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Popkultur

Lasst euch nicht von den Mobilfunkanbietern verarschen

Ich habe für einen der größten deutschen Mobilfunkanbieter im Laden gearbeitet und den Kunden reihenweise Handypakete angedreht, die sie gar nicht brauchten. Ich war ein talentierter Verkäufer. Vielleicht weil ich gut darin war, falsch zu grinsen...
Illustration von Nicola Napoli 

Illustration von Nicola Napoli

Ich war nicht immer so schlau wie heute. Es gab eine Zeit in meinem Leben, da habe ich mein Geld noch nicht mit dem geschriebenen Wort verdient. Ich musste meine Miete und den ganzen anderen Kram, den man zum Leben braucht, am Fließband erwirtschaften. Das bedeutet, dass ich morgens um vier aufstehen musste, um acht Stunden lang irgendeinen Scheiß in irgendeinen anderen Scheiß zu stecken, zu stapeln oder zu montieren.

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Bis zum Ausüben dieses Fließbandjobs habe ich immer gedacht, dass es kaum noch erniedrigende Tätigkeiten gibt, und wir in einem zivilisierten Staat wohnen, der durch und durch ehrlich und aufrichtig ist. Wie bereits erwähnt, ich war nicht immer so schlau wie heute.

Lange hielt ich diesen stupiden Job jedenfalls nicht aus. Ich wollte etwas weniger Suizidförderndes machen. Nach einigem Überlegen schlüpfte ich in meinen besten und gleichzeitig einzigen Anzug und ging zu einem Vorstellungsgespräch in den Handyshop eines sehr, sehr großen Mobilfunkanbieters (den Namen darf ich nicht sagen, weil ich eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben musste). Ich stand eine Weile in dem Geschäft  herum und beobachtete die Mitarbeiter beim Verrichten ihres Jobs. Alle lächelten und schienen ganz gut gelaunt zu sein. Aber das war nicht der einzige Unterschied zur Fließbandarbeit. Viel wichtiger war für mich, dass es sauber war. Weder Öl, das von der Decke tropfte, noch Schweißgestank oder Feinstaub belasteten die Luft. Das war die Art von Arbeitsplatz, zu dem ich wollte.

Nachdem ich dem Filialleiter ordentlich auf den Sack gegangen war und innerhalb von zwei Wochen sechs bis sieben Mal dort aufkreuzte, um ihn davon zu überzeugen, dass ich den Job wirklich will, konnte er mir eine Ausbildungsstelle in einer anderen Filiale desselben Unternehmens vermitteln. Mein neuer Chef war ein sexsüchtiger Enddreißiger, der bei Mama wohnte und ungefähr 5000 Euro netto verdiente. Er führte mich in die Welt des Verkaufens ein. Eine ziemlich skrupellose Welt.

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Unser Shop gehörte zu den erfolgreichsten der gesamten Region. Wir verkauften monatlich über 200 Neuverträge und verlängerten mindestens genau so viele. Wir (d.h. viel mehr mein Boss) fuhren regelmäßig den mit der Zentrale ausgehandelten Quartalsbonus ein. Ein Bonus, der mehrere Tausend Euro betrug und für das Erreichen von bestimmten Verkaufszahlen gezahlt wurde. Aber das war noch nicht alles. Verdient wurde, neben dem Bonus und der Provision für jeden einzelnen Vertragsabschluss, vor allem am Kundenumsatz, an dem der Shop mit vier Prozent beteiligt wurde. Im Klartext bedeutet das, wenn du einen Vertrag bei uns abgeschlossen oder verlängert hast, warst du „unser“ Kunde. Und wenn du für 100 Euro pro Monat telefoniert hast, haben wir vier Euro davon abbekommen. Klingt erstmal nicht viel, aber wenn man bereits 3000 Kunden zählt, kommt ganz schön was zusammen. Im Endeffekt ist es also so: Je mehr Verträge du verkaufst, umso mehr Geld bekommst du später für’s Nichtstun.

Und dafür, dass es nur drei Mitarbeiter gab, stand am Ende eines jeden Monats eine ziemlich hohe fünfstellige Zahl auf der Habenseite des Shops. Und ich will euch hier mal erzählen, wie diese Zahl zustande kommt.

