Was zur Hölle geht eigentlich mit der 'Heute'?
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Was zur Hölle geht eigentlich mit der 'Heute'?

Herausgeberin Eva Dichand bezeichnete 'Heute' einmal als den "guten Boulevard". Was ist an dieser Aussage dran?

Hier lest ihr außerdem, was zur Hölle eigentlich mit oe24 und der Kronen Zeitung geht.


"Kein Morgen ohne Heute." So lautet der Slogan von Österreichs größter Gratis-Tageszeitung. Seit ihrer Gründung im Jahr 2004 hat sie ihn programmatisch zur Wahrheit für viele Österreicherinnen und Österreicher gemacht – ob wir nun wollen oder nicht.

Täglich erreicht das Blatt bis zu eine Million Menschen in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich und dem Burgenland, viele davon in den Öffis und Öffi-Stationen auf dem Weg zur Arbeit, wo die Zeitung quasi omnipräsent ist. Insgesamt gibt es über 3500 Entnahmeboxen. Laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins Profil soll Heute künftig übrigens bis zu 300.000 Euro Presseförderung erhalten.

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Aufgrund eines Vertrages durfte die Tageszeitung lange Zeit exklusiv in den Räumlichkeiten der Wiener Linien verteilt werden, was vor allem Wolfgang Fellner und sein Österreich-Medienhaus so sehr störte, dass er gerichtlich gegen diesen Umstand vorging und Recht bekam, woraufhin die Wiener Linien in Berufung gingen.

Besagte Entnahmeboxen und der langjährige Exklusivvertrag mit den Wiener Linien dürften unter anderem ausschlaggebend für den Erfolg des Boulevardblattes gewesen sein. Oder um es mit den Worten des deutschen Medienwissenschaftlers Michael Haller auszudrücken, der im Jahr 2009 eine Studie zu Gratis-Zeitungen veröffentlichte: Gratiszeitungen wirken wie Heschreckenschwärme. Ein Sinnbild, das sich gut auf den rasanten Aufstieg der Heute gut ummünzen lässt.

Ist Heute tatsächlich der "gute Boulevard"?

Heute-Herausgeberin Eva Dichand selbst sieht Heute als den "guten Boulevard"; und damit in Opposition zum bösen Rest des Boulevards. Eine Aussage, auf die Florian Skrabal von der Rechercheplattform Dossier sagt: "Heute ist für die eigenen Ansprüche sicher gut gemacht. Dennoch: Boulevard bleibt Boulevard."

Für Chefredakteur Christian Nusser, der zuvor bei Österreich, dem Kurier und der Arbeiter-Zeitung tätig war, liegt der Erfolg von Heute am Selbstverständnis als "Boulevard mit Herz und Hirn", wie er auf Nachfrage von VICE erzählt. "Die redaktionellen Erfolgskomponenten sind: Positiv sein, pfiffig, anders, politisch ausgewogen, Geschichten auf den Punkt bringen und einen guten Mix aus News und Unterhaltung bieten", sagt Nusser.

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Wie "pfiffige" Geschichten in der Realität im schlimmsten Fall aussehen können, zeigte sich erst kürzlich im Rahmen der Berichterstattung zur Nationalratswahl. Am Wahlabend veröffentlichte die Heute online einen Artikel mit dem Titel "Gewagtes Outfit: Nadja Bernhard versext Wahl", in dem das Outfit der ORF-Moderatorin abschätzig als "sehr freizügig" kommentiert wurde.

Schon kurz nach der Veröffentlichung war der Artikel wieder offline. Auf Nachfrage der Wienerin erklärte Online-Chefredakteurin Maria Jelenko, der Artikel sei "in der Hitze des Wahlgefechts" verfasst worden und wurde schließlich gelöscht, weil sie ihn "unangemessen" fand.

Aber das ist längst nicht der einzige "pfiffige" Artikel, den die Heute seit ihrem Bestehen veröffentlicht hat. Um weitere Beispiele zu finden, muss man auch nicht lange suchen: Im August 2016 titelte die Zeitung nach dem Gerichtsprozess gegen den Lobbyisten Peter Hochegger mit "Früher bekannt, jetzt Negerant!", daneben der tägliche Wetterreim "Sonnig und warm – So hat der Spätsommer echten Charme", darunter eine Aufmachergeschichte über eine Katze. Im September 2017 prangten die Worte "Orgasmus-Anfall im Drogeriemarkt!" auf der Titelseite.

