Julian nimmt am härtesten Triathlon der Welt teil – Wir haben probiert mitzutrainieren

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Julian nimmt am härtesten Triathlon der Welt teil – Wir haben probiert mitzutrainieren

Um den Iron Man zu bestehen, müssen Sportler 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer radfahren und danach einen Marathon über 42 Kilometer laufen. Warum tut sich das jemand an?

Allein an diesem Wochenende ist Julian Lange über 40 Kilometer gelaufen und 180 Kilometer radgefahren. Es ist Sonntagabend und er ist bei seinen letzten zehn Kilometern für dieses Wochenende, "lockeres Auslaufen" nennt er das. Der 28-Jährige spürt ein leichtes Ziehen in seinen Waden, starken Muskelkater hat er aber schon lange nicht mehr. Sein Ziel: der Iron Man. Der Rocky Balboa unter den Wettkämpfen. Das heißt: 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer radfahren und danach noch ein Marathon. Julian tritt am 21. August beim Iron Man in Kopenhagen an. Um ihn erfolgreich zu absolvieren, muss er den Wettkampf in unter 15 Stunden und 45 Minuten schaffen.

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Der Profi-Sportler Jan Frodeno hat in der Disziplin gerade den Weltrekord geknackt: 7 Stunden, 35 Minuten und 39 Sekunden. Nach rund zweieinhalb Stunden auf seinen Lippen ein mattes Lächeln, danach die Worte: "Ich bin einfach dankbar, dass ich nicht eingebrochen bin, aber es gab keine andere Wahl, als volles Risiko zu gehen. Die Marke soll ja noch die nächsten zwei, drei Jahre halten." Mit Marke meint er seine Rekordzeit.

Julian wird—wenn alles gut läuft—elf Stunden brauchen. Es ist ein Wettkampf, vor allem gegen sich selbst. Weitermachen, obwohl er erschöpft ist, aber nicht so schnell, dass er zusammenbricht. Um ein Iron Man zu sein, muss alles stimmen: Training, Körper, Ernährung, Zeitplan, Kopf.

"Iron-Man-Pose bitte", sagt unser Fotograf. "Ich bin nicht so der Poser", sagt Julian. Aber es wird dann doch | Fotos: Grey Hutton

"Es stimmt, was viele sagen: Es ist nicht nur ein Sport, es ist auch ein Lifestyle", sagt Julian. Das Lifestyle-Gefühl zeigt sich am Sonntagabend nicht nur an seinem abgestimmten, schwarz-roten Sportoutfit, sondern vor allem an einer Geste: Während er die Spree entlangläuft, grüßt er jeden einzelnen Läufer mit einem Handzeichen. Egal ob trainierter Marathon-Sportler oder joggende 16-Jährige. "Ich finde, das gehört sich einfach so", sagt er. Triathlon-Moral. Zurück grüßt nur jeder Zweite, von Triathleten-Codes scheinen viele Hobby-Jogger nichts zu wissen.

In den letzten zehn Monaten hat Julian insgesamt 360 Stunden trainiert. Auf seinem Laptop: seine Herzfrequenzen während des Trainings der letzten Monate und sein Trainingsplan. Ein Eintrag: "entspannter Halbmarathon mit Karl". Seit vergangenem Oktober ist er 100 Kilometer geschwommen, 4.000 Kilometer radgefahren und 1.200 Kilometer gelaufen—eine Entfernung wie jene zwischen Berlin und Florenz hat er damit rennend zurückgelegt. "Warum machst du das?", frage ich, bevor wir loslaufen. "Hast du überhaupt Bock, so früh Sport zu machen?" - "Ja", sagt er. "Immer."

