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#nichtmeingesetz – Warum sich Menschen mit Behinderung bei Twitter aufregen

Das Teilhabegesetz ist durch. Es soll Menschen mit Behinderung ermöglichen, am Gesellschaftsgeschehen teilzuhaben. Politiker feiern sich, Betroffene sind skeptisch bis stinksauer. Die wütendsten Tweets unter #nichtmeingesetz.

Foto: imago | Markus Heine

Der Bundestag hat das Teilhabegesetz verabschiedet.

Das was? Hä? Noch nie was von gehört? Na gut: Ziel des Teilhabegesetzes (nomen est omen): Menschen mit Behinderung sollen teilhaben können—am Arbeitsmarkt, am Nahverkehr, am gesellschaftlichen Leben. Sie sollen aufgrund äußerer Umstände nicht noch zusätzlich "behindert" werden.

Was dich das angeht? Wenn du das Glück hast, keine Behinderung/Benachteiligung (dieses Wort nutzen betroffene Menschen oft) zu haben, erstmal nichts.

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Die Großreform für Menschen mit Behinderung geht am Nicht-Betroffenen vorbei. Auch das ist bezeichnend.

Die Politik feiert sich für die vermeintlichen Errungenschaften, Bundestags-Vizepräsidentin Ulla Schmidt nennt das Gesetz "das größte und wichtigste sozialpolitische Vorhaben" der Koalition.

Betroffene teilen diese Euphorie nicht und machen ihrem Ärger unter #nichtmeingesetz Luft. Allen voran die Bloggerin Julia Probst. Hier erklärt sie die größten "Fails" des Gesetzes und gibt einen ersten Überblick für alle Nicht-Wissenden. (Interessiert dich immer noch nicht? Dann spul mal bis Minute 3:44 vor):

Kritik am #Bundesteilhabegesetz v. @EinAugenschmaus: "Sachbearbeiter entscheidet, ob ich teilhaben darf oder nicht. Das finde ich unmöglich" pic.twitter.com/WhiVitMPMg
— ARD Morgenmagazin (@ardmoma) 1. Dezember 2016

Worum geht es konkret?

Größter Kritikpunkt: das so genannte "Poolen" von Leistungen.

Bestimmte Leitungen sollen nicht mehr individuell, sondern nur für mehrere Betroffene gemeinsam bewilligt werden. In der Praxis kann das bedeuten, dass Menschen im Rollstuhl nicht mehr dann in die Stadt fahren können, wenn sie das wollen—sondern abhängig von anderen Rollstuhlfahrern sind, die, wenn es schlecht läuft, eben gerade nicht mit dem Bulli in die Stadt wollen. Und ähnlich läuft es auch beim Wohnen: Ein Sachbearbeiter wird künftig entscheiden, was den behinderten Menschen zuzumuten ist und was nicht. Konkret hat der Sachbearbeiter dann zum Beispiel die Macht zu entscheiden, ob Betroffene lieber in einer Einrichtung statt in einer eigenen Wohnung leben dürfen.

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Und wer bestimmt den Rahmen des Zumutbaren? #nichtmeinGesetz
— Rollifräuleinelfe (@RolliFraeulein) 1. Dezember 2016

Wie soll das realistisch funktionieren, dass sich Menschen mit #Behinderung unter Umständen Assistenden teilen sollen? #nichtmeingesetz
— Nicole (@NicolesCards) 1. Dezember 2016

#nichtmeingesetz #alleinzuhaus Zwangspoolen salonfähig gemacht? | kobinet-nachrichten https://t.co/qNsZ2NcsLK
— Jens Merkel (@merkeljens1) 18. November 2016

Noch mehr Kritik kommt von Gewerkschaften und Interessensverbänden: Das Gesetz habe einen blinden Fleck, im Beruf würde es auch in Zukunft nicht einfacher für Behinderte werden.

Die Kritik der Betroffenen ist auch eine ganz generelle:

Gesunde Personen machen ein Gesetz für Behinderte… Finde den Fehler #nichtmeingesetz
— Cerebraler Dünnpfiff (@Kartoffelsepp) 1. Dezember 2016

Leute, ganz ehrlich, jemand oder am besten mehere von uns sollte in den Bundestag rein.

Sonst geht das so weiter. Immer.#nichtmeingesetz
— Rollifräuleinelfe (@RolliFraeulein) 1. Dezember 2016

Fazit: Nicht alles ist gut. Der Umkehrschluss darf aber nicht sein, dass alles schlecht ist. Unter #Bundesteilhabegesetz —und auch via #nichtmeingesetz gibt es auch vereinzelt Positiv-Reaktionen.

Gründe hierfür: Betroffene müssen sich nach der Gesetzesverabschiedung nun nicht mehr einer Extra-Prüfung unterziehen, die feststellt, ob sie zum Studium geeignet sind. Es gelten nun (WTF, das galt vorher nicht?) die entsprechende Zugangsbestimmungen, die für alle gelten.

Dass es das Gesetz nun immerhin in verbesserter Form gibt, hat einen Grund, über den wir (gerade auch in diesen Zeiten) alle mal ein bisschen nachdenken sollten:

Bartsch weißt daraufhin, dass sich außerparlamentarische Opposition lohnt. Das Gesetz wurde wegen der Proteste verbessert. #NichtMeinGesetz
— Christiane Link (@Christiane) 1. Dezember 2016