"Ich weine" – Staiger über sein gescheitertes Gespräch mit einem Spitzenpolitiker
Foto via Facebook aus dem Video von Hyperbole TV

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Staiger vs das Elend der modernen Welt

"Ich weine" – Staiger über sein gescheitertes Gespräch mit einem Spitzenpolitiker

Für die 'Straßenwahl' traf Bushido auf Beatrix von Storch und jetzt Marcus Staiger auf Jens Spahn von der CDU. Bei uns erklärt er, warum solche Formate zum Scheitern verurteilt sind.

"Natürlich mache ich mit. Solche Politiker esse ich zum Frühstück", brülle ich ins Telefon, als mich der Anruf erreicht. Niko Hüls von der Backspin hat mich gerade gefragt, ob ich an diesem Fernsehformat teilnehmen wolle, bei dem sich "Leute aus der Hip Hop Szene mit Politikern treffen" und selbstverständlich sage ich sofort zu. "Ist mir auch egal, wer es ist", sage ich und denke in meiner gnadenlosen Selbstüberschätzung, dass ich sowieso alle scheiße finde und jeden vernichten würde. Ganz egal, ob ich eine Minute oder vier Wochen Vorbereitungszeit habe: "Ich ficke die alle. Mir egal, wer da sitzt" und so stolpere ich hinein, in ein Erlebnis, das mich noch tagelang verfolgen wird.

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In politischen Zeiten wie diesen dachten sich findige TV-Produktionsfirmen, dass es doch eigentlich mal eine gute Idee wäre, ganz normale Menschen auf Politiker loszulassen, damit die einen ihre Nöte und Beschwerden direkt beim Adressaten abladen und die anderen ihre Volksnähe unter Beweis stellen können. Formate wie "Volksvertreter" von ZDF Neo wurden aufgelegt und eben auch das Konzept "Straßenwahl", in dessen Rahmen Bushido auf den AfD-Storch (Beatrix von) oder Massiv auf den grünen Anton Hofreiter traf.


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Viel Lob haben die Sendungen allerdings nicht einfahren können und so richtig geil fand das offensichtlich keiner. Zu unbedarft die Rapper. Zu eloquent die Politiker und irgendwie war anscheinend allen schon von vorneherein klar, dass der Pöbel mit den Profis aus dem Politikgeschäft argumentativ nicht mithalten kann. Selbst ein Disarstar, der sich wirklich intensiv auf sein Treffen mit FDP Frau Katja Suding vorbereitet hatte, wurde vom Rap-Experten der Welt Dennis Sand mit Häme überschüttet:

"Noch schlimmer nur: Disarstar, der sich in seinen Texten klar links verortet und sich in beispielloser Weise selbst vorführte, als er Katja Suding (FDP) wie eine schlechte Mittelstufenschülerparodie seine pauschalisierenden Scheinargumente von einem Blatt Papier vorlas."

Nun also ich. Meine Chance zu glänzen und alles anders zu machen. Die Hoffnung einer ganzen Generation lastet auf mir, wenn nicht sogar ganzer Generationen. Ich bin bereit. Yeah.

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Der Auserwählte heißt Jens Spahn (CDU), ist Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und ich soll für die kurzfristig erkrankte Sookee einspringen. Ach, hätte sie es doch bloß gemacht. Wäre sie doch nur nicht krank geworden. Dann hätte ich mich weiterhin auf meiner Couch platzieren können und wäre weiterhin der beste Politikexperte der Welt gewesen. Ich hätte schreien und toben können, hätte ungefragt Ratschläge und Lob verteilt und wäre in meiner Selbstachtung immer noch einigermaßen hoch im Kurs. So aber war ich mittendrin statt nur dabei und erlebte mein persönliches Waterloo.

Fehler Nummer eins: Wir duzen uns.

Jens Spahn kommt zu spät, ist dafür aber gut gelaunt und wahnsinnig locker drauf. Ich will gleich die Machtverhältnisse klar stellen und schlage das Du vor, was er mit einem Schulterzucken annimmt und was im Folgenden zu einer unangenehmen Kumpelhaftigkeit führt. Er weiß gar nichts über mich, während ich mich, in der Kürze der Zeit, tatsächlich auf ihn vorbereitet habe. Ich bin ihm offensichtlich vollkommen egal, während ich mir überhaupt nicht egal bin und mir die die ganze Zeit Gedanken mache, wie ich wirke und ob ich seriös genug rüberkomme und wie und mit welchen Argumenten ich ihn am besten ausstechen könnte.

Bei meinen Recherchen habe ich eine Geschichte gefunden, von der ich denke, dass ich ihn damit erwischen könnte. Es ist ein bisschen kompliziert, aber ich habe fest vor, anhand dieser Geschichte zu beweisen, dass seine Ansichten und die der Bundesregierung scheiße sind. Es geht um die neue Afrika-Politik, in deren Rahmen das Bundesfinanzministerium zusammen mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einen Fond aufgelegt hat, bei dem Privatinvestoren Geld leihen können, das sie in Afrika investieren sollen. Der Clou an der Sache ist, dass sie dabei keinerlei Risiko eingehen, da der Bund eventuelle Verluste absichert, während die Gewinne allein den Investoren zustehen. Neben allerlei inhaltlicher Kritik an diesem Projekt – das nach Meinung von Hilfsorganisationen große Konzerne bevorzugt, die mit diesen Geldern exzessives Landgrabbing betreiben und so die wirtschaftliche Lage in afrikanischen Ländern nur verschlimmern – ist dieser Fond auch noch im Steuerparadies Luxemburg aufgelegt, da er nach deutschem Recht hierzulande gar nicht funktionieren würde.

