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Campus, Sex und Ravioli

Die Regelstudienzeit ist kein Luxus!

Die Regelstudienzeit ist gar nicht so schlimm. Sie lehrt dich pünktlich zu sein und dass Drogenkonsum am Dienstagabend kein Menschenrecht ist.
Titelbild von this.is.seba

Letzte Woche erklärte ein Artikel, weshalb die Mindest-/Regelstudienzeit Luxus ist. Hier lest ihr, warum das Quatsch ist.

Ich will niemandem das Recht absprechen, sein Studium beliebig zu verlängern, aber die Regelstudienzeit ist kein Luxus. Zwar beschränkt sich meine eigene Studentenerfahrung auf ein Bachelorstudium, aber da ich während meinem BA zwei Jahren als Hilfskraft am Deutschen Seminar der Uni Basel gearbeitet habe, weiss ich, dass auch die Masterstudiengänge einfach dasselbe in blau sind. Seminare, Seminararbeiten und Vorlesungen besuchen auch Masterstudenten die gleichen. Nur drei Forschungsseminare und die Masterarbeit unterscheiden Bachelor- und Masterstufe.

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Damit keine Missverständnisse entstehen: Ich spreche von Phil. 1-Studiengängen. Von Philologie, Ethnologie, Soziologie, Geschichte und so weiter; von den Studiengängen, die eh schon unter einem konstanten Faulheitsverdacht stehen. Ich habe kaum bis keine Ahnung vom gestressten Leben aller angehenden Mathematiker, Biologen, Ärzte, Schauspieler und Ingenieure. Die Regelstudienzeit wird hauptsächlich von Phil. 1-Studenten hinterfragt und als Ex-Student einer Phil. 1-Fakultät weiss ich, dass das Studium machbar ist. Im Folgenden versuche ich einige der häufigsten Entschuldigungen, weshalb ihr die Regelstudienzeit nicht einhaltet, zu entkräften (was zugegebenermassen die Formulierung ist, mit der eine Uniarbeit zum Thema „Regelstudienzeit" beginnen würde).

Die Regelstudienzeit ist böse—wegen Bologna

Das Jammern über die Bologna-Reform ist wie das Jammern darüber, dass heute keine Citroen 2CV („Enten") mehr gebaut werden. Die Bologna-Reform ist ein Fakt. Die Wirtschaft sitzt im Uni-Rat. Ja, ja, ja. Das ist traurig—aber auch einfach eine Tatsache. Die Bestrebungen, den Lehrstoff gemäss beruflichen Kompetenzen auszurichten, gibt es. Es ist aber auch eine Tatsache, dass all deine Dozenten 10 Jahre studiert haben und Bologna dort unterlaufen, wo sie können. Aber so oder so: Die Regelstudienzeit gibt es und sie gibt dir eine Idee davon, in welcher Zeit man dieses Uni-Ding bewältigen kann. Du kannst die Regelstudienzeit ablehnen, aber sie hat nichts mit dem Lehrinhalt zu tun und wenn sie mit der Kommerzialisierung des Uni-Betriebs verknüpft ist, dann nur weil sie dich lehrt: Es ist gut, wenn du pünktlich bist. Weitere Lektionen: Um eine gewisse Uhrzeit musst du aufstehen, Projekte haben Abgabedaten und Drogenkonsum am Dienstagabend ist kein Menschenrecht.

Du magst deine Freunde und sitzt gerne am Rhein

Foto von Diana Pfammatter

Das ist gut. Es heisst, dass du deine Zeit geniesst. Dass du am Rhein sitzt, hat aber nichts mit deinem Studium zu tun und nichts damit, ob die Regelstudienzeit zu knapp berechnet ist oder nicht. Es hat viel eher damit zu tun, dass du gerne schwimmst, kiffst und Frisbee spielst. Trotzdem: der beste Grund.

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Du musst arbeiten, um zu essen

Auch ein sehr guter Grund. Aber sind wir ehrlich: Mit 30 ECTS-Punkten pro Semester hast du deine Regelstudienzeit. In (Pro-)Seminare umgerechnet sind das 20 Stunden Präsenzzeit. Bei einem realistischen Mix zwischen (Pro-)Seminaren, Vorlesungen, Arbeiten und der einen oder anderen Blockveranstaltung sind es maximal 25 Stunden. (Erwerbs-)Arbeit kann bei so wenig Pflicht-Aufstehzeit ein guter Ausgleich sein. Auf alle Fälle ist es möglich neben einem Phil. 1-Studium zu arbeiten. Und mit der Vorbereitungszeit zuhause musst du mir auch nicht kommen: Wilhelm Meisters Wanderjahre würdest du auch nicht lesen, wenn du ein Aufenthaltsstipendium in einer Berghütte nur dafür hättest, den Wilhelm Meister zu lesen. (Liebe Grüsse an Dr. Klaus Birnstiel , der im Frühjahrssemester 2013 das Seminar „Konstellationen der Klassik" gegeben hat.)

