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Popkultur

Der 24-Stunden-Promi-Big-Brother-Selbstversuch – „Na, wer ist jetzt der eigentliche Idiot?“

Mit Discount-Energy-Drinks ausgestattet und entschlossen, die Webcams im Sat1-Promi-Haus einen ganzen Tag lang nicht aus den Augen zu lassen. Und dabei nicht verrückt zu werden.

Was man sich alles anhören muss, wenn man plant, 24 Stunden am Stück Promi Big Brother im Live-Stream zu schauen:

- „So viel Geld könnte mir VICE gar nicht bieten!"

- „Soll ich nicht besser mal deine Eltern benachrichtigen oder hast du vielleicht so eine Art Vormund?"

- „Ich denke, ab jetzt trennen sich unsere Wege."

usw.

Als 2000 das allererste Mal Big Brother ausgestrahlt wurde—eure Lehrer und Eltern werden sich noch erinnern: „Ich vermiss dich wie die Hölle", Zlatko, Jürgen, John, Kerstin plus Percy Hoven als Moderator—als es da erstmals lief, war es bereits möglich, die Webcams Tag und Nacht am Rechner einzusehen. Viele haben das damals getan, schien die Sendung doch so neu und obszön, außerdem traute man der TV-Bilderauswahl von (damals noch) RTL II nicht. Nachts wechselte man sich ab mit „Protokoll schreiben", also alles zusammenfassen, was passierte und ab damit ins Forum. Wann ging wer auf die Toilette und wurde da eben nicht getuschelt unter der Decke? Ja, so waren wir damals drauf!

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Dieser Bewegung reinster Lebenszeitvernichtung sei nun 15 Jahre später gehuldigt. 24 Stunden Trash-TV am Stück, wie fühlt es sich heute an?

Außerdem für mich persönlich eine schöne Ausrede, mal wieder auf Aufputschmitteln zu texten. Ach ja, um auf den Einwand vom Anfang zurückzukommen: Das Honorar für dieses Selbstexperiment stellt keinen ausschlaggebenden Faktor dar—auch wenn dieser Text wirklich sehr gut honoriert wird. Also sehr gut für einen insolventen Betrieb in Tasmanien.

Du bist nichts, Dein Zustand ist alles (12:00 Uhr)

So, auf geht's ab geht's, drei Tage wach. Ach, sind ja nur 24 Stunden. Das sitzen psychische Wracks wie ich locker ab. Auch habe ich mich mit den gängigen Supplys für eine LAN-Party eingedeckt—also diverse Flaschen Bullit (der Energy Drink von Penny, für alle, denen Magic Man von REWE zu fancy und vor allem zu teuer ist) und Schokoriegel mit hohem Anteil an weißem Zucker. Man ahnt es ja ohnehin: Ausgewogene Ernährung, das ist doch was für Ärsche.

Der Monitor der Überwachungskamera (13:09 Uhr)

Die große Neuerung zu dem Ur-Big-Brother-Livestream stellt sich als ätzend heraus: Es ist nicht mehr for free und nur noch via TV zu sehen. Man benötigt einen Sky-Zugang und muss für die Überwachungskameras noch mal zusätzlich und täglich zahlen (acht Euro immerhin). Das allein wäre kein Problem, Geld spielt wie gesagt keine Rolle. Allerdings bedeuten Bezahlschranken vor allem eins, selbst wenn das die Marketing-Trottel im Game nicht hören wollen: Nobody is interested. Das wiederum bedeutet für mich und mein Experiment: Ich kann nicht an eine Community anschließen, die sich ebenfalls Tage, Nächte, das ganze Dasein um die Ohren schlägt. Keine Chats, keine neuen Kontakte, keine Lästereien über die Kandidaten. Und ich Idiot habe letztens wieder mal Tinder gelöscht! Denn ich war mir so sicher, dass sich im Nebenbei dieses Artikels ein geiler Typ in meinen „lustige" Schreibstil verknallt. Fuck! Kein Chatroom-Prinz mit Rechtschreibschwäche in Aussicht, für den es sich lohnt, wach zu bleiben. Hätte ich mir bloß nicht Bullit sondern Baldrian-Tropfen gekauft. Das wird ja ein ziemliches Schlaflabor, wenn man nicht die ganze Zeit mit anderen Irren texten kann. Na ja, sehe ich es mal positiv: Mehr Zeit und Konzentration auf die Sendung.

