„Die gehn doch all net schaffe“—Ich habe Blockupy mit Frankfurtern verbracht

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„Die gehn doch all net schaffe“—Ich habe Blockupy mit Frankfurtern verbracht

Blockupy war groß, laut und voller Straßenschlachten. Aber Blockupy war auch oft vor allem eines: ziemlich skurril.

Frankfurts sonnigster Tag des Jahres beginnt mit dunklen Wolken. Rauchschwaden färben den Himmel über dem Osten der Stadt schwarz. Die Bilder am Boden gleichen Szenen aus dem Frankfurter Häuserkampf in den 70ern: Streifenwagen und Barrikaden brennen an mehreren Orten in Europas Finanzhauptstadt. Statt deutscher Studenten sind es diesmal italienische Linksradikale, die kurz nach Sonnenaufgang fackeln.

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Die Rauchschwaden ziehen auch entlang der Glasfassaden des 1,3 Milliarden Euro teuren Neubaus, den sich die Europäische Zentralbank (EZB) im Ostend gegönnt hat und heute einweiht. Bank-Chef und Landsmann Mario Draghi soll sehen, dass die italienischen Linksradikalen in ihm und der Geldpolitik der EZB die Schuldigen für das wirtschaftliche Elend in ihrer Heimat sehen.

Als ich im Ostend am Fuß der Zentralbank eintreffe, sind zwei Streifenwagen nur noch lodernde Protest-Kunstwerke, verziert mit Friedensbekundungen und N.W.A.-Zitaten. Rund 200 Demonstranten halten einen Sit-In und tanzen durch die zehn Meter breite Pufferzone, die von der Polizei mit Streuwagen um den Hochsicherheitstrakt EZB gezogen wurde. „Legen Sie Ihre Vermummungen ab und verlassen Sie den gekennzeichneten Bereich", fordert die Polizei. „Machen Sie es doch vor", antworten die Demonstranten.

Blockupy hat Zehntausende weitgehend friedliche Demonstranten aus ganz Europa mobilisiert, die der EZB mit „Widerstand im Herzen des europäischen Krisenregimes" in Form von Demos und Blockaden die Party crashen wollen. Die Stadt hat den Neubau abschotten lassen, als befürchte sie dessen Einweihung und Abriss am selben Tag. 100 Kilometer Zaun und Nato-Draht umspannen das Areal, die Polizei sichert die EZB und potentielle Frankfurter Schlachtfelder mit einer Division.

„Das Gebäude ist ein Symbol für das Beste, was Europa gemeinsam erreichen kann", erzählt Mario Draghi im Inneren der neuen Zentralbank den gerade mal 100 Gästen. Die erwünschte Strahlkraft hat die EZB indes schon am ersten Tag verspielt: Der 185 Meter hohe Elfenbeinturm im ansonsten flachen Ostend weckt mehr Angst als Vertrauen—wie die fast 10.000 Polizisten in Frankfurt. Seit die EZB bekanntgab, keine der drei Frankfurter Tageszeitungen zur Eröffnung einzuladen, wirkt sie noch mehr wie ein Staat im Staate.

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„Die Leute gehn' auf die Gasse, weil die Banken mit Steuergeldern Tipico spielen."

Die Feuerwehr löscht die brennenden Streifenwagen vor Frankfurts neuem Architektur-Gemächt auf dem Ernst-Achilles-Platz, der ausgerechnet nach einem deutschen Brandbekämpfungspionier benannt wurde. Ich frage ein paar Autonome, was sie heute noch vorhaben. Eine Antwort bekomme ich nicht, aber immerhin will mich auch keiner verprügeln—bei HoGeSa und Pegida war das anders. Dafür reißt mir die Hose im Schritt, als ich zum Fotografieren auf einen Betonsockel klettere. Aber Heimgehen ist keine Option.

Genauso wenig für Attac-Aktivist Heinz Klein (66), der trotz Trümmerbruch im Fuß aus Bad Kreuznach gekommen ist, im Rollstuhl sitzt und von einem Freund entlang der lodernden Barrikaden geschoben wird. Eine Griechenland-Fahne hat er an seinem Untersatz befestigt. Am Morgen habe ihm jemand die Reifen seines Autos zerstochen, in dem er mit seinem Freund am Steuer nach Frankfurt gefahren ist. „Waren wohl Anwohner. Dass ich dennoch komme, soll anderen Mut machen, auch gegen die Politik der EZB zu protestieren", hofft Klein.

Weil das Ostend lahmgelegt ist, kommen zur Freude der Organisatoren auf den Achilles-Platz neben Rentnern auch Schüler, deren Unterricht ausfällt. Umut (17) hat allerdings keinen Plan, um was es geht. Kumpel Moses (17) fasst für ihn zusammen, wie das nur Wenigen gelingen würde: „Die Leute gehn' auf die Gasse, weil die Banken mit Steuergeldern Tipico spielen."

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Die Polizei fordert zehnmal auf, die Sicherheitszone zu räumen. Als erneut die Wasserwerfer anrücken, marschieren die Demonstranten vom Ernst-Achilles-Platz in Richtung Frankfurter Innenstadt. Bloß einen Kilometer ist der Tross vom Fuß der EZB durch die Hanauer Landstraße gezogen, da kommt es zum nächsten Zusammenstoß mit der Polizei: Demonstranten drängen in die Uhlandstraße, um dort festgenommene Italiener zu befreien. Schwarzblöckler der Polizei reißen sie zu Boden, preschen mit Schlägen und Tritten in die Menge und lassen Pfefferspray regnen. So geht das im Halbstundentakt bis Mittag. Die Zahl der Demonstranten wächst unterdessen auf mehrere Tausend.