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Er macht die Sportuhr an seinem Handgelenk an, die mit seinem Laptop und seiner Waage verknüpft ist. Sie zeigt ihm, wie schnell er läuft, wie hoch seine Herzfrequenz ist und in welchem Abschnitt der Strecke er sich gerade befindet. Immer wieder schaut er, in welcher Zeit er den Marathon gerade laufen würde. Die Uhr vergleicht auch das Tempo aller Leute, die mit einem solchen Gerät dieselbe Strecke laufen. Hier am Fluss sind das etwa 150 Menschen. Niemand von ihnen läuft schneller als er.

Die Uhr sagt: Auf dieser Strecke ist Julian der Schnellste

Julian ist stellvertretender Sprecher der SPD. Bereits mit Mitte 20 hat er diesen Job bekommen. Er managt die Pressearbeit der stellvertretenden Parteivorsitzen und ist dabei, wenn die SPD-Führung ihre Strategien bespricht. Er arbeitet Vollzeit, und auch nach Arbeitsende und am Wochenende muss er ständig erreichbar sein. Triathlon und Marathon gelten als Manager-Sportarten. Oft sind es gerade die beruflich erfolgreichen, die sich im Sport ans Limit pushen. Eine Umfrage eines Marathon-Veranstalters ergab: Läufer mit einem Jahreseinkommen von mehr als 500.000 Euro haben schnellere persönliche Bestzeiten. Der durchschnittliche Zeitunterschied zwischen den Zeiten von Gering- und Top-Verdienern lag bei rund 16 Minuten.

Zehntausende Menschen treten jedes Jahr weltweit bei den derzeit 41 Iron-Man-Wettkämpfen an. Manche stürzen, andere kippen während des Wettkampfs um, weil sie nicht genug gegessen haben. Selbst Profis wissen vorher nicht, ob sie ans Ziel kommen werden. Wer unter den Schnellsten ist, qualifiziert sich für den Iron Man Hawaii im September—dem Wimbledon der Triathleten. Aus Deutschland kommen besonders viele: 2015 waren 175 deutsche Sportler auf Hawaii, darunter 13 Profis.

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In Hawaii ist der Iron Man 1978 geboren. Er gilt noch immer als der härteste, auch wegen des heißen Klimas dort. Der Wettkampf hat sich in den letzten Jahrzehnten kommerzialisiert, die Marke Iron Man ist geschützt, die Startgebühr ist gestiegen, Sportler lassen sich sponsern. Für Wettbewerbe wie jenen in Hawaii müssen die Starter mehrere tausend Euro investieren: Flug, Unterkunft, Startgeld. Das alles, um an körperliche Grenzen zu gehen, die andere getrost meiden.

Einen Sonntag auf der Couch, ohne Arbeit oder Leistungssport, gab es für Julian seit einem Jahr nicht mehr, als er sich für den Iron Man in Kopenhagen angemeldet hat. Bis zum Wettkampf heißt für ihn Ruhetag: "Nur Arbeit, kein Sport." Das "nur" betont er ironisch. Einige seiner Freunde halten ihn für ein bisschen bescheuert. Er sagt, sie haben damit ein bisschen Recht.

Zeit zwischen Sport, Arbeit und Schlaf bleibt kaum. Dafür kommt die Iron-Man-Figur

Seinen Trainingsplan bekommt er immer am Anfang der Woche von seinem Trainer per Mail. 20 Stunden Schwimmen, Radfahren oder Laufen sind um seine Arbeitstage herumgestrickt. Es ist wie ein anstrengender Teilzeitjob neben dem Vollzeitjob, freiwillig und unbezahlt.

Morgens um 7 Uhr zwischen Neopren und Reifen. Das Rad ist schon im Auto, für das Training nach der Arbeit

Ein ganz normaler Arbeitstag beginnt um 7 Uhr mit Frühschwimmen an einem See mit Sandstrand im Osten Berlins. Das Wasser ist lauwarm. Julian macht seine Uhr an und taucht ein. Freies Gewässer, Realbedingungen für den Iron Man. "Schwimm einfach mit, ich mach langsam", sagt er zu mir und ich steige ins Wasser. Wir kraulen los. Nach wenigen Sekunden ist er deutlich vor mir, in der Mitte des Sees gebe ich auf. Habe ich wirklich gedacht, ich kann einfach so bei einer Trainingseinheit für den Iron Man mitmachen?

