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THE IDENTITY CRISIS ISSUE

Video Games Killed the Radio Star

Katawa Shoujo ist wahnsinnig komisch. Den Rest dieser Rezension werde ich dazu nutzen, den Witz zu erklären. Sorry.

Katawa Shoujo
Plattform: PC
Publisher: Four Leaf Studios Katawa Shoujo ist wahnsinnig komisch. Den Rest dieser Rezension werde ich dazu nutzen, den Witz zu erklären. Sorry. Es handelt sich um ein Dating Game bzw. eine romantische Visual Novel; es gibt da eine Nuance zwischen Visual Novel und Dating Game, die zu erklären hier zu weit führen würde. Entwickelt und veröffentlicht wurde das Spiel von einer bunt zusammengewürfelten Gruppe Fans des Konzepts von Katawa Shoujo, die als Reaktion auf einen Entwurf in der Übersetzung eines japanischen Fanworks entstand. Der Entwurf des Künstlers, der Fanwork unter dem Namen RAITA veröffentlicht, beruhte auf dem Konzept eines Dating Games, in dem alle Mädchen behindert waren—zwei Amputierte, ein Brandopfer, ein blindes und ein taubstummes Mädchen. Die ursprüngliche Idee war … lustig … weil viele Dating-Sims eine Verachtung für Frauen zeigen, wie sie in der Gesellschaft Behinderten gegenüber üblich ist. Und weil es ziemlich einfach ist, die typischen Klischees, von denen es im Genre des Dating Game nur so wimmelt, durch gängige Stereotypen bestimmter Behinderungen zu ersetzen. RAITA veröffentlichte die Zeichnung im Jahr 2000. Die Idee ruhte, bis ein anonymer Fan die Arbeit übersetzte und sie 2007 bei 4chan postete. Der Name des Spiels heißt soviel wie „Behinderte Mädchen“, auch wenn es das nicht ganz trifft—handelt es sich bei dem Wort „katawa“ in diesem Kontext doch um einen nicht druckfähigen Schimpfnamen für Behinderte mit der Konnotation der Wertlosigkeit. Die anonyme 4chan-Community, bekannt für ihre Vorliebe für konzeptionelle und intellektuelle Perversität wie für Perversität im Allgemeinen, lief Amok angesichts der Aussicht, das Spiel könnte realisiert werden, und das Forum wurde von den verschiedensten Threads mit Ideen und Vorschlägen überschwemmt. Schließlich spaltete sich eine kleine Gruppe Enthusiasten ab und startete unter dem Namen Four Leaf Studios ein eigenes Entwicklungsforum. Ich erfuhr erst 2009 von dem Spiel, als eine Demoversion veröffentlicht wurde. Ich spielte es, weil auch ich mich wie viele Geeks für intellektuelle und konzeptionelle Perversität interessiere. Jetzt, 2012, fünf Jahre, nachdem mit der Entwicklung des Spiels begonnen wurde, und zwölf Jahre, nachdem RAITA (der meines Wissens mit Four Leaf Studios nichts zu tun hat) die ursprüngliche Idee in Japan eher spaßeshalber veröffentlichte, haben wir ein richtiges Spiel. Wie die meisten Visual Novels besteht das Spiel aus einer einfachen, verzweigten Erzählung, bei der man sich sein Abenteuer aussuchen kann. Du liest und schaust dir Bilder an, triffst dann eine Wahl, und diese Wahl bestimmt, was als Nächstes passiert. Was intellektuelle bzw. konzeptionelle Perversität anbetrifft, so bleibt man hier bei einem Witz am besten möglichst straight. Katawa Shoujo geht in jeder Hinsicht so respektvoll wie möglich mit seinem Thema um. Es ist komisch, weil es nicht komisch sein will. Es funktioniert als Witz, weil es als Spiel ohne den Witz Erfolg hat. Four Leaf Studios hat medizinische Fachleute konsultiert, um sicherzugehen, dass die Schilderung der Behinderungen der verschiedenen Figuren in einem Erzählgenre, das den Konflikt melodramatisieren muss, so genau wie möglich ist. Die Autoren achten sorgfältig darauf, dass die jeweilige Behinderung einer Figur evident ist, ohne ihn bzw. sie jedoch zu definieren. Wenn ich von „ihm“ oder „ihr“ spreche, dann deshalb, weil der Protagonist ebenfalls behindert ist—das Spiel beruht auf der Prämisse, dass er unter unerkannten Herzrhythmusstörungen litt, die zu einem Herzanfall führten, als ein Mädchen ihm gestand, in ihn verliebt zu sein. Nach einem sechsmonatigen Krankenhausaufenthalt wird er auf eine spezielle Schule geschickt, in denen die Schüler konstant unter medizinischer Beobachtung stehen. Die Produktion hat einiges zu bieten. Die Musik ist beeindruckend, und auch die Grafik ist zum größten Teil sehr ausgefeilt. Das eigentliche Spiel beginnt mit einer animierten Videosequenz, und nach dem ersten Akt teilt es sich in fünf Stränge, einen für jedes mögliche Mädchen, wobei jeder Strang ebenfalls eine animierte Videosequenz hat. Der Text ist gut, wenn auch im ersten Akt etwas violettstichig, und Handlung und Charaktere sind wohl durchdacht. Abgesehen von meinen bisherigen Erfahrungen als Internet-Japanophiler haben mich Visual Novels nie wirklich gereizt. Ich habe genug davon mitbekommen, dass ich die Namen der größten Werke aufzählen kann, und ich bin vertraut mit den Klischees und Stereotypen des Genres, doch die implizite Gender-Politik hat mich immer geärgert, und mich nervt dieses sexualisierte „Moe“, diese Zuneigung zu den Figuren, die—nun, das wäre ein ganz anderer Artikel zu einem ganz anderen Thema. Das würde hier zu weit führen. Mir haben die Figuren von Katawa Shoujou und ihre Geschichten wirklich gefallen. Ich habe Lust bekommen, andere Visual Novels zu spielen, um zu sehen, ob sie auch so unterhaltsam sind. Katawa Shoujo ist die beste Art der Satire—die Art, die für sich bestehen kann, selbst wenn man die satirischen Elemente ignoriert. „So geht das, Leute. Schaut mal, ich betreibe es nicht mal ernsthaft, und ich bin gut.“ So wie Der wilde wilde Westen ein toller Western, Die Braut des Prinzen ein hervorragender Fantasyfilm, Shaun of the Dead eine gute romantische Komödie und ein guter Zombie-Horrorfilm und Galaxy Quest der beste aller Star-Trek-Filme ist, so ist Katawa Shoujo eine unterhaltsame, berührende Romanze. Wenn jede gut gemachte Satire per definitionem Kunst ist, dann ist Katawa Shoujo der Beweis dafür, dass so etwas wie ein Videospiel Kunst sein kann.