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Foto: Screenshot von YouTube aus dem Video "LINDEMANN - Mathematik ft. Haftbefehl (Official Video)" von Lindemann Official

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Kommentar

Rammstein-Fans meckern arrogant über Haftbefehl, ohne zu checken, worum es im neuen Song geht

"Deutsche Sprache beschmutzt" – Der neue Song "Mathematik" von Till Lindemann und Haftbefehl spaltet die Lager. Wobei die Rap-Fans dabei ausnahmsweise mal besser wegkommen.

Es ist eine Kombination, mit der wirklich niemand gerechnet hatte: Am 18. Dezember veröffentlichten Till Lindemann und Haftbefehl ihren gemeinsamen Song "Mathematik". Der Rammstein-Sänger und der Offenbacher Rapper auf einem finstereren Beat vereint, 2018 hat uns da nochmal von links ein Glas Wasser ins Gesicht geschüttet und dann von rechts eine Faust in die überraschte Fresse gedonnert.

Nun fallen die Reaktionen zum Musikvideo aber nicht allzu gut aus. Auf YouTube wurde die Kommentarfunktion wohl in weiser Voraussicht deaktiviert, der Like-Balken besteht zu einem Drittel aus Dislikes. Unter dem Facebook-Post von Lindemann, dem Soloprojekt des Rammstein-Sängers, sind die drei Kommentare mit den meisten Likes auch nicht gerade schmeichelhaft. "Schlechtester Song von Herrn Lindemann, der jemals veröffentlicht wurde", heißt es da etwa.

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Das ist nicht mehr mein Lindemann!

Scrollt man sich durch die Kommentare fällt auf, dass die Lindemann-Fans vor allem ein Problem mit Feature-Partner Haftbefehl haben.

So mosert etwa ein Kommentierender, dass Haftbefehl die deutsche Sprache beschmutzen würde und das Gegenteil von Lindemanns Texten mit all ihrer "Eloquenz, Gefühl, Stärke und Verstand" sei. Für seinen an Rassismus grenzenden Sozialchauvinismus wird er zwar durch vereinzelte Antworten kritisiert, trotzdem hat der Post über 100 Likes.

Andere unterstellen Haftbefehl mal, dass er "nicht mal bis Drei zählen" könne, mal wird er als "so ein Individuum" bezeichnet, mal als "Hampelmann" beschimpft und mal sei es ganz allein seine Schuld, dass der Song so "beschissen" klinge.

Es wird auch die Theorie aufgestellt, dass der "geniale" Lindemann mit diesem Lied doch nur die Deutschrapszene verarschen wolle, Haftbefehl vorführe und der nur zu dumm wäre, das zu verstehen.

Rap-Fans sind viel toleranter

Lindemann wusste wahrscheinlich ganz genau, wie seine Fans ticken. Nicht nur, dass er einen Rapper mit auf den Track holt, nein, dann ist es auch noch Haftbefehl. Der Typ, der 2012 mit "Chabos wissen, wer der Babo ist" unfreiwillig zum Symbol für ironische Rap-Hörer wurde. Die Sorte Leute eben, die Jan Böhmermanns "Pol1z1stens0hn" euphorisch gepumpt haben, weil das für sie im Gegensatz zu den ganzen Möchtegern-Gangstern endlich mal eine Aussage hatte.

Vom Sperma verspritzenden Dildo auf der Bühne bis zum Porno-Musikvideo sind Rammstein-Fans schon an vieles gewöhnt. Aber diese Rapper, die kotzen Neue-Deutsche-Härte-Fans noch an. Obwohl es bereits 2004 einen Bushido-Remix von Rammsteins "Amerika" gab.

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Dass Rapfans wesentlich aufgeschlossener sind, zeigt ein Blick auf Haftbefehls Instagram. Unter dem Post zum Video wird Lindemann nicht runtergemacht, sondern respektiert. "Lindemann hätte jeden holen können, aber da sieht man, wer der Boss ist" und "Wer ein Feature mit Lindemann ablehnt, muss krank sein", heißt es da. Oder schlicht: "An alle, die Lindemann nicht kennen, geht euch vergraben!" Ansonsten wird eher darüber diskutiert, ob Track und Message nun taugen oder nicht.

Was ist eigentlich die Botschaft von "Mathematik?"

Fick-dein-Mathe-Mucke, das ist die Message. Als ob. Hier stehen nun mal Till Lindemann und Haftbefehl am Mic. Der eine ist für seine doppelbödigen, manchmal sozialkritischen Texte bekannt und veröffentlicht ganze Gedichtbände. Der andere erzählt mit einzigartigem Flow von den dunklen Seiten des sozialen Abgrunds und hat verschiedene Sprachen so konsequent miteinander vermischt, dass er maßgeblich sowohl Deutschrap als auch Jugendsprache geprägt hat. Da reibt selbst Goethe begeistert seine Erle.

Auf Instagram teilte Haftbefehl den Song nicht umsonst mit der Caption: "An alle 14-Jährigen, die den Song nicht verstanden haben: Viel Spaß morgen im Matheunterricht." Hier geht's um mehr als bloße Provokation.

Die eigentliche Kritik, die der Song äußert: Die Gesellschaft wird zugunsten von Konsum immer ignoranter, Bildung und Fleiß werden als etwas Schwaches und Minderwertiges gesehen. Stark sind dagegen die, die reich sind – durch welche Mittel auch immer sie das erreicht haben. Im Video taumelt Lindemann in Schulmädchenuniform an Edel-Boutiquen vorbei, das Geld dafür verdient er auf dem Strich.

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Haftbefehl erzählt dann in seinen Parts, dass er anscheinend auch mal so gedacht hat. Scheiß auf Schule, ich verdiene mit Drogendeals mein Geld. Er ist der Reiztrigger, der genau die empörten Reaktionen auslöst, die zu erwarten waren. Dass Haftbefehl in seinen eigenen Songs schon oft die grausamen Schattenseiten des kriminellen Lebens beschrieben hat, sollte man wissen. Drogen haben ihn ja auch nicht reich gemacht.

Wie auch Till Lindemann verdiente der Offenbacher erst durch seine Kunst und harte Arbeit sein vieles Geld. Unzählige Auftritte, immer wieder neue Texte schreiben, sich stetig steigern, Alben für die Ewigkeit abliefern, keine Abkürzungen nehmen, aber wegen des fehlenden Schulabschlusses auch keine Alternative haben. Getreu seiner berühmten Line: "Wenn nicht mit Rap, dann mit der Pumpgun."

Die Verlierer sind die, die Haftbefehl kritisieren

Till Lindemann hat sich mit diesem Track breit lächelnd in einen Käfig voller tobender Fans begeben. Er singt eben nicht wie gewohnt auf schweren Gitarrenriffs, verwehrt den gierigen Mäulern den erhofften Leckerbissen und lässt sich von Haftbefehl und Beat-Produzent Bazzazian lieber eine Stacheldraht-Keule in den Hand drücken. Ein Szenario, bei dem jeder Zuschauer beziehungsweise Musikfan an die Stuhlkante vorrücken und denken sollte: "Geiler Scheiß, jetzt wird's spannend."

Doch einige Lindemann-Fans schießen lieber maulig-aggressiv und von oben herab gegen Haftbefehl und machen sich nicht die Mühe, mal genauer hinzuhören. Oder wie Lindemann es hier für uns im Song auf den Punkt bringt: "Eins plus eins ist zwei, zwei plus zwei ist vier / Mehr muss ich nicht wissen, ja, das reicht mir."

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