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Österreich hat jetzt einen postfaktischen Minister

Das Innenministerium widerspricht der persönlichen „Einschätzung" des Verteidigungsministers. Doskozil bleibt bei seiner Version.

Foto: Tatjana Sternisa / BMLVS

Seit einiger Zeit geistert das Wort "postfaktisch" durch die Medien. Die breit anerkannte These lautet: Große Teile der Wählerschaft sind für Fakten nicht mehr empfänglich, sie lassen sich bei ihren Entscheidungen ausschließlich von Gefühlen, die ihre Lebenswelt bestimmen, leiten.

Bei einem durchschnittlichen Bürger, der viele andere Sorgen hat, ist es vielleicht nachvollziehbar, dass er nicht alle Fakten prüft, bevor er eine wichtige, politische Entscheidung trifft. Ein Minister hingegen hat dafür einen eigenen Berater- Expertenstab.

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Hans Peter Doskozil tut es den postfaktischen Bürgern trotzdem gleich und pfeift einfach auf die Faktenlage—anders kann man es aufgrund seiner Handlungen nicht sagen. Schon sein erster politischer Akt ist das beste Beispiel dafür.

Eine Expertengruppe hätte die Machbarkeit und Sinnhaftigkeit von Hercules-Abschiebungen überprüfen sollen. Der Termin für die Präsentation wurde mehrmals verschoben, ehe das Ministerium sich dazu—auch auf Anfrage—nicht mehr äußern wollte. Der Standard konnte mit einem Insider der Expertengruppe reden. Laut dem Gutachten seien Abschiebungen mit der Hercules "Nonsens aus dreierlei Sicht", weil sowohl die Kosten, als auch Praktikabilität und Menschenrechtsschutz dagegen sprechen würden.

Der unabhängige "Studierendenverein für Sicherheit und Verteidigungspolitik" hat berechnet, dass eine Hercules-Abschiebung dem Steuerzahler vier Mal so teuer kommt als ein Charterflug. Grafik aus der Analyse von sipol.at

Das Innenministerium, das für Abschiebungen zuständig ist, gönnte Doskozil die politische Machtdemonstration trotzdem. Aber nur einmal. Wie Die Presse erfuhr, kam die Hercules nämlich nur genau einmal zum Einsatz. "Wir bieten dem Innenressort das Fluggerät an", antwortete Doskozil wiederholt auf die Frage, warum die hochgepriesene Hercules jetzt nicht öfter zum Einsatz komme. Man könnte auch sagen: Das ÖVP-geführte Innenministerium will Doskozils Hercules-Maschinen nicht einmal geschenkt bekommen. So wenig Sinn ergeben Abschiebungen damit.

Der nächste Punkt, in dem sich Doskozil von Fakten nicht irritieren ließ, war bei einer Podiumsdiskussion mit Innenminister Wolfgang Sobotka. 90 Prozent der abgelehnten Asylwerber würden nicht das Land verlassen, behauptete er. Das Innenministerium kann diese Zahlen nicht nachvollziehen. In Wirklichkeit seien es 30 Prozent, die bisher noch nicht rückgeführt worden seien. Österreich schiebt nämlich nicht in Länder ab, die ihre Bürger nicht empfangen.

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"Die haben mich gewählt um zu lenken, nicht um zu denken! Nummer drei!" – Simpsons: Der Film

Selbst, als das Innenministerium die Zahlen Doskozils öffentlich dementiert, bleibt er dabei: "Nach meiner Einschätzung können wir etwa 90 Prozent der Personengruppen mit negativem Asylbescheid nicht in ihre Herkunftsländer zurückbringen, weil es keine Rückübernahmeabkommen gibt." Das muss man sich erst einmal vorstellen: Ein nicht zuständiger Minister bezichtigt das zuständige Ministerium der Unwahrheit. Wohlgemerkt: Der Verteidigungsminister hat—anders als das BMI—keine Zahlen, keine faktischen Grundlage. Er "schätzt" einfach nur, wie er selbst sagt.

Die Absurdität wird noch klarer, wenn man das Beispiel umdreht. Das Bundesheer betreibt derzeit 16 Auslandseinsätze, die als Kriterium der Leistungsbilanz gelten. Was wäre, wenn der Kulturminister in der Öffentlichkeit sagen würde, dass es nur 4 Einsätze sind, die halbherzig durchgeführt würden? Wäre das Verteidigungsministerium nicht zu Recht erbost über die falsche Faktenlage? Würden Medien auch über diese falsche Aussage berichten, als sei sie ein Faktum?

Aber zu dem faktisch Falschen kommt noch etwas hinzu. Doskozil ist einfach nicht zuständig. Die strikte Trennung zwischen Polizei und Militär hat in Österreich und Deutschland eine historische Tradition. Nie wieder sollten Soldaten auf das eigene Volk schießen. Nie wieder sollte es einen Staat im Staat geben. Vielmehr soll sich das Bundesheer mit schwerem Geschütz um die Bedrohungen von außen kümmern, während die Polizei mit zivileren Mitteln Sicherheit und Ordnung im Landesinneren bewahrt.

Der ehemalige Landespolizeidirektor Doskozil hält davon bekanntlich wenig. Er möchte dem BMI "assistieren" und die Verfassung ändern, um kritische Infrastruktur militärisch schützen zu dürfen. Wozu das Ganze? Und warum jetzt? Eine Fakten-Diskussion führt bei ihm zu nichts. Als er in einem News-Interview darauf hingewiesen wird, dass die Kriminalität derzeit so niedrig wie noch nie ist, rudert er nicht zurück, sondern fordert das faktisch Unmögliche.

Eine kriminalitätslose Gesellschaft ist eine Illusion—vor allem in einem Rechtsstaat. Politische Aktionen haben begrenzte Wirkung, einen variablen Prozentsatz an Kriminellen wird es immer geben. Deshalb brauchen wir uns aber noch lange nicht zu fürchten, sagen Kriminologen. Solche Dinge funktionieren vielleicht im Boulevard und am Stammtisch. Aber Doskozil müsste es eigentlich besser wissen.

Er bewirtschaftet trotzdem lieber die Gefühle der Leute. Das kann er. Nach Jahrzehnten des Kaputt-Sparens hat das Bundesheer dank der Migrationsströme wieder mehr Geld bekommen. Doskozil will damit unter anderem ein Denkmal am Heldenplatz errichten, das mindestens eine Million Euro kostet. Das löst sicher alle Probleme. Wir wollen mal nicht so kleinlich sein und nach Fakten verlangen, die belegen, wem außer dem Minister das Ganze etwas bringt.

Christoph auf Twitter: @Schattleitner