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"Ha!!!!", denke ich mir, das ist doch die Falle, in die ich so einen Staatssekretär aus dem Bundesfinanzministerium locken kann. Das sind doch knallharte Fakten, die ich so einem aalglatten Politiker an den Kopf werfen kann, worauf er straucheln und fallen wird und dann werde ich ihm den Holzpflock meiner Kritik tief in sein Politiker-Vampir-Herz stoßen und ihn auslöschen. Etwas zu schnell für meinen Geschmack kommt das Gespräch tatsächlich auf das Thema Afrika und umständlich lese auch ich, zur Freude von Dennis Sand, meine zusammengetragenen Fakten von einem Stück Papier ab sowie den Namen des besagten Fonds, der immerhin mit ein paar Hundert Millionen Euros beim Bundesfinanzminister versichert ist. Jens guckt ein bisschen überrascht, ungefähr eine Millionstel Sekunde. Er zwinkert. Dann sagt er: "Also von diesem Fond weiß ich nichts, davon gibt es ja einige und das ist ja nicht das einzige Programm, das wir für Afrika aufgelegt haben", zwinkert noch einmal kurz und … plopp, mein kleines argumentatives Kartenhaus fällt ganz leise in sich zusammen. Ein kurzer Luftzug weht durchs Cafe und schon reden wir über die Segnungen von Mikrokrediten, die vor allem an Frauen vergeben werden, weil die afrikanischen Männer ja nicht mit dem Geld umgehen können und ich höre mir diesen Quatsch an, ohne wirklich zu widersprechen. Meine eigenen Argumente kommen mir in diesem Moment so lahm und abgeschmackt vor, dass ich sie gar nicht laut aussprechen möchte, aus Angst, dass dieser Prophet der freien Marktwirtschaft sie kaputt reden könnte.

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Jens Spahn sagt Dinge, auf die ich in diesen Momenten nichts zu erwidern weiß und am nächsten Tag sitze ich auf meinem Fahrrad und schreie gequält auf, wenn diese Momente in Schleife vor meinem geistigen Auge vorbeiziehen. Immer und immer wieder. Ich schlafe schlecht. Ich trinke viel, in dieser Zeit.

Ich höre, wie Jens auf die Frage, ob Twitter als politisches Medium funktioniert, die staatstragende Antwort gibt: "Ach, man kann mit Twitter auch sehr kluge Sachen sagen, wie zum Beispiel Joachim Gauck, unser Bundespräsident." Dieser hat zum Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise nämlich folgendes Statement getwittert: "Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind beschränkt", und hat damit, laut Spahn, "die Sache in 140 Zeichen doch ganz gut auf den Punkt gebracht."

Anstatt inhaltlich darauf zu reagieren und mal nachzuhaken, welche Möglichkeiten in einem der reichsten Länder der Welt denn da so wahnsinnig beschränkt sind, angesichts der Tonnen von Lebensmitteln, die wir tagtäglich wegwerfen oder der leerstehenden Wohnungen, in den vielen kleineren und mittleren Städten des Landes … Statt das zu sagen, was ich eigentlich sagen müsste, konzentriere ich mich voll und ganz auf die Twitter-Frage und versuche verzweifelt irgendeine freche und schlaue Antwort zu den Twitter-Verlautbarungen des amerikanischen Präsidenten zu finden. Ich finde keine. Ich antworte einfach irgendwas. Irgendetwas Dummes.

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Statt locker und leichtfüßig die, mit großer Selbstgefälligkeit vorgetragenen Phrasen des Herrn Politikers auszutanzen, verlege ich mich auf eine sture pubertäre Antihaltung. Verstockt sage ich Dinge wie, dass ich noch nie wählen war, was gar nicht stimmt, weil ich natürlich immer wählen war, mich aber wie jeder anständige Mensch in diesem Land, nach jedem Wahlgang schlecht und schmutzig gefühlt habe und mir aus diesem Grund jedes mal aufs Neue überlege, ob ich da überhaupt noch hingehen soll.

Dem Argument des Staatssekretärs, unbedingt zur Wahl zu gehen, damit die AfD nicht gewinnt, begegne ich nicht mit der Gegenfrage, was denn der inhaltliche Unterschied zwischen der AfD und der Bundesregierung ist, die ja immerhin auch jede Menge Geflüchtete abschiebt und immer wieder betont, dass Deutschland auch in zwanzig Jahren noch Deutschland bleibt und nicht Italien wird, sondern mit der trotzigen Behauptung, dass ich in den Untergrund gehen würde, sollte die AfD gewinnen … Und so reiht sich eine Peinlichkeit an die nächste. Was war da los?

Mit der anscheinenden rhetorischen Überlegenheit solcher Politikergestalten allein lässt sich der Belanglosigkeit des Formats im Allgemeinen und meine persönliche Blamage im Besonderen nicht erklären. Vielmehr liegt es eher daran, dass es sich bei diesen inszenierten Treffen der Protagonisten aus dem Politikbetrieb mit den Vertreterinnen und Vertretern des Volkes gar nicht um richtige Gespräche im handelsüblichen Sinn handelt. Ungefährdet vom Normalbürger können die Politikerinnen und Politiker ihre Argumente ausbreiten und ihre Standpunkte erläutern. Hat man dem keine eigenen entgegenzusetzen, hat man verloren. Geht man tatsächlich mit dem Gedanken hin, dass man da ein Gespräch führt, bei dem das Gegenüber zuhört, mitdenkt und regiert, ebenfalls. Die neuen bürgernahen Formate sind dann doch nicht viel mehr als die etwas anderen Wahlwerbespots der Parteien. Politikerinnen und Politiker müssen so ein Format lieben. Wir aber wurden hereingelegt und benutzt. Ich ärgere mich darüber. Am Meisten über mich selbst. Ich weine.

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