Wir haben uns die Bands auf den Stickern der Kneipen-Klos angehört

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Wir haben uns die Bands auf den Stickern der Kneipen-Klos angehört

Alles Scheißmusik? Eine Musikreportage rund um Pissoirs und Kloschüsseln.

Fotos: Adrian Bianco Werbung und Musik, eine durchaus komische, teilweise unterhaltsame, aber—wenn wir mal ehrlich sind—eine nie brauchbare Mischung. Oder habt ihr euch schon mal ein Silbermond-Album gekauft, nachdem euch die Band auf Plakaten entgegen gelacht hat? OK, schlechter Vergleich, niemand kauft sich sowieso ein Silbermond-Album („Gibt es die überhaupt noch??", fragt eine runzelige Oma ihre Oma-Freundin in einer meiner wirren Fantasien). Da ich mich aber schon immer für Musik interessiert habe und mittlerweile eine geraume Zeit in einer Werbeagentur arbeiten durfte und musste, liegt mir diese Mischung dann doch gar nicht mal so fern.

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So kam es also dazu, dass ich durch meine Liebe zu langen Nächten in Bars und den ein oder anderen Besuch der Toiletten und Pissoirs auf einmal feststellen musste, dass mir die wortwörtlich beschissenste Werbung für Musik als solches noch nie so wirklich aufgefallen war. Ich rede von etwas, das wir alle jedes verdammte Mal sehen, wenn wir leicht angetrunken, nüchtern oder eben komplett paniert zum Pissen gehen: Aufkleber. Aufkleber überall. Man pisst und wandert mit seinen Augen über die verschiedenen Designs und Bandnamen und an sich passiert in einem überhaupt nichts. Ich kenne niemanden, der während des Pissens auf einmal sein Handy gezückt hat, um mit seinen leicht angepissten Händen nach dem Namen einer der Bands zu googeln oder ihre Seite aufzurufen. Wie gesagt, die beschissenste Werbung der Welt.

Doch das wird sich ab dem heutigen Tag ändern! Ich bringe Licht ins Dunkel, wo normalerweise nur Urin in die Schüssel plätschert. Eine ganze Generation aus Musikern, Labels und welcher Scheiß sich auch immer hinten diesen Aufklebern versteckt, soll nicht umsonst durch nach Urin und Co. stinkende Toiletten gewandert sein, um ihre Werbung 20 bis 130 Zentimeter um meinen Penis herum zu platzieren.

Genug der Einführung. Ich habe mich mit einer Kamera bewaffnet und in der ersten Berliner Kneipen-Toilette dieser Serie ausgetobt, um euch fünf Fragezeichen hinter den armen, vernachlässigten Band-Stickern vorzustellen.

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1. Bad Brians

Starten möchte ich mit den Bad Brians. Einfach sofort eine gute Kombo finde ich, denn bis jetzt konnte ich den Namen Brian noch nie mit etwas Bösem verbinden. Und irgendwie ist dieser Bandname auch nicht das dümmste Wortspiel auf das Original (Bad Brains).

„Hardcore & Punk Rock Classics before 1990" schießt es mit entgegen, als ich die Webseite öffne. Genau mein Ding, denke ich mir:  Vor 1990 war ich nicht mal vier Jahre alt und Hardcore & Punk Rock ist auch nur knapp an meiner Liebe zu Rap und gefühlvollen Drake-Balladen vorbeigeschlittert. Ich erfahre nach kurzer Recherche ziemlich schnell, dass es sich bei den Bad Brians um eine Cover-Band handelt, die so ziemlich jede Band auf der Welt gecovert hat, die ich nicht kenne. Die Bad Brians gibt es anscheinend schon seit 1994 und ihre Mitglieder scheinen zumindest ihrer eigenen Beschreibung nach zu den Legenden und Dinosauriern der Szene zu gehören. Nach einem kurzen Reinschauen in ihr Video bin ich mir sicher, dass der ein oder andere Hardcore- und Punk-Rock-Fan mich gleich hassen wird, aber nee, „Fuck This Shit I'm Out." Statt Hardcore Worldwide suche ich das Weite.

2. Bomb Texas

Weiter geht es mit Bomb-Texas.com. Letzte Woche waren US-Wahlen, ich finde, das passt ganz gut. In Texas lebt zwar nur Georg W. Bush und kein Trump, aber der Aufkleber ist auch schon alt. Die Seite lädt und als allererstes sehe ich fünf coole Typen dynamisch in Stühlen hocken. Der Rest der Seite ist leider etwas leer. Das einzige, was man hier tun kann ist, sich für den „Schurkenbrief" (Newsletter) zu registrieren. Ich beschließe, die Email des Noisey Chefredakteurs einzugeben, denn so verpasst er nichts mehr von den Jungs und sie haben gleich mal ne Bomben Connection. Außer des Impressums bleibt leider alles leer oder die komplette Seite hängt sich gleich auf. Ich versuche es mindestens fünf Minuten. Nichts geht hier mehr. Nicht mal mehr die Startseite. Ein einziger User scheint die Seite in die Knie zu zwingen. Es muss  sich hier um einen prähistorischen Server handeln und ich bin hier wohl leider zu spät dran. Die Band scheint Geschichte zu sein oder eine neue Homepage zu haben. Ich hätte zu gern erfahren, was sich unter dem Menüpunkt „H.O.R.S." verborgen hat. Ich beschließe den Noisey Chefredakteur zukünftig nach Updates über die Band zu fragen—er wird es ab jetzt ja wissen.

