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Kommentar

Hypebahn? Wieso wir keine hippen Verkehrsbetriebe brauchen

Nach der Berliner BVG inszenieren jetzt auch die Hamburger den ÖPNV als Erlebnis – und fahren damit kolossal an die Wand.
Szene aus Hypebahn, Hypebahn
Screenshot: YouTube | HOCHBAHN

Auf freilaufende Tiere, laute Technomusik, krächzende Kinder und zugedröhnte Leute können die meisten Menschen im Bus oder in einer U-Bahn eigentlich verzichten. Die Hamburger Hochbahn aber wirbt genau damit in ihrem neuen Werbeclip – und ist dabei so lustig wie dönerfutternde Touristen, die montagmorgens um 9 Uhr aus dem Club in die Straßenbahn fallen. Vor allem ist es Ausdruck eines extrem nervigen Trends: Der zwanghaften Anbiederung von Verkehrsbetrieben an vermeintlich junge Fahrgäste.

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Werbung nach Plan (Hypebahn, Hypebahn) lautet der Titel des Videos, das neuerdings auf YouTube die Runde macht. Im zweiminütigen Clip tauchen auf, in chronologischer Reihenfolge: ein spuckendes Alpaka, Scooter-Frontmann HP Baxxter, die Influencerin Sofia Tsakiridou, ein kleiner Roboter und Rapper Das Bo. Ebenfalls anzutreffen: Fidget Spinner, Backpack Kid, eine Jean-Claude-van-Damme-Referenz und ein altes Old-Spice-Meme.

Wie das alles zusammenpasst? Gar nicht, ist aber auch egal. Die holzschnittartige Zusammenstellung abgedroschener Memes und Hamburger, naja, Prominenz soll in erster Linie knallen. Selbst die maschinell übersetzte Videobeschreibung kann eigentlich, hoffentlich nur ironisch gemeint sein: "HOCHBAHN climbs the first step towards Youtube Classics". Wer die Kommentare der ersten Tage liest, bekommt einen anderen Eindruck: "Argh, diese Schmerzen", "einfach nur peinlich", "Krebs", "schlechteste Werbung aller Zeiten", ist dort zu lesen. Die Hypebahn ist, um beim Thema zu bleiben, ein ziemliches Trainwreck.

Die letzte Haltestelle vor dem Meltdown

Nun haben es die Verantwortlichen der Hochbahn natürlich nicht leicht. Schon vor drei Jahren unkten deutsche Blogs, dass der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) gegen die Konkurrenz aus Berlin gehörig abstank: Denn während die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit Is mir egal die Latte der selbstironischen Werbeclips im Jahr 2015 eine ganze U-Bahn-Station höher legten, drehte der HVV noch Imagefilme, die spießiger waren als ein Reihenhaus in Wandsbek.

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Das kratzte offenbar am Hamburger Ego. Etwas musste passieren, und so schielten die Hamburger neidisch in die Hauptstadt und ließen sich vom Erfolg der BVG in den sozialen Netzwerken inspirieren. Die Hochbahn beauftragte eine Werbeagentur mit einer neuen Imagekampagne. Zunächst erschienen Werbeplakate mit mutmaßlichen lustigen Memes und jetzt eben Hypebahn, Hypebahn. Es ist die letzte Haltestelle vor dem Meltdown.

Was den Verantwortlichen niemand auf die Anzeigetafel schrieb: Hamburg ist nicht Berlin, und was in der Hauptstadt gerade noch als schnoddrig durchgeht, ist in der Hansestadt peinlicher als Fischbrötchen bei Nordsee kaufen. Du kannst nicht auf M10-Partytram machen, wenn du gleichzeitig in deinen Bahnhöfen ein Alkoholverbot durchsetzen willst.

Je spießiger ein Verkehrsbetrieb, desto besser

Die falsche Selbsteinschätzung der Hochbahn ist aber noch das kleinere Problem. Man kann eine Werbekampagne auch mal in die Alster setzen, kein Problem. Schlimmer ist die tiefer sitzende Ansicht, dass man als Verkehrsbetrieb in Deutschland zwangsweise hip und cool und jung und ironisch sein muss. Was mit der BVG angefangen hat, versuchen nun unter anderem auch die Deutsche Bahn und die Hamburger Hochbahn zu kopieren: Musik, Reime, Netzkultur! Denn das ist, was die Fahrgäste wollen. Und nicht etwa saubere Bahnhöfe, pünktliche Züge, stabile Ticketpreise und Kontrolleure, die einen nicht vermöbeln.

Dabei ist es doch so: Kaum eine andere Branche darf sich erlauben, so spießig zu sein wie der Öffentliche Personennahverkehr. Schon die Abkürzung ÖPNV klingt nach Amtstube, klimpernden Ticketautomaten und einem sonoren "Zurückbleiben Bitte". Und das ist in diesem Fall auch gut so: Wer täglich die U-Bahn, den Bus oder die Straßenbahn nutzt, will vor allem schnell ans Ziel kommen und nicht belästigt werden. Überdrehte Konzepte wie die Hypebahn inszenieren den Nahverkehr als Erlebnis, als Event für Groß und Klein, Jung und Alt. Dabei ist es in der Lebensrealität der Menschen genau das Gegenteil: Nichts ist mehr Mittel zum Zweck als der Bus.

Es ist ja nicht so, als müssten die Verkehrsbetriebe in deutschen Großstädten groß um ihre Fahrgäste buhlen. Die Fahrgastzahlen im ÖPNV steigen weiter, nie zuvor fuhren so viele Menschen in Deutschland mit Bussen und Bahnen. In Städten geht der Trend zum Auto unter jüngeren Menschen zurück. Und wer Radfahrerin, Fußgänger oder Elektrorollerfahrer aus Überzeugung ist, wird sicherlich nicht umsteigen, nur "weil die BVG immer so schlagfertig auf Twitter ist" oder "die Hochbahn dieses geile YouTube-Video mit HP Baxxter gemacht hat".

Womit die Verkehrsbetriebe stattdessen punkten sollten: Mit klugen und modernen Ticketkonzepten. Mit nachhaltig betriebenen Busse und Bahnen. Mit freundlichen Mitarbeitenden. Mit reibungslosen Betriebsabläufen. Klar, das klingt alles ziemlich langweilig, so gar nicht socialmediatauglich. Aber in Wahrheit wäre all das fortschrittlicher als eine Sammlung zynischer Gags und wahllos zusammengeklöppelter Memes. Also, bevor es zu spät ist: Aussteigen bitte.

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