Die Sendung (14:42 Uhr)

Nino de Angelo wühlt furzend im Müll, das schreckliche Playmate vom Bachelor wird als hässlich bezeichnet, der Typ von den Wildecker Herzbuben trägt eine Apparatur wie Darth Vader … Jetzt gerade wird geraucht, dann wechselt die Kamera und man sieht den kleinen Troll Judith Hildebrandt putzen, er wirkt dabei hochmotiviert an der Schwelle zu einer Geisteskrankheit, Desiree Nick rollt mit den Augen. Es fällt nicht schwer, sich für Promi Big Brother 3 zu begeistern. Für Trash-TV-Nerds stellt es aber zusätzlich noch eine besondere Genugtuung dar. Denn was hatte man sich gequält durch die misslungene Sommerausgabe von Ich bin ein Star holt mich hier raus, wie sehr hat die alte Kakerlaken-Liebe an Glanz eingebüßt. Tja, und was liegt da näher als der ultimative Move der enttäuschten Braut … Genau, man fängt mit dem ärgsten Konkurrenten des einstigen Partners was an. Nimm das, RTL, ich gehe jetzt SAT1 unter die Bluse! Gerade SAT1 … davon erholen sich Sonja Zietlow und Daniel Hartwich nicht mehr. Also dass selbst an diesem Unort geilerer Trash als im Dschungel produziert wird. OK, zugeben muss man natürlich, dass RTL mit dieser Nacktensendung, Adam sucht Eva, wieder einen großen Coup gelandet hat. Warum wollte VICE nicht, dass ich das 24 Stunden begleite? Mehr Penis und Scheide gab's noch nie!

- „Kennst du die Sendung? Kommt nach der Bachelorette, gilt längst als Geheimtipp bei uns Spannern und Connaisseuren. Wie der Eine da auf sein Glied immer mit ‚Mister Torpedo' referiert …"

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Verdammt, ich muss dringend aufhören, mit dem leeren Raum zu chatten. Judith Hildebrandt putzt noch immer. Na danke. Die Situation beginnt, mich zu stressen.

Selbstüberwindung (18:23 Uhr)

24 Stunden am Stück Fernsehen stelle einen Akt der Selbstüberwindung dar, behauptet mein verwahrloster Mitbewohner. Selbstüberwindung, mein Arsch! Einen Tag lang, einen Live-Stream zu verfolgen, macht mich ja noch nicht zu einem fahrradhelmigen Iron-Man-Idioten. Ich bin hier zum Spaß! Nachdem ich mir das allerdings in den letzten Stunden gebetsmühlenartig ein Dutzend Mal gesagt habe, klingt es wie eine Lüge. Ab wann kann ich eigentlich endlich saufen? Mitbewohner soll überdies mal abhauen. Ich sauf allein.

Please Kill Me (23:59 Uhr)

Jetzt wird's doch noch bitter. Eben schloss ich ein episches Protokoll ab, das auflistete, was im Haus in den Stunden direkt vor der Live-Sendung auf SAT1 abging. David Odonkor putzte sich lang anhaltend die Zähne, Anja Schüte suchte Zigaretten, Nina Kristin hat geweint … wegen was habe ich nicht ganz verstanden, Ton und Kameraschnitte besitzen etwas allzu Zufälliges, bedient Sky eigentlich überhaupt jemanden außer mir gerade? Schwer vorstellbar … kein Wunder also, dass offensichtlich ein dressierter Affe den Überwachungsschnitt rausgibt.