Wenige Meter entfernt wirft ein Halbstarker eine Bierflasche in Richtung Front, ein Blockupy-Aktivist reißt ihn danach fast zu Boden. „Lass die Scheiße, du triffst unsere Leute! Wenn schon, dann ziel auch auf die Bullen", empfiehlt er. Der Halbstarke macht klar: „Wallah, das is' mein Viertel. Du hast hier nix zu melden. Wallah, fass mich nicht an." Der Aktivist dreht ab.

Die Ordnungshüter geben sich erst konfrontativ, dann meldet sich per Lautsprecher eine sanfte Frauenstimme: „Hier spricht die Polizei. Wir nehmen noch die Personalien der festgenommen Personen auf, dann dürfen sie wieder gehen. Ende der Durchsage." Die Menge traut ihr nicht und reagiert auf das Versprechen mit Hohn.

Von ihrem Laden aus blickt Friseurin Tamara Saidi auf die zerstörten Haltestellen und den brennenden Müll rund um die Uhlandstraße und lacht. Angst habe sie keine, erklärt sie und schneidet dem temporär arbeitslosen Schuster von nebenan die Haare. Sie hilft den Demonstranten sogar logistisch: „Sie können bei mir aufs Klo und bekommen Wasser und Masken wegen dem Tränengas. Find' ich cool, was sie machen und wäre mitgelaufen, müsste ich nicht arbeiten."

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Ein junger Mann erfährt vom heutigen Protesttag erst, als er vor der Uhlandstraße mitten drin steht. „Was'n Scheiß, Alter! Jetzt fährt wegen den ganzen Arschfickern hier keine Bahn oder was", flucht er und kickt die Scherben der Haltestelle über den Bahnsteig in meine Richtung. Etwas sachlicher äußert sich eine andere Passantin: „Ei, die gehn doch all net schaffe un zahle net für den Schade. Mir zahle doch die Steuärn!"

Olaf Matthias sieht aus wie die junge Version von Ökonomie-Orakel Hans-Werner Sinn, ist allerdings Kommunist und kein Manager-Versteher. Olaf möchte friedlich demonstrieren, mit Gewalt kann er nichts anfangen. „Die Polizei nimmt das doch als Vorwand, um einzuschreiten", sagt er mir und verteilt weiter DKP-Flugblätter inmitten der pausierenden Demo. Weil mich ein Pärchen in der Menge minutenlang wie besessen anstarrt, entferne ich mich ein wenig.

Bis zur Großdemo auf dem Römerberg liefern sich Militante und Polizei nur kleinere Scharmützel: Eine Gruppe Linker sprintet über die Konstablerwache, einen Trupp Bereitschaftspolizisten im Nacken. Ich ersticke fast am Leberkäs-Brötchen und spurte hinterher. Nach ein paar Metern sehen die Beamten ein, dass sie für die Verfolgung zu schwer sind und lassen ab.

47 Einsätze meldet die Frankfurter Branddirektion bis zum Abend. Im abgelegenen Vorort Heddernheim attackieren Unbekannte mit Farbbeuteln ein Feuerwehrgerätehaus, in der Innenstadt gar eine Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge. Einige schreiben Linksautonomen die Taten zu, andere geben Pegida-Provokateuren die Schuld.

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Unterdessen füllen fast zehntausend Menschen den Römerberg vor dem Frankfurter Rathaus. Schock-Strategie-Autorin Naomi Klein spricht, Lafontaine-Freundin Sahra Wagenknecht und der bayrische Kabarettist Urban Priol, der über Yanis Varoufakis Stinkefinger witzelt und die neue Achse des Bösen zwischen Thüringen und Griechenland. Student Wouta (24) aus Belgien erhofft sich von dem Anti-EZB-Protest Effekte. Welche, weiß er nicht. „Aber Nichtstun ist halt auch keine Lösung", meint er. Auch in seinem Heimatland gehe vieles den Bach runter, deshalb sei er hier. Unter anderem würden Fördermittel für Studenten gekürzt. Aus Sicht von Wouta ist die EZB daran schuld.

Mit 14.000 Demonstranten hat Blockupy im Bestfall gerechnet. Zur Großdemo, die am späten Nachmittag vom Römerberg über die Innenstadt bis zum Opernplatz führt, kommen schließlich noch 3.000 mehr und machen den Protest mit 17.000 Menschen zum größten Frankfurter Unmutsauflauf der jüngeren Vergangenheit.

Auf dem Opernplatz angekommen zünden die Demonstranten Lagerfeuer, Böller und Bengalos. Das Schaufenster von Frankfurts Vorzeige-Commerzbank-Filiale vor der Fressgass geht zu Bruch. Vereinzelt werden Polizisten mit Steinen beschmissen. Mehr als 220 Verletzte fordert der Blockupy-Protest gegen die EZB-Eröffnung im Laufe des Tages. Doch die brennenden Streifenwagen und Barrikaden am Morgen bleiben der traurige Höhepunkt. Ich kann zwischendurch sogar nach Hause fahren und meine Hose tauschen, die mittlerweile bis zum Knie gerissen ist. Dabei muss ich durchs Westend, wo damals die Häuserkämpfe tobten.

Ein paar Wagen brennen auch in der Nacht zu Donnerstag. Doch selbst auf Frankfurts Bonzenmeile bleibt es ruhig: Bei linken Protesten in Frankfurt flogen in den letzten Jahren immer wieder Steine in die Schaufenster der Nobelboutiquen in der Goethestraße in der Innenstadt. Prada hat seine Fenster daher mit weißen Lacken verdeckt. Der Wachmann vor dem Laden erklärt: „Zum Schutz vor Plünderungen." Die hat es bei Aufständen in Frankfurt zuletzt wohl vor der Paulskirchenverfassung im Jahr 1848 gegeben.