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Schönheit

Wir haben an einer Miss-Wahl für Kühe alles zum perfekten Euter erfahren

"Die guten Beine hat sie von ihrer Mutter."
Stefan zeigt den Euter seiner Gewinnerkuh | Alle Fotos vom Autor

Auf 5,5 Menschen lebt in der Schweiz ein Rind. Kein Wunder kommt keine Tourismusbroschüre ohne ein Hochglanzbild der friedlichen Wiederkäuer aus. Lebst du aber in einer Stadt, was ziemlich wahrscheinlich ist bei drei Vierteln Stadtbevölkerung, kommst du abgesehen von Wanderausflügen wohl eher selten in Berührung mit diesen Tieren. Dass sie nicht lila wie eine Milka-Kuh sind, wissen zwar viele Schweizer (die meisten Kühe sind braun), was aber eine ordentliche Kuh ausmacht, wissen unter Stadtkindern wohl die allerwenigsten.

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Jedes Jahr im Herbst, wenn die Kühe ihre Sommerresidenzen wieder verlassen und in die Ställe in den Talebenen zurückkehren, schicken Bauern ihre schönsten Kühe an Viehschauen in der ganzen Schweiz. Weil man als Besitzer einer echten Kuh-Miss unter Bauernkollegen auch ordentlich angeben kann, stylen manche Bauern ihre Kühe davor auch schon mal mit Zuckerwasser und Cola – was vor einigen Jahren auch schonmal zu einer handfesten Auseinandersetzung zwischen einem Bauern und dem Veranstalter einer Kuhschau führte, weil letzterer frisierte Kühe wegen einer strikten "Kein Styling"-Regel disqualifizierte.

Seltener Anblick: Kühe vor besprayten Stadthäusern

Im Gegensatz zu menschlichen Miss-Wahlen sind die Kühe nicht nur zum schön sein da, sondern arbeiten abseits der Modelszene als ganz normale Milchkühe. Bauer zu sein ist übrigens ein harter Knochenjob: Selbstständige Bauern arbeiten in der Schweiz durchschnittlich 60 Stunden pro Woche17 Stunden mehr als der Durchschnitt aller Vollzeitbeschäftigten. Wenigstens entschädigt der morgendliche Anblick ihrer Modelkühe – vorausgesetzt sie haben eine dieser Schönheiten auf ihrem Hof – diese Strapazen ein Stück weit.

Damit wir an unseren zukünftigen Wanderausflügen beim Kühestreicheln mitreden können, haben wir uns in den Zürcher Randbezirk Albisrieden begeben. Dort findet jedes Jahr die einzige Viehschau in der Stadt Zürich statt – perfekt für uns faule Stadtkinder, denn dorthin kommen wir auch bequem mit dem Tram.

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An der Viehschau treffen Stadtkinder auf Traditionen vom Land

Die Viehschau in Albisrieden ist keine normale Viehschau. "90 Prozent der Leute hier sind Schaulustige. Normalerweise sind wir Bauern und Viehexperten unter uns", erklärt mir Stefan Gut, der selbst Kühe züchtet und bewertet. Seit 30 Jahren geht Stefan an diese Viehschau, dieses Jahr darf er seine Kuh Rosalie stolz als die schönste Kuh von Zürich bezeichnen: Unter den rund 100 Mitbewerberinnen gewann sie die Gesamtwertung. Stefan war so nett, seinen Umtrunk unter Freunden nach der Viehschau zu unterbrechen, um mir zu erklären, was die Schönheitskönigin unter den Vierbeinern so besonders schön macht. Während dem gesamten Interview standen wir am Hinterteil der Kuh und mir wurde klar, dass ein schönes Gesicht allein wohl keine Miss Zürich machen würde.

VICE: Danke für deine Zeit, Stefan. Erklär mir zuerst mal, was denn eine Kuh schön macht?
Stefan: Das sind hauptsächlich vier Faktoren. Der Körperbau, die Beine, das Becken und natürlich das Euter. Letzteres melken wir ja zwei- bis dreimal täglich und es macht 40 Prozent der Bewertung aus.

