber nicht so lange her, dass Alkohol an Wahltagen explizit verboten war.

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Alkohol ist für uns aber ohnehin nicht so wirklich eine Droge. Ansonsten wäre es strategisch auch sinnvoller, die gegnerische Partei zu einem Alkotest aufzufordern. Weil da statistisch gesehen dann aber auch kaum noch Politikerinnen und Politiker der eigenen Partei übrig blieben, wirft man bei uns lieber mit Koksvorwürfen um sich. Tatsächlich ist man bei uns auch einiges an Nonsens gewöhnt, wenn es um politische Schlammschlachten geht. Dass das bei dir jetzt auch passiert, hat mich dann doch überrascht, wo ich deine Diskussionskultur doch sonst immer sehr geschätzt habe.

It's not critizism, it's nazism

Foto: opposition24.de | flickr | CC BY-SA 2.0

Das Wort "Lügenpresse" lässt sich zwar schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum nachweisen. Als Begriff, mit dem man vermeintliche "Kritik" an den "Systemmedien" zum Ausdruck bringen wollte, wurde er aber erst von den Nazis gebraucht. So schrieb der Chefideologe der NSDAP, Alfred Rosenberg, 1921 im Völkischen Beobachter von der organisierten "Lügenpresse der Regierungsparteien".

Dass der Begriff jetzt gerade im xenophoben, rassistischen und antisemitischen Umfeld in Österreich und Deutschland eine Renaissance erlebt, ist also nicht weiter verwunderlich. Umso erstaunlicher ist es aber, das nun Anhänger von Donald Trump diesen Begriff für sich entdecken, wo doch gerade das rechtsextreme Umfeld in Österreich und Deutschland von einem starken Antiamerikanismus geprägt ist. Liebes Amerika: Richte diesen Menschen doch bitte von mir aus, dass sie die beste Medienlandschaft der Welt genießen. Und wenn wir schon dabei sind auch gleich, dass man nicht "Lugenpresse" sondern "Lügenpresse" sagt.

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It's not called coup, it's called challenging an election

Foto: Anton-kurt | Wikipedia | CC BY-SA 4.0

Vergangenen Donnerstag versuchte Donald Trump, seine Drohung ein bisschen genauer zu erklären, dass er das Wahlergebnis anfechten könnte, wenn er den Verdacht hätte, es sei etwas "manipuliert" worden. Dabei habe wohl nicht nur ich mich an Norbert Hofer und die FPÖ erinnert gefühlt. Konkret erläuterte Trump seine Aussage mit den Worten: "Ich behalte mir das Recht vor, ein fragliches Ergebnis anzufechten, oder eine Klage einzubringen."

Dass eine Wahl, die nicht rechtskonform abgehalten wurde, angefochten werden kann, ist gut und wichtig. Das wissen wir glaube ich beide. Und tatsächlich kamen in Österreich durch die Anfechtung der Bundespräsidentschaftswahl Zustände ans Licht, die völlig inakzeptabel waren und die es nach wie vor sind. Insofern müssen wir auch das Urteil des Verfassungsgerichtshofs, dass die Wahl wiederholt werden muss, akzeptieren. Auch wenn der Entscheid umstritten ist.

Dass aber schon im Vorfeld mit einer Wahlanfechtung spekuliert wird, ist demokratiepolitisch zumindest fragwürdig. Denn es bedeutet entweder, dass in einem Land zu einem bestimmten Zeitpunkt das rechtskonforme Abhalten einer demokratischen Wahl schon im Vorfeld aus Gründen bezweifelt werden kann (was automatisch weitere Fragen aufwirft).

Oder aber es bedeutet, dass sich ein Kandidat mit der Vorstellung in eine Wahl geht, dass er eine demokratische Niederlage sowieso nicht akzeptieren will—und auch nicht muss. In letzterem Fall kann man wohl von einem mangelnden Demokratieverständnis des Kandidaten ausgehen. Andererseits: Schön, dass solche Aussagen bei dir zumindest einen größeren Aufschrei auslösen als bei uns.

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It's called liberation, not imitation

Befreiung des KZ-Mauthausen. Foto: Cpl Donal R. Ornitz, US Army | Wikipedia | Public Domain

Persönlich kennen wir uns zwar nicht, historisch betrachtet ist unsere Beziehung aber seit vielen Jahren intensiv und alles andere als einseitig. Das hat vor allem mit der Befreiung vom Faschismus zu tun.

Heute ist dir ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung sehr dankbar für diese Befreiung. Und auch dafür, dass du uns trotz unserer Mitschuld an den nicht wieder gutmachbaren Verbrechen nicht im Stich gelassen hast. Lass dich bitte nicht von anders lautenden Aussagen und Indizien irritieren.

Lass dich aber bitte auch nicht von Menschen verführen, die vor 75 Jahren anders gehandelt hätten als es Roosevelt und Truman getan haben. Viele von uns haben aus der Geschichte gelernt. Versuch jetzt bitte nicht den Rest von uns zu imitieren, der sich an Wahlkampfsprüchen à la "Make Austria Great Again" ergötzen würde.

Du siehst, liebes Amerika, wir haben gerade mehr gemein, als uns beiden vielleicht lieb ist. Versteh diesen Gedankenanstoß bitte als gut gemeinten Ratschlag von einem Freund. Verstehe diesen Brief als Intervention. Weil ich dich mag und dich irgendwann gerne noch besser kennenlernen würde—und zwar ohne, dass ich mich dabei politisch an Österreich erinnert fühle.

Paul auf Twitter: @gewitterland


Titelbild: GDJ | pixabay.com | CC 0 Public Domain