Mein ausführliches Protokoll dieser Stunden jedenfalls habe ich also gelöscht. Nicht die vielen Tippfehler waren das Problem (wie voll bin ich eigentlich mittlerweile?), viel eher haben sich Selbstzweifel breitgemacht. Denn wie gern liest man selbst Fakten von vor drei Tagen? Solange benötigt dieser Text hier nämlich von Entstehung bis zum Online-Gehen. Das bedeutet zum Beispiel: Über einen „Promi" schreiben, der mittlerweile vermutlich längst schon rausgevotet wurde … nichts könnte uninteressanter sein. Ich sollte den Quark, den ich hier exzerpiere, als ginge es wirklich um was, viel besser bei mir auf Twitter posten. 160 Zeichen statt einer Million. Viel praktischer. Allerdings mache ich das ja eh schon. Die Response folgt dort unmittelbar—beziehungsweise eben nicht. Interessiert nicht gerade die #Masse.

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- „Eine Schreibblockade ist Gottes Art zu sagen, dass du wohl besser keinen Livestream protokollieren solltest #PBB2015"

- „Wie groß ist eigentlich Daniel Köllerers Fleischpenis? #PBB2015"

Und so weiter …

Please Kill Me II (01:50 Uhr)

Wie viel Discount-Energydrinks kann man eigentlich zu sich nehmen, ohne dass es gesundheitsgefährdend ist? Hashtag #herzflattern. Nach dem Desaster mit dem gelöschten weil irrelevanten Protokoll folgender Plan: Ausschließlich über die „Stars" hier im Text berichten, die auf jeden Fall in den nächsten drei Tagen nicht rausgewählt werden. Bloß wer wird das sein? Desiree Nick vielleicht? Immerhin disst sie wieder sehr unterhaltsam. Aber wer weiß … bestimmt nehmen ihr das die ganzen Voting-Trottel übel. Das Volk liebt den Verrat, nicht den Verräter. Dann Odonkor? Der ist niedlich und hat mal ein Tor vorbereitet, das mögen doch alle? Aber eigentlich zu langweilig. Scheiße! Alles, alles, alles, was ich mir ausmale, geht sich nicht aus. Überlege, kurz zu weinen.

Moderatorin furzt (03:14 Uhr)

Neuer Tiefpunkt: Habe mich erinnert, in den 90ern mal kurz in Judith Hildebrandt verknallt gewesen zu sein. Und weiß daher, dass es auf YouTube einen Ausschnitt aus ihrer einstigen Call-In-Sendung „Hugo" gab, wo sie live vor der Kamera pupst. Problem: Der Clip stand nicht unter ihrem Namen im Netz, nur sowas wie „Moderatorin furzt". Wenn ich den als Link hier einfüge, ist mir der Grimme Award sicher. Unter dem Suchbegriff gibt es zwar einiges, aber der Pups von Judith scheint gelöscht. Plant die etwa wirklich noch eine Karriere?

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Schnarch (04:48 Uhr)

Alles schläft im Haus. Einsam rauscht der Rechner, sanft der Fernseher, ich bewache das Haus. Ich fühle mich wichtig. Die Prominenten sehen so friedlich aus im Schlaf. Außer natürlich Wildecker Herzbube Wilfried Gliem. Der sieht aus wie Cyborg-Satan. Im Kopf habe ich die Zeilen „Alle die, mit denen man nicht schlafen darf, mit denen schläft man im Schlaf".