Aber nicht nur auf eine "positive Grundstimmung" wird bei der Heute Wert gelegt, auch die Meinung der Userinnen und User ist den Macherinnen und Machern offenbar wichtig. Immer wieder erfragen die Redakteurinnen und Redakteure die Meinung der Leser zu Themen wie dem Karpfenkalender oder anderen tagesaktuellen Geschehnissen.

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Die Meinung der Leserinnen und Leser zu aktuellen Themen erfasste die Heute online auch einige Zeit anhand eines Stimmungsbarometers: Hier konnte man konkrete Artikel anhand einer Smiley-Skala bewerten. Dieses Barometer zeigte, dass User Artikel zu toten Flüchtlingen oder Flüchtlingskindern, die von Ferienspielen ausgeschlossen wurden, häufig mit "Juchhu!" oder "LOL" bewertet hatten. Daraufhin reagierte das Medium und deaktivierte dieses Tool auf Artikelebene. Seit einem Re-Design der Seite gibt es das Feature in dieser Form nicht mehr.

Im Dezember 2012 brachte ein Bericht zu einem mutmaßlichen Mord in Klagenfurt die Heute in Bedrängnis: Über den Täter wurde geschrieben, dass er aus einem Land stamme, das sich "hinter dem Halbmond" befinde, wo "das Gesäß beim Beten höher ist als der Kopf". Chefredakteur Nusser entschuldigte sich damals für die rassistische Ausdrucksweise; die Verfasser des Artikels wurden beurlaubt.

Als weitere Folge dieses Artikels entwickelte die Redaktion in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat einen Verhaltenskodex. Die Selbstdefinition aus diesem für alle verbindlichen Kodex schickt uns Nusser auf die Frage, was Heute als selbsternannten "guten Boulevard" von anderen österreichischen Boulevardblättern wie Krone oder Österreich unterscheide:

  • Heute ist ein Boulevardmedium mit Qualitätsanspruch. Wir wollen gehört werden, aber nicht laut sein. Wir haben klare Grenzen in der Berichterstattung. Wir, nicht Marktinteressen, entscheiden, worüber wir berichten – und worüber nicht.
  • Heute vermittelt in Digital und Print eine positive Grundstimmung, in den Artikeln, vor allem aber bei der Gesamtgestaltung von Seiten. Das Glas ist halbvoll und nicht halb leer.
  • Heute ist sprachlich zurückhaltend. Wir übertreiben nicht, wir nennen Menschen nicht Monster und dergleichen, nicht jedes Ereignis löst einen Schock aus.
  • Heute ist keine Zeitung nur für Männer. Rund die Hälfte unserer Leserschaft ist weiblich. Heute nimmt sprachlich und inhaltlich darauf Bedacht.
  • Heute ist politisch neutral gegenüber allen Parteien innerhalb des Verfassungsbogens. Die Berichterstattung hat ausgewogen zu sein. Die persönliche, politische Einstellung darf keine Rolle spielen.
  • Heute hetzt gegen nichts und niemanden. Die Herkunft von Menschen wird genannt, wo das sinnvoll erscheint, aber nicht in den Vordergrund (Titel) gerückt, außer dieser Hintergrund ist für das Erzählen der Geschichte von maßgeblicher Bedeutung.
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Auf dem Medien-Watchblog Kobuk findet sich übrigens eine Liste an weiteren vermeintlichen Fehltritten der Heute: Im März 2015 schrieb die Heute beispielsweise über einen angeblichen Dschihadisten im Gemeindebau, obwohl laut Angaben der Polizei kein Terrorverdacht vorlag. Auch unzureichend oder irreführend gekennzeichnete Werbung scheint immer wieder ein Thema zu sein.

Die vermeintliche Freunderlwirtschaft bei der Heute

Eine Sache, die bei der Heute immer wieder eine große Rolle zu spielen scheint, ist die für Österreich (das Land, nicht die Tageszeitung) so typische Verhaberung. Herausgegeben wird die Heute von Eva Dichand, Schwiegertochter von Hans Dichand und Ehefrau des Herausgebers der Krone, Christoph Dichand.

Verbindungen zwischen den Medienhäusern werden übrigens immer wieder dementiert, zu Lebzeiten dachte Hans Dichand jedoch des öfteren laut über eine Kooperation oder einen Kauf nach. Bis August 2016 besaß Eva Dichand die Mehrheit an Heute, wo dem Opernball-Outfit der Chefin gerne mal ein eigener Artikel gewidmet wird.

