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Sind Muttermilch-Börsen im Internet gefährlich?

Muttermilch im Internet bestellen klingt erst mal befremdlich. Wir haben mit der Gründerin der ersten deutschen Muttermilch-Börse über die etwas andere Kleinanzeige und über Risiken und Nebenwirkungen gesprochen.

In der Türkei haben nicht wenige Menschen neben der eigenen Mutter noch eine Süt Anne. Das bedeutet „Milchmutter“ und ist sozusagen die Frau, die dich als Baby gestillt hat, weil deine eigene Mutter keine oder nicht genug Muttermilch für dich zur Verfügung hatte. Meist sind das Verwandte, Freundinnen oder Nachbarinnen der Familie. Dem Stillen, Abpumpen und Weitergeben der Muttermilch wird eine Bindungsqualität zugeschrieben, die einer Blutsverwandtschaft gleichkommt.

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Ich habe mich gefragt, was deutsche Mütter bei Milchmangel tun, wenn sie nicht auf die Pulvervariante umsteigen wollen und bin im Internet auf die Seite muttermilch-boerse.de gestoßen. Hier können Frauen ihre Muttermilch online zum Kauf anbieten.

Muttermilch im Internet zu kaufen ist mit einer ganzen Menge Risiken verbunden, weshalb die Mehrheit der Mediziner Müttern strikt davon abrät. Sie befürchten, dass Krankheiten an die Säuglinge weitergegeben werden könnten. „Das Hauptproblem besteht darin,“ sagt Prof. Dr. Bührer, Oberarzt für Neonatalogie in der Berliner Charité, „dass es sich bei Milch um eine biologische Flüssigkeit handelt, mit der man Viren übertragen kann, also Krankheiten wie z.B. HIV oder Hepatitis.“ Bührer befürwortet die Milchspende, jedoch nur dann, wenn sich die Mütter gegenseitig sehr gut kennen und auf Krankheiten wie bei einem Blutspender getestet werden.

Zuerst einmal ist Muttermilch nämlich ideal für Babys. Direkt aus der Brust der eigenen Mutter ist sie laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die beste Nahrung für den Säugling. Auf dem zweiten Platz folgt die abgepumpte Milch der eigene Mutter, Milch einer Fremden belegt den dritten, und industriell hergestellte Säuglingsmilch den vierten.

Es ist also verständlich, dass eine Mutter das eigene Kind eher mit Muttermilch als mit Pulvermilch füttern will. Wenn man die Ansteckungsgefahr irgendwie neutralisieren könnte, wäre der Verkauf von Muttermilch also eine ziemlich gute Lösung.

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Die Idee der Milchbörse im Internet ist nicht neu. In den USA machen die  Mütter längst ein großes Geschäft mit ihrer Eigenproduktion. Dabei geht es hier nicht nur um den guten Zweck mit kleinem Nebenverdienst. Die Seite onlythebreast.com ist einer der bekanntesten Plattformen, bei der es sogar eine Kategorie für erwachsene Männer gibt, die auch mal gerne Muttermilch nuckeln.

„Hallo! Ich habe ein sehr gesundes, 15 Monate altes Mädchen, die langsam weniger gestillt werden muss. Ich pumpe ab, um die Produktion aufrechtzuerhalten und habe extra zu verkaufen. Ich bin sehr offen, was die Verabreichung angeht. Gefroren oder frisch. Danke sehr”, wirbt eine Frau aus Ohio und bietet ihre Milch auch für erwachsene Männer an. 100 ml kosten drei Dollar bei ihr. Ich muss würgen.

Damit verglichen ist die deutsche Muttermilch-Börse harmlos. Hier haben Männer wenigstens offiziell nicht das Recht auf den Erwerb von Muttermilch—ob sie es trotzdem tun, sei dahingestellt. Die Webseite wurde vor wenigen Monaten von Tanja Müller ins Leben gerufen.

„Beim ersten Kind wollte es zunächst partout nicht mit dem Stillen klappen und beim zweiten produzierte ich viel zu viel Muttermilch“, schreibt Tanja auf ihrer Webseite. In beiden Fällen hatte sie versucht, zum Tauschen mit anderen Müttern in Kontakt zu treten—vergeblich. Die schlechten Erfahrungen brachte sie dazu, eine Tauschbörse zu gründen, die aufklärt, Ratschläge erteilt und—nach Tanjas Meinung—unseriöse Muttermilch-Börsen in den Schatten stellt.