Wer ist jetzt der Idiot?! (07:02 Uhr)

OK, ich war vorbereitet auf sie, auf die folgende Erkenntnis: Abseits des pointierten Blicks der redaktionellen Tageszusammenfassung ist ein Live-Stream vor allem eins: Sehr nah dran am echten Leben. Also verdammt öde. Wie oft muss Nino de Angelo eigentlich nachts pinkeln? Also vermutlich pinkeln, denn die Kameras sparen die Toilette ja aus. Ich tippe dennoch auf Prostata und google aus Langeweile Granufink. Bringt auch nix. Ich will mich lieber mal belohnen mit einer Web-Folge Promi Big Brother – Die Late Night Show. Denn diese begleitende Nummer moderiert auf Sixx und mit voller Kompetenz und Häme Jochen Bendel (Platz 3 im Dschungelcamp 2014). Mir fällt ein, ich habe dereinst schon seine Putzerfisch-Sendung zur Fame Academy (RTL II) geschaut. Fame Academy war eine gefloppte Casting-Show, an die sich gefühlt niemand mehr außer mir erinnert—vermutlich nicht mal Jochen Bendel selbst. Sowas könnte einem zu denken geben. Könnte! Ich komme allerdings erst schlecht drauf, als mir zudem wieder einfällt, dass ich damals für diese Sendung (hieß: Nachtfalke) mein damals aktuelles Buch zur Rezension schickte. Kein Scheiß! Total peinlicher Move—und vorgestellt hat er es natürlich auch nicht. Na, wenn er liest, dass ich 24 Stunden den Promi-Big-Brother-Live-Stream kommentiere, wird er sicher umdenken! Tja, Jochen, wer ist jetzt der Idiot?!

Gebrochen (08:20 Uhr)

Die Sonne scheint. Außer natürlich im Keller. Die Kandidaten dort wirken gebrochen. Vermutlich der größte Verdienst von Promi Big Brother. Die Teilnehmer werden durch die Umstände schneller und nachhaltiger gebrochen als in der Campingurlaub-Atmo des RTL-Dschungels. Ich ertappe mich, dass ich über diesen Gedanken grinsen muss. Schlafdeprivation bringt auch nicht nur die allerbesten Charaktereigenschaften in einem zum Vorschein.

Geld zurück (09:32 Uhr)

Kurz eingenickt. Im Haus geht was. Die Belegschaft wurde unsanft von einer Fanfare geweckt. Wie wenn man im Zoo an die Scheibe klopft. Die Tiere sollen schließlich zumindest bisschen was für ihr Geld tun. Mich indes holt die Fanfare dagegen nicht zurück. Kurz eingenickt auf dem Sofa. Zum Glück ist meine Webcam abgeklebt. So kann mir niemand eine Verfehlung im Dienst nachweisen. „Wie du bist eingeschlafen bei dem Experiment? Dann können wir dir nicht volle Gage zahlen!" Fühle mich wie Menowin. Der wollte auch raus, aber sein Vertrag ließ das nicht zu.

Finale (11:59)

Die letzten Minuten. Im Haus wird sich gerade angeschrien, geht um die Nominierungen von gestern, doch dann wechselt die Kamera auf die leere Terrasse. WTF? Bin allerdings zu fertig, um deshalb noch einen Hass-Tweet abzusetzen. Meine fünf verbliebenen Twitter-Follower müssen mich eh schon für völlig schwachsinnig halten. Ich zähle die letzten Sekunden ein. Geschafft! Eigentlich könnte ich noch weitermachen, lüge ich mir zumindest vor. Das augenbrauenzentrierte Gesichtchen von Playmate Sarah Nowak drängt sich gerade ins Sprechzimmer, nimmt das Bild des Fernsehers ein. Ihre Aufgekratztheit, ihre Körpersprache lassen keine Zweifel: Sie hat der Kamera etwas Wichtiges mitzuteilen. Also, was halt so „wichtig" ist in einer Reality-TV-Sendung. Ich sehe sie an, es scheint, als sieht sie zurück. Gruselig. Dieser Effekt „Wenn man lange genug in einen Abgrund starrt, starrt er zurück" hat sich offensichtlich eingestellt. Na, das wird noch ein langer Weg zurück in den Alltag, ein normaler Saufkater ist nichts dagegen. Ich schalte … aus.