Im Jahr 2014 fand Kobuk heraus, dass ein User mit einer IP-Adresse des Heute-Medienhauses versucht hatte, Eva Dichands Alter auf Wikipedia zu ändern und sie jünger zu machen. User, die sie verjüngten, bearbeiteten auf Wikipedia auch Auflagenzahlen und ähnliche Details von Heute – und Sticheleien gegen den Konkurrenten Österreich.

Wer die Heute überhaupt gegründet hat, zählt laut Skrabal von Dossier zu einem der am besten gehüteten Geheimnisse der Republik. Die Rechercheplattform hat sich schon des öfteren mit genau dieser Frage beschäftigt: So sollen Hinterleute in einem "Netz aus Privatstiftungen und Treuhändern" versteckt sein, die nach der Einstellung des Vorgängers U-Express das Business Heute starteten.

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Diese Seilschaften schlagen sich bei der Heute auch in anderer Form nieder: Das Blatt wird immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, Inseratenkunden in der Berichterstattung wohlwollend zu behandeln. Und Inserate, beispielsweise von der Stadt Wien und ihren Unternehmen (wie zum Beispiel den Wiener Linien) waren laut Dossier neben dem Geschäftsmodell und dem Deal mit dem Verkehrsbetrieb auch nicht ganz unschuldig am Erfolg von Heute. Für Chefredakteur Christian Nusser sind diese Vorwürfe vor allem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber ungerecht, "die jeden Tag einen großartigen Job machen".

In einem Artikel mit dem Titel "Inserate machen den Ton" fand Dossier heraus, dass der Vorwurf, positive Berichterstattung werde gewissermaßen mit Inseraten gekauft, nicht so weit hergeholt ist. Die Politologen Günther Lengauer und Lore Hayek stellten in einer wissenschaftlichen Untersuchung einen Zusammenhang in den Zeitungen Heute und Österreich fest. Eva Dichand bestritt die Vorwürfe damals.

Nach seinem Abgang (aufgrund einer Story über Faymann) sprach der ehemalige Heute-Chefredakteur Wolfgang Ainetter mit der deutschen Bild-Zeitung über seine Zeit bei der Heute und erzählte, dass sich Politiker in die Medien einkaufen würden, um ihre Macht abzusichern und Interventionen von oben Alltag seien. Kritischer Journalismus sei außerdem ausdrücklich verboten worden. In Bezug auf diese unterstellten Zustände erklärt Christian Nusser auf Nachfrage von VICE, dass ihm in seinen 33 Jahren als Journalist und 21 Jahren als Chefredakteur noch nie mehr als eine Flasche Wein angeboten worden sei.

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Die Erzählungen von Ainetter könne er nicht wirklich beurteilen, so Nusser: "Ich kann naturgemäß zu den Ereignissen, die Wolfgang Ainetter beschreibt, nichts sagen, da ich nicht dabei war, aber auf mich wirkt das mehr wie eine Episode aus Baby Schimmerlos als aus dem realen Alltag gegriffen. Ich finde es auch grundsätzlich seltsam, wenn Behauptungen ohne Beweis, ohne Nennung von Namen, ohne Erwähnung, dass dies dementiert wird, ohne Gegenrecherche als Faktum dargestellt werden. Mir haben weder Frau Dichand noch Herr Jansky [Anm.: einer der Geschäftsführer] jemals Geschichten aufgetragen und/oder verboten. Ob der Grund dafür in meiner Person liegt, müssen andere beurteilen. Jedenfalls: Wenn man einen exponierten Job hat, dann halte ich es mit dem Spruch: 'If you can't stand the heat, get out of the kitchen'."

Die Rolle der Heute in der Dreifaltigkeit des österreichischen Boulevard

Dass die Heute in der heiligen Dreifaltigkeit des österreichischen Boulevards tatsächlich der "gute" ist, mag stimmen. Im Gegensatz zu Österreich und Krone wirkt das Blatt beinahe gemäßigt und harmoniebedürftig. Außerdem wird immer wieder der Anschein der Kritikfähigkeit und Selbstreflexion geweckt.

Während man bei oe24, der Online-Plattform von Österreich, unbeirrt über den Weltuntergang und andere Horrorszenarien berichtet oder auch in der Wahlberichterstattung auf jede Faktengrundlage verzichtet, und der Chefredakteur von krone.at offen sagt, er schätze heute den Vorteil, eine Fehlentscheidung rasch wieder von der Startseite verschwinden lassen zu können, kann man bei der Heute Fehler zumindest zugeben.

Allerdings: Bei Konkurrenten, die sich immer wieder selbst unterbieten, ist es auch nicht so schwer, der "gute Boulevard" zu sein.

Verena auf Twitter: @verenabgnr

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