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3. Lebeblog.de

Ich entschließe mich als Nächstes für etwas Positives. „Lebenssinn" ruft es mit entgegen, Lebeblog.de lautet die Adresse. Ich bin allgemein viel zu negativ und denke, vielleicht wird das mein Leben endlich in die richtige Richtung leiten. Die Seite lädt und als Erstes werde ich gefragt, ob ich mich für den kostenlosen Newsletter anmelden will … (Hehe). Nachdem ich das erledigt habe, kann ich mich endlich der Seite selbst widmen. „Selbstverwirklichung" schreit es mir entgegen, darunter folgende Zeilen: „Der Sinn deines Leben ist es, dein wahres Selbst zu erkennen und zu verwirklichen. Der Wegweiser ist deine Freude und die Sehnsucht nach Wahrheit. Schön, dass du hier bist. Beginne hier mit dem Abenteuer der Selbsterforschung." Leck mich am Arsch auf keinen Fall, denk ich mir. Musik gibt es hier auch keine. Ich beschließe noch kurz, einen kleinen Test, den die Seite anbietet mitzumachen; 13 Fragen, die mir am Ende beantworten sollen, wie sehr Selbstverwirklicher ich bin. Ergebnis: Zu 38% bin ich ein Selbstverwirklicher. Wie gesagt, leck mich am Arsch.

4. Klangrainer

Die nächste Band: Klangrainer. Der Name ist einfach großartig. Chapeau, ich bin gespannt. Die Seite ist schon etwas moderner, es gibt zumindest Hyperlinks zu Facebook, Spotify und Co. (feuchte Träume für Bomb-Texas). Die Band gibt über sich selber an, dass „der Name verspricht was er hält" (lustig) und Klangrainer durch „rhythmisch-melodisch wohl durchdachte Arrangements" zum Tanzen auffordert (oha). Das Akkordeon spielt übrigens ein gewisser Kevin, wie ich noch am Ende des Textes erfahre—Zeit für eine Hörprobe. Ich höre mir „Die Taube hinkt" auf ihrer Bandcamp-Seite an. Etwas funky, vielleicht etwas Ska … Gott, ich habe keine Ahnung, was das ist, aber ich wippe kurz mit dem Kopf. Das nächste Lied mache ich nach 30 Sekunden Trompeterei aus. Von Kevin habe ich leider nichts mitbekommen.

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5. Dead Kittens

Mein letzter Aufkleber sollen die Dead-Kittens werden (rechts unten).  Mir gefällt das Bild (ist das eine Katze, die einen Godzilla-Laser aus dem Maul schießt?) Man könnte sagen, auch diese Seite ist sehr minimalistisch aufgebaut, aber nur, wenn man das Wort „erbärmlich" in einen etwas wärmeren Mantel packen wollen würde. Auf der Titel-Slide springt mit ein ziemlicher funky Dude mit wilden, langen Haaren und herausgestreckter Zunge entgegen. Er hat ein bisschen was von einem Sozialpädagogen nach einem Bier auf einem Sportfreunde-Stiller-Konzert. Rockt so richtig. Die Navigation der Seite lässt einen nur zwischen About und Contact wählen. Ein About gibt es aber trotzdem nicht—dafür ist eine Playlist eingebettet. Das erste Lied „City Lies" geht los, der Anfang hört sich an wie ein Sega Arcade Game in einer Spielhalle—etwas elektronisch, etwas funky. Kurz danach fängt jemand an zu singen, zu schreien und ziemlich gut im Rhythmus zu grooven. Ich höre mir das Lied bis zum Ende an—ziemlich gut, muss ich sagen. Irgendwie anders, ich würde sogar behaupten, leichte Züge eines Chilly Gonzales zu erkennen. Ich höre mich noch durch den Rest der Liste. Das Zeug gefällt mir wirklich gut, also zumindest im Kontrast zu dem Rest davor. Oder es ist  vielleicht wirklich großartig. Hört es euch bitte selber mal an, das kann man schon mal machen.

Nach fünf Aufklebern fühle ich mich ziemlich gut unterhalten. So gut, dass ich mir fest vornehme, ab jetzt öfters verschiedene Bars abzuklappern, um der beschissensten Promo der Welt zu frönen. Ich denke, da geht noch was. Servus.

***

Trefft Adrian Bianco jeden Tag hier und auf Biancissimo.

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