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Mütter aus ganz Deutschland bieten auf der Seite ihre Muttermilch für 3-7 Euro pro 100 ml zum Kauf an. Dabei erstellt jede Frau ein eigenes Profil, auf dem sie sich kurz vorstellt und angibt, welchen Lebensstil sie pflegt: Ob sie z.B. raucht, Alkohol oder Dogen konsumiert, wie sie sich ernährt, etc.

Die Anzeigen erinnern ein bisschen an die einer Single-Börse, bei der sich jeder Teilnehmer von seiner besten Seite präsentiert und hier und da auch schon mal mit den Angaben mogelt. Ich finde die Anzeige von Vera, einer 25-jährigen Gesundheits- und Krankenpflegerin, die ihre „MuMi“ gerne auch mit anderen teilt.

Sie gibt an, nicht unter HIV, Hepatitis B, C oder Syphilis zu leiden und koffeinhaltige Produkte nur in kleinen Mengen zu verzehren. „Glaub ich dir nicht“, schießt es mir gleich durch den Kopf. Aber natürlich kenne ich Vera und ihre Mumi nicht, vielleicht sollte ich keine vorzeitigen Schlüsse ziehen.

Ich will es genau wissen: Wollen die deutschen Mumi-Mamis mit ihren Milchtüten nur Profit schlagen, handeln sie fahrlässig, oder geht es hier wirklich um das Wohlergehen der Babys? Um das herauszufinden, habe ich die Gründerin selbst angerufen. Tanja Müller ist sehr nett und beantwortet mir jede Frage.

Tanja Müller mit ihrem Sohn

VICE: Frau Müller, Ihre Seite wird stark kritisiert. Können Sie das nachvollziehen?
Tanja Müller: Also ich kann nachvollziehen, dass man generell vor Fremden Skepsis hat. Das ist ganz normal. Aber ich gebe sehr klare Anweisungen auf meiner Seite, worauf die Mütter achten sollen. Sie sollen sich persönlich kennenlernen und  die Milch nur so versenden, wie ich es geschrieben habe. Ich kläre über die Risiken auf und darüber wie man sie erfolgreich minimieren kann. Auf der anderen Seite kann ich, weil es teilweise sehr extreme Reaktionen sind, es nicht nachvollziehen.

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Sie empfehlen den Müttern, eine Verkäuferin aus der gleichen Umgebung zu finden, sie kennenzulernen und die Milch gegebenenfalls auch zu testen.
Ja, die Milch soll von der Tiefkühltruhe in die Tiefkühltruhe. Dann schickt man die gekaufte Milch ins Labor, mit dem ich zusammenarbeite, dort wird sie auf sämtliche Keime und Bakterien getestet, ob irgendwelche Antibiotika-Rückstände drin sind etc. Es wird auf Lysterien getestet, was bei Pulvermilch übrigens nicht der Fall ist. Nach all den Tests ist es wahrscheinlicher, dass in dem Moment ein Flugzeug auf deinem Kopf abstürzt, als dass dein Baby irgendwelche Krankheiten von der fremden Mutter bekommt.

Natürlich muss man aufpassen, aber über diese Panikmache muss ich mich sehr wundern. Das kann ich mir nicht anders erklären, als das da wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen. Sei es das Geschäft des Milliardenmarkt der Pulvermilch. Stellen sie sich mal vor, die Mütter würden alle untereinander ihre Milch tauschen, das wären Verluste in Milliardenhöhe.

Sie empfehlen den Müttern den gegenseitigen Kontakt. Aber glauben Sie wirklich, dass das jede Mutter macht?
Sie haben selber wahrscheinlich keine Kinder oder?