Hast du vorher schon gewusst, dass deine Rosalie eine Hübsche ist?
Beim Durchsehen der Kühe habe ich gleich erkannt, dass sie gute Chancen hat. Rosalie heisst sie übrigens, weil meine Frau ein grosser Fan von Drei Haselnüsse für Aschenbrödel ist. Die Eule in dem Film heisst so.

Landgefühl in der Stadt

Was gefällt dir an Rosalie besonders gut?
Schau mal, siehst du den geraden Rücken?

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Kerzengerade!
Fast noch wichtiger sind aber die Beckenknochen. Das Becken fällt leicht ab, weil der hintere Knochen tiefer liegt als der vordere. Dadurch entleert sich der Harnweg beim Urinieren optimal. Wäre das andersrum, würde der Urin in den Befruchtungsbereich zurücklaufen und die Befruchtung hemmen.

Ein breiter Hintern ist auch wichtig, damit das Entbinden problemlos klappt. Rosalie erfüllt das schon verdammt gut.

Ein schöner Hintern also, was ist mit den Beinen?
Ein gesundes Bein muss feingliedrig und nicht zu stark angewinkelt sein. Rosalie muss ja schliesslich im Laufstall den ganzen Tag lang grosse Distanzen zurücklegen.

Bier und Schnaps gehören nach der Viehschau dazu

OK, kommen wir zum Wichtigsten. Ein pralles Euter, richtig?
Das Wichtigste ist, dass die Adern an den Eutern stark herausschauen und somit "drüsig" sind. Das ist ein Zeichen für eine hohe Milchleistung. Eigentlich ist Rosalies Euter aber nicht optimal, es ist etwas kurz. Trotzdem ist es aber noch ziemlich straff, dafür dass sie schon vier mal gebärt und in ihren jungen sechs Jahren schon 40.000 Kilogramm Milch produziert hat.

Auch bei Kühen gelten straffe Euter also als schöne Euter?
Wenn die Euter runterhängen, kann es passieren, dass sie selbst oder eine andere Kuh auf ihre Zitzen steht.

Autsch!
Ja, und wenn sich eine Kuh ihre Zitzen stark verletzt, macht sie das unrentabel und das ist eigentlich ihr Todesurteil. Wir Bauern haben unsere Kühe sehr gern und achten gut auf sie, aber schlussendlich sind sie auch Nutztiere.

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Wenn ich das richtig verstehe, darf eine Kuh, die all diesen Idealen entspricht, auch länger leben als ihre etwas weniger schönen Freundinnen im Stall?
Ja klar, solange eine Kuh fruchtbar ist und viel Milch gibt, darf sie auch leben. Musst du eine Kuh zehnmal besamen, bis es klappt, läuft ihre Zeit wohl ab.

Rosalie (mit Gesicht) und ihr Besitzer Stefan

OK, was kann man als Kuh denn machen, um eine Miss zu werden?
Das liegt in der Familie. Schon Rosalies Urgrossmutter galt als eine der schönsten Kühe der Schweiz. Die guten Beine hat sie von ihrer Mutter, die Grösse von ihrem Vater. Hier sieht man, dass bei einer wirklich schönen Kuh der Glanz und die Schönheit über Generationen erhalten bleiben. Wobei, persönlich finde ich sie sogar etwas zu gross – mir gefallen schlankere Kühe besser.

Auch eine Schönheitskönigin ist also nicht frei von Figurproblemen. Wir haben bis jetzt nur von ihrem Hintern gesprochen. Interessiert das Gesicht denn überhaupt nicht?
Das kommt auf den Geschmack des Züchters an. Aber ja, sie ist schon zu dick am Hals, auch der Kopf ist etwas zu grob, ich suche eher feine Kühe.

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