Die Seminare sind überlaufen

Eh. Aber sie werden nicht leerer, weil in jedem neuen Jahrgang noch mehr Leute studieren. Du hast die Wahl: Sitzt du über viele Semester in einigen überlaufenen Seminaren oder wenige Semester lang in vielen überlaufenen Seminaren.

Die ECTS-Punkte sind unfair

Natürlich sind die Schwankungen von Uni zu Uni massiv, aber eigentlich sind die ECTS-Punkte das harmloseste der Welt. Für ein zweistündiges Seminar erhältst du in Basel drei ECTS-Punkte. Die Anwesenheitszeit abgerechnet heisst das, dass du theoretisch pro Seminar vier Stunden in die Vor- und Nachbereitung zuhause investieren musst. Das ist aber absolut illusorisch. Natürlich ist es gut, sich vorzubereiten. Natürlich sollst du die meisten Texte lesen, aber du willst mir nicht allen Ernstes erzählen, dass du pro Seminar JEDE Woche mehr als auch nur eine VOLLE Stunde investierst? Eben. Wenn das an deiner Uni völlig anders ist, sei froh: Das heisst, dass die Gleichmacherei der Bologna-Reform hoffnungslos gescheitert ist.

Du musst viel zu viele Arbeiten schreiben

Über die Grenzerfahrung „Masterarbeit" urteile ich nicht, da ich keine Masterarbeit geschrieben habe. Aber alle Proseminar- und Seminararbeiten sind keine so grosse Sache: Zwei bis vier Wochen—je nach Länge der Arbeit—intensiv in die Arbeit investieren, nicht zu spät mit dem Schreiben beginnen und sich im Studium frühzeitig darüber informieren, was von einer Arbeit erwartet wird und was nicht. In Basel sind das in der Kombi Germanistik/Geschichte sechs Proseminar- und zwei Seminararbeiten auf vier Semester verteilt (vor dem sechsten müssen alle Arbeiten abgegeben werden, will man die Bachelorprüfung schreiben). Das ist problemlos möglich. Inklusive Reisen und Arbeit. Inklusive einen Monat reisen und einer 30 Prozent-Stelle.

Die altehrwürdige Uni Basel, Foto von Patrik Tschudin; Flickr; CC BY 2.0

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Ich will niemandem sagen, wie lange er studieren soll. Leute, die lange studieren, sind mir sympathisch. Sie haben den Knick im ambitionierten Durch-das-Leben-hetzen schon gemacht—eine Erfahrung, die man als Geistes- oder Sozialwissenschaftler besser im Studium als in der Arbeitswelt macht. Ausser man will an der Uni bleiben. Dann ist das Ziel linear und den Ambitionsmodus kann man bis zum Lehrstuhl mit 40 eingeschaltet lassen. Dann muss man aber auch ambitioniert lange in Sprechstunden bleiben, ohne dass es Momente peinlicher Stille gibt.

Jeder soll so lange studieren, wie er oder sie will. Und jeder darf sich ja auch mit Bologna noch Zeit nehmen, noch mindestens die doppelte Regelstudienzeit bis zum Abschluss. Aber die, die es langsam angehen, sollen nicht behaupten, dass die Regelstudienzeit ein Luxus ist. Lange studieren kann man mit genau den gleichen Argumenten zum Luxus erklären: Wer zahlt dein Studentendasein? Wieso machst du deine Praktika nicht einfach nach dem BA? Wieso interessiert dich dein Fach zu wenig, um es Vollzeit zu studieren?

Ich bin wie ein gehetztes Reh durch mein Bachelorstudium gespurtet, aber ich habe daneben auch an so tollen Orten wie der Hallenstadion-Garderobe gearbeitet. Und da an Silvester einem Betrunkenen die Kontaktlinse wieder eingesetzt. Das ist kein Luxusleben. Ich bereue nicht, dass ich mein Studium in der Regelzeit beendet habe. Ich will auch niemanden dazu drängen, aber es ist locker möglich.

Benj auf Twitter: @biofrontsau

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild von this.is.seba; Flickr, CC BY-SA 2.0