Nein.
Wenn eine Mutter einen kleinen Säugling hat und sehr viel Geld ausgeben möchte, aufgeklärt ist, und über die ganzen Risiken der Formula-Nahrung Bescheid weiß, und überhaupt auf die Idee kommt, sich Muttermilch von einer anderen Frau zu suchen, dann behaupte ich, dass diese Mutter tausendmal bewusster damit umgehen wird, als das jeder staatlich angeheuerte Kontrolleur jemals tun würde. Keine Mutter würde schludern mit dieser Geschichte.

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Ich will keiner Mutter etwas unterstellen, jedoch glaube ich nicht, das irgendeine von denen angeben würde, dass sie ab und zu doch mal Drogen konsumiert. Oder ein Gläschen mehr trinkt, als angegeben.
Ich habe sehr intensiv mit einer Mitarbeiterin einer Milchbank genau über dieses Thema gesprochen und die Milchbank, mit der ich jedenfalls gesprochen habe, verlässt sich nur auf zwei Sachen: zum einen, was die Mutter selber angibt und zum anderen sagt sie, dass eine drogensüchtige Frau nie im Leben so diszipliniert ist, so viel Milch übrig zu haben, dass sie die dann verkaufen kann.

Es muss ja nicht gleich eine Drogensüchtige sein. Aber was ist mal mit einer Pille oder einem Joint am Wochenende?
Cannabis kann man aus der Milch riechen. So testen das übrigens  auch die Milchbanken. Alles was mit Nikotin oder Alkohol zu tun hat, erfährt man aus Riechtests. Es gibt keine labortechnischen Tests dafür. Es wird intensiv an der Milch gerochen.

Interessant. Der Arzt Prof. Dr. Bührer sagt, dass Milchpulver okay ist. Was haben Sie eigentlich so sehr dagegen?
Eins der größten Nachteile ist doch, dass man bis heute nicht weißt, wie Milchpulver zusammengestellt wird. Vor zwei Wochen erst wurde bei Milupa Frühchen-Nahrung zu viel Jod entdeckt und die ganze Charge wurde zurückgerufen. Die Gefahrenquelle von Muttermilch ist demnach viel geringer als die Formula-Nahrung.

Manche Mütter verlangen sieben Euro für 100ml Muttermilch. Ist das nicht ein bisschen teuer?
Ich persönlich finde sieben Euro  auch zu viel. Ich hätte meine Muttermilch verschenkt. Aber der Punkt ist doch, überschüssige Muttermilch verfügbar zu machen für Babys, die zur Zeit literweise weggeschüttet wird. Ich habe am Anfang darüber nachgedacht, ob ich ein Limit einführen soll.

Aber zwei Gründe haben mich davon abgehalten: Zum einen bin ich der Meinung, dass ich mir nicht anmaßen kann, einer Frau zu sagen, wie viel sie für ihre Muttermilch verlangen darf und die andere Sache ist die, dass wenn ich das regulieren würde, morgen eine Muttermilch-Börse aufmacht, die nicht mal halb so viel Wert auf Aufklärung und Sicherheit setzt wie ich.

Warum hat Ihre Börse trotzdem einen so schlechten Ruf?
Ich kämpfe seit Mai letzten Jahres dafür, dass in Deutschland endlich ein gescheites Netz aufgebaut wird, wo jede Mutter die Chance hat ihre überschüssige Muttermilch abzugeben. Deswegen habe ich die Ärzteverbände angeschrieben aber sie antworten mir nicht. Erst als ich in der Presse war, meldeten sich alle auf einmal und sind plötzlich empört.

Ich habe doch erst die Sicherheit aufgebaut, indem ich die Mütter vereint habe. Vorher haben sie wild auf Facebook, Ebay-Kleinanzeigen und irgendwelchen Blogs ihre Muttermilch verkauft. Schon seit Jahren passiert das, ich habe darauf nur aufmerksam gemacht.

Ich möchte und ich plädiere darauf, dass in allen Krankenhäusern, die eine Geburtenstelle anbieten, eine Mini-Milchbank eingerichtet wird, wo alle Mütter hingehen können, die zu viel Milch haben. Mir geht es doch nicht um die Börse, die kostet mich Unmengen an Kohle, ich verdiene nichts damit! Das was mir am Herzen liegt, ist: dass wenn eine Mutter nicht stillen kann, sie eine Alternative zur Formula-Nahrung sieht und unterstützt wird.