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Hier denke ich noch, ich könnte vielleicht beim Training mithalten

In der Mitte des Sees rufe ich ihm zu: "Mach ruhig weiter, ich warte hier."

Julians Lebenstempo braucht Disziplin—die er auch von anderen erwartet. Unser Fotograf kam an diesem Morgen eine Minute zu spät. Um Punkt 7 fragte Julian, wo er denn bleibe. Verspätungen bringen alles durcheinander. "Planung ist alles", sagt Julian.

Zum Training gehören im besten Fall acht Stunden Schlaf—zu wenig davon und die Leistungsfähigkeit sinkt. Feiern war er deshalb in den vergangenen Monaten nicht mehr. "Du musst nur einmal mit Restalkohol laufen, dann merkst du schnell, dass es einfach nicht geht", sagt Julian. Das Ziel ist ihm wichtiger als das Nachtleben. Er will den Iron Man machen, während er jung ist und wirklich sehen kann, was er aus seinem Körper herausholen kann. "Manche machen den Iron Man dann, wenn die Kinder aus dem Haus sind, mit Ende 40, Anfang 50. Das ist natürlich vollkommen OK, aber ich wollte es jetzt."

Seine Freundin sieht er meistens nur abends, sie gehen zusammen essen. "Viel Zeit ist es nicht, dass stimmt schon", sagt er. Aber sie sei die Erste gewesen, die ihm gesagt hat, dass er den Iron Man versuchen soll. "Wahrscheinlich wollte sie nicht, dass ich mir irgendwann denke: 'Hätte ich es damals nur gemacht.'"

Immer unterwegs, immer draußen

Nach der Arbeit geht es aufs Tempelhofer Feld, radfahren, laufen. Nach dem Versuch, zwei Runden und Julians "erhöhtes Wettkampftempo" mitzulaufen, liege ich hechelnd auf der Wiese. Julian hingegen wechselt die Schuhe in wenigen Sekunden, steigt aufs Rad und fährt los.

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Wenn er den Iron Man in diesem Jahr nicht schafft, kann er es im nächsten Jahr nicht wieder versuchen. Der Bundestagswahlkampf lässt 2017 keinen Platz für einen Trainingsplan. "Beim Triathlon treten Leute manchmal an, weil sie nach viel Bier eine Wette verloren haben", sagt er. "Beim Iron Man ist das anders, dort meldet sich niemand aus einer Schnapslaune heraus an."

"Wenn ich heute jemanden sehe, der zum ersten Mal Sport macht und 15 Minuten durchläuft—dann finde ich das richtig toll", sagt Julian

Er selbst habe langsam angefangen, mit Laufsport. Dann kam der erste Triathlon, und als er die olympische Distanz hingelegt hatte, wollte er versuchen, was noch geht. "Und wenn ich am Ende spazieren gehe, ich will durchs Ziel laufen", sagt er.

Die Startplätze für den Iron Man sind begehrt: Für die Anmeldung zum Iron Man in Frankfurt war Julian schon zu spät dran. "Das ist wie mit Rammstein-Karten. Man muss quasi vorm Computer sitzen und die ganze Zeit auf Aktualisieren drücken, um unter den Ersten zu sein." 550 Euro Anmeldegebühr hat Julian für die Anmeldung in Kopenhagen hingeblättert. Ein halbes Tausend Euro, und ein Jahr harte Arbeit, um am Ziel die Stimme zu hören: "You are an Iron Man".

Dafür lebt er zur Zeit. Danach? "Gute Frage", sagt Julian wieder. Faul auf der Couch liegen jedenfalls nicht. Vielleicht ist zumindest wieder Platz für Rammstein-Konzerte.

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