Ich war ein talentierter Verkäufer. Vielleicht weil ich gut darin war, falsch zu grinsen. Vielleicht weil ich ein skrupelloses Arschloch war. Vielleicht war es auch eine Kombination aus beidem. Jedenfalls legte ich ganz schön los und konnte so gut wie jedem etwas verkaufen. Niemand verließ den Laden, ohne eine Unterschrift zu Gunsten des Shops und des Unternehmens geleistet zu haben. Lob von meinem Boss? Fehlanzeige. Stattdessen hieß es immer nur: „Du musst größere Pakete verkaufen. Du musst SMS und Internetpakete buchen. Du musst jeden Kunden auf DSL ansprechen und die Verfügbarkeit checken. Du musst die größten Tarife verkaufen, nicht die Tarife, die am besten zum Kunden passen.“

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Klingt jetzt vielleicht scheiße, aber ich tat es. Ich stand jeden Tag von 9 bis 20 Uhr im Geschäft und verkaufte ahnungslosen Omis Flatrates, buchte Hausfrauen SMS-Pakete, die sie nicht brauchten, und sagte ihnen, dass sie dadurch Geld sparen würden.

Wenn sie wiederkamen und sich beschwerten, verwies ich sie an die kostenpflichtige Kundenhotline. Denn im Laden kümmerte man sich nicht um Beschwerden, Kündigungen oder Tarifwechsel (es sei denn, der Kunden wollte seinen Tarif upgraden. Aber nicht wenn er in einen billigeren Tarif wechseln wollte). Hier verkaufte ich nur Verträge. Ich war Verkäufer. Ich musste verkaufen. Manchmal verkaufte ich Leuten sogar schon den dritten Vertrag und half ihnen dabei, sich zu verschulden. Ich habe Hunderte Leute auf dem Gewissen.

Ich log und betrog ohne Unterbrechung, weil es leichter war, als am Fließband zu stehen—während mein Boss im Internet auf der Suche nach freier Liebe war und durch sämtliche Muschis der Republik tourte.

Doch das alles war immer noch nicht genug. Ich sollte noch mehr, mehr, immer mehr verkaufen. Schließlich kamen diese super-charismatischen Arschlöcher von Verkaufscoaches ins Spiel. Sie wurden von der Zentrale damit beauftragt, mich zu einem noch besseren Verkäufer und noch schlechteren Menschen zu machen.

Sie prüften mein Tarifwissen, feilten an meiner Körperhaltung und meinen rhetorischen Fähigkeiten. Sie wuschen mir kräftig das Gehirn. Schon nach wenigen Monaten war ich so etwas wie ein Verkaufsterminator. Ich dachte nur noch daran, Verträge abzuschließen und nahm den Job mit nach Hause. Ich verkaufte Verträge an meine Freunde, meine Familie und besonders gerne an Leute, die ich gehasst hatte. Es ging so weit, dass es auf Partys kein anderes Gesprächsthema mehr gab; immer nur Handys und Flatrates.

Auch wenn ich auf beruflicher Ebene ein verdammt erfolgreicher Scheißkerl war, machte meine Freundin mit mir Schluss. Ich weiß nicht mehr warum. Vielleicht konnte sie es nicht mehr ertragen, dass ich öfter mit dieser Mobilfunkmafia ins Bett stieg als mit ihr. Ich wurde depressiv. Meine Arbeitsleistung ließ nach. Es war nicht mehr drin, 66 Wochenstunden abzureißen. Langsam fand ich zum Menschen in mir zurück und erlangte mein Gewissen wieder. Ich verkaufte den Leuten weniger Scheiß. Meinem Boss missfiel das sehr. Verständlich. Er musste jetzt wieder öfter im Laden stehen, um Leute zu bescheißen, und konnte sich weniger seiner Promiskuität widmen. Es reichte einfach nicht mehr aus, den Laden von einem Azubi mit einer 500 Euro „hohen“ Ausbildungsvergütung schmeißen zu lassen. Er nahm das persönlich.

Und so kam es, wie es kommen musste. Eines Tages saß ich hinten im Büro, versuchte eine Mittagspause zu machen und aß Pommes, als mein Boss hereinmarschierte und sofort zu brüllen begann: „Was tust du hier?! Es steht ein Kunde im Shop!“ Das war der Moment, in dem ich mich daran erinnerte, dass ich mich selbst für diesen Dreck entschieden hatte. Ich leistete dort keinen Zwangswehrdienst ab. Also stand ich auf, nahm die Pommes und warf sie gegen die Wand. Und während die mit Mayo beschmierten Kartoffelstreifen langsam an der Raufasertapete runterrutschten, sagte ich den berühmten Satz: „Ich kündige, Arschloch.“

Meine Ausbildung beendete ich schließlich in einem anderen Shop, der jedoch für denselben verbrecherischen Verein anschaffte. Später hatten sie mir sogar eine Stelle als Filialleiter angeboten, die ich einige Monate mit Verachtung und grenzenlosem Selbsthass ausführte. Nein. Augenblick. Das stimmt nicht ganz. Erst habe ich versucht, den Laden ehrlich und aufrichtig zu führen. Aber so lief er einfach nicht. Wir verkauften nie genug.

Jetzt bin ich Journalist. Denkt daran, wenn ihr das nächste Mal einen Handyvertrag abschließen wollt.