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Die Hetzjagd auf Homosexuelle in Kiew ist noch nicht zu Ende

Ich war dabei, als die Gay Pride in Kiew von Nationalisten angegriffen wurde.
Ein rechter Angreifer wird durchsucht. Foto: Jan Vollmer

Ungefähr 50 Meter kann die Kiewer Gay Pride-Parade an der Uferpromenade entlang gehen, bevor der Angriff beginnt. Rauch steigt 200 Meter weiter vorne auf, Polizisten rennen, Kracher explodieren. Ordner in gelben Warnwesten versuchen, die Menge zu beruhigen. In jetzt nur noch 150 Meter Entfernung stürmt eine Gruppe maskierter Männer heran.

Eine Gaypride in Kiew ist schon eine etwas andere Angelegenheit als eine Gaypride in Berlin. Das beginnt damit, was vor der Gaypride in der Kiewer Presse los war: Die radikale Gruppe „Rechter Sektor" gab bekannt, dass sie gegen den ,Kyivpride' ist und ihn vielleicht auch angreifen würde.

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Wer in Kiew Ärger mit dem Rechten Sektor hat, hat wirklich ein Problem. Der Rechte Sektor war der militante Kern bei den Protesten auf dem Maidan vor eineinhalb Jahren. Sie waren die ersten, die mit Molotowcocktails geworfen haben. Es lässt sich schwer sagen, wie der Protest ohne den Rechten Sektor ausgegangen wäre.

Die LGBTQ-Community war zwar auch ein Teil des Maidans, wenn auch kein so militanter, trotzdem haben die Rechten nicht viel Liebe für Homosexuelle übrig. Für die erste Gaypride nach der Revolution jedenfalls, meldete der rechte Sektor eine Gegenveranstaltung an. Naja, eigentlich einen Angriff.

In der Kiewer Öffentlichkeit sorgte das Thema für einige Unruhe. Viele sprachen sich für den Marsch aus. Der Kiewer Bürgermeister Wladimir Klitschko hingegen bat die LGBTQ-Aktivisten, ihre Veranstaltung abzusagen. Letztendlich sprach der ukrainische Präsident Petro Poroschenko ein Machtwort. Er sehe keinen Grund, warum ukrainische Bürger nicht für die Rechte der LGBTQ-Community demonstrieren dürfen sollten, sagte er.

Die Sicherheitsmaßnahmen der Veranstalter machten den Kyivpride mehr oder weniger zu einer geheimen Veranstaltung. Wer teilnehmen wollte, musste einen Link zu seinem Facebook-Profil per Email verschicken – die Veranstalter prüften jedes einzelne. „Zieht bitte feste Schuhe an, keine bunten Klamotten, nichts freizügiges und küsst euch nicht" hieß es in den Sicherheitstipps der Veranstalter. „Wer hat, bringt bitte einen Erste-Hilfe-Kasten mit. Zitronensaft und Tücher helfen gegen Tränengas."

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Erst in der Nacht vor der Gaypride bekam ich eine SMS mit der Bestätigung, teilnehmen zu dürfen. Am nächsten Morgen um acht kam die SMS mit dem Treffpunkt, ein Golfclub im Stadtzentrum. Vor Ort war der Treffpunkt kaum zu verfehlen: Ungefähr eine Hundertschaft Polizisten mit Helmen und Schlagstöcken bildete eine Art menschliche Schleuse. In der Mitte der Polizisten musste man einem Aktivisten zeigen, dass man die Bestätigungs-SMS auf dem Handy hatte.

Hinter der Schleuse waren vielleicht 200 Teilnehmer versammelt, von den Ordnern säuberlich in 5er Reihen aufgestellt. „Prägt euch eure Gruppe gut ein!" Sagte ein Ordner meiner 5er Reihe. „Bleibt zusammen, egal was passiert, das ist sicherer." Neben mir packte jemand eine sorgfältig gefaltete Regenbogenfahne aus. Jemand anders hatte ein Din-A4 Blatt mit einer Parole über Gleichheit beschrieben. „Menschenrechte über alles," skandierte die Menge. Mit „Rebelliere, liebe und halte an deinen Rechten fest," ging es wenig später weiter. Aber wie gesagt, nach 50 Metern kam auch schon der Angriff.

Vielleicht 20 Nationalisten verschiedener Gruppierungen stürmten auf die Demo zu. Neben den Demonstranten stürmten die Polizisten ihnen entgegen. Einer der Polizisten erlitt bei den Rangeleien eine Schnittwunde am Hals. Ein paar der Nationalisten mussten wegen Platzwunden behandelt werden. Die Demo wurde fortgesetzt—200 Meter weiter war sowieso das Ende der Strecke erreicht.

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Die Polizisten hatten die eigentliche Demo geschützt. Für die Abreise aus der Gefahrenzone gab es allerdings keinen konkreten Plan mehr. Weder von den Veranstaltern, noch von der Polizei. „Packt eure Regenbogenfahnen besser ein," sagten die Polizisten. Auf dem Weg zur U-Bahn begann die eigentliche Hetzjagd der Nationalisten.

Einige von ihnen lungerten in kleinen Gruppen zwischen den Häusern herum. Andere fuhren mit Minibussen durch das Viertel. Als eine ukrainische Journalistin sie fragte, was sie denn dort in ihren Minibussen machten, sagten sie nur: „Rumfahren, schauen."

10 Teilnehmer des Gayprides wurden auf dem Weg nach Hause angegriffen. Ein Aktivist musste ins Krankenhaus gebracht werden.

Noch eine Stunde später und zwei Metrostationen weiter, habe ich eine kleine Gruppe Teilnehmer vor einem Einkaufszentrum wiedererkannt. Sie standen, um nicht aufzufallen, einzeln herum. Ein Junge und ein Mädchen aus der Gruppe umarmten sich und versuchten vergeblich, wie ein Hetero-Pärchen auszusehen.

Die Nationalisten haben nach dem Angriff übrigens Facebook-Gruppen gegründet. Sie versuchen dort die Teilnehmer anhand ihrer Fotos zu identifizieren. Genau wie ihre Gegenstücke in Russland das auch schon länger machen.