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Wie wir Frauen uns gegenseitig schwach machen

Mädchen werden gerne als Zicken abgestempelt, benutzen das Konzept „Stutenbissigkeit" aber auch untereinander. Stutenbissigkeit ist eine Erfindung der Welt, in der es noch immer keine Gleichberechtigung gibt.
Foto von Blondinrikard Frödberg

Unter Frauen gelten manchmal ganz eigene Regeln. Es gibt Blicke, die nur von Frauen wahrgenommen und vor allem verstanden werden. Aber es sind nicht nur Blicke, die andere Frauen rasend machen. Auch durch überfreundliche Gesten, einen zu dollen Händedruck oder eine offensive, bitterböse Bemerkung über den Bauchspeck der neuen Kollegin werden Frauen schnell mal in die Kategorie der Stutenbissigkeit eingeordnet.

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Das Wort Stutenbissigkeit beschreibt schon einen subtilen und im Verborgenen vorgehenden Zickenkrieg. Solche Gefechte funktionieren nach Regeln, die jede Beteiligte versteht, die der Angreiferin aber jeweils eine Möglichkeit offen halten, sich hinter der Unschulds-Ausrede inklusive Welpenblick (natürlich gegenüber Männern) zu verstecken. Stutenbissigkeit funktioniert auch offensiv, ist aber niemals beweisbar. Falls Männer sie doch einmal bemerken, dann ist das halt „typisch Frau" oder es ist ein „Bitch Fight" im Gange.

Männer können noch so kindische und zweckfreie Streitigkeiten haben—als Zicken werden sie dabei nie bezeichnet. Ein Proll haut einem anderen ins Gesicht und die Streithähne handeln nach wie vor dem Kodex ihrer Geschlechtsgenossen entsprechend. Zwei Frauen können sich lediglich eine hitzige Debatte liefern—und sofort fallen Begriffe wie „Cat Fight" oder „Weibercatchen".

Es gibt zwei verschiedene Arten von Stutenbissigkeit. Der echte Zickenkrieg und die von Männern geschaffene Schubladisierung für einen Clinch unter Frauen. Männer nutzen diese Technik, um Frauen zu mindern. Kürzlich bin ich mit zwei männlichen Kollegen aneinandergeraten. Ich war wütend und habe ihnen meine—in diesem Bereich fundierte—Meinung gegeigt. Statt mit mir zu diskutieren, meinte der eine zum anderen: „Lass sie zicken."

Damit war das Thema für sie erledigt. Alles, was du weiter entgegnen wirst, macht dich nur noch mehr zur Zicke. Als Frau haben deine Argumente und Äusserungen nur solange Gewicht, bis du als Zicke abgestempelt wirst. Oder als Feministin. Das ist ein raffiniertes Instrument des vorherrschenden Sexismus.

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Die andere Art der „Stutenbissigkeit" geht von Frauen selber aus. Eine Freundin von mir war kürzlich an einer WG-Party, wo sie auf ihren Ex-Freund samt neuer Flamme stiess. Die Neue war ziemlich angetrunken und wenig charmant. Vor dem versammelten Freundeskreis liess sie keine Möglichkeit aus, meine Freundin blosszustellen und über ihr Outfit zu lästern, das sie als nuttig bezeichnete.

Im Verlauf der Party suchte die neue Flamme immer wieder nach bestätigenden Signalen ihres Freundes: „Gell, du findest auch, dass Frauen mehr Klasse haben, wenn sie nicht gleich alles zeigen, was sie haben?" Bei der Verabschiedung „verfing" sich dann ihr Fingernagel im Haar meiner Freundin, woraufhin die Situation eskalierte. Wäre Barney Stinson anwesend gewesen, hätte er nach „Popcorn!" gekräht und die Kamera bereitgehalten. Das „Weibercatchen" zauberte beinahe jedem Anwesenden ein hämisches oder zumindest interessiertes Lächeln ins Gesicht, je nach Grad der Involvierung. Nur der Ex-Freund meiner Freundin schämte sich ein bisschen.

Foto: micadew | Flickr | CC BY-SA 2.0

Auffallend dabei ist, dass sich Frauen gegenseitig durch sexistische Killer-Argumente diskreditieren. Die „ Nutte" als Totschlagargument. Eine Frau wird unschädlich gemacht, indem sie durch die männliche Brille betrachtet wird, die in unserer Gesellschaft als natürliche Betrachtungsweise akzeptiert ist.

Wenn eine ausnehmend schöne Frau eine Bar betritt, schauen sich nicht nur die Männer um. Lange Beine, rote Lippen und lange blonde Haare bewegen auch das weibliche Geschlecht dazu, die Frau, die soeben die ungeteilte Aufmerksamkeit der biertrinkenden Gäste geniesst, zu scannen.

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Ein Makel wird gesucht und mit Sicherheit gefunden. Wenn das Haar nicht offensichtlich gefärbt ist, dann besteht die ganze Haarpracht höchstwahrscheinlich aus Extensions. Die Frau setzt wiederum die männliche Brille auf, definiert eine Konkurrentin erst mal über die Attraktivität (nämlich für den Mann) und versucht deshalb im selben Atemzug, den Status der anderen Frau über deren Aussehen zu mindern.

Was wäre, wenn sich Frauen nicht gegenseitig lahmlegen würden? Was wäre, wenn Frauen sich nicht mehr von Kriterien wie Schönheit einschüchtern liessen und sich gegenseitig über diese schädliche Betrachtungsweise definieren würden?

Wahrscheinlich würden sich Frauen erst dann ihrer eigenen Stärke bewusst werden und wirkliches Selbstvertrauen aufbauen, um in den männerdominierten Berufsfeldern als ebenbürtige Geschäftspartnerinnen, Kolleginnen, Vorgesetzte oder Assistentinnen wahrgenommen zu werden. Mit gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit.

Nur wenn Frauen aufhören, nach den Regeln eines sexistischen Systems zu spielen, können sie das System verändern und dahin verbessern, wie es für einen humanistisch denkenden Menschen längst selbstverständlich sein sollte—auch und vor allem für Männer, die vielfach lieber vom vorherrschenden System profitieren anstatt es zu verändern.

Nadja auf Twitter: @NadjaBrenn

Vice Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelfoto: Blondinrikard Frödberg | [Flickr](Blondinrikard Fröberg) | CC BY 2.0