Die falsche AKK vor dem falschen AKK-Plakat
Alle Fotos: Viktoria Gruenwald

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CDU-Parteivorsitz

Bye, Merkel: Wir haben uns als neue CDU-Chefin verkleidet

"Erstaunlich, dass Sie heute hier sind!" – Begeisterter Bürger

"Das ist aber schön, dass ich Sie hier kennenlerne!" Trotz der Kälte auf dem Alexanderplatz strahlt der Mann, als er Annegret Kramp-Karrenbauer die Hand schüttelt. "Ich habe Sie ja neulich erst beim Lanz gesehen!"

Das stimmt, und es stimmt auch wieder nicht. In der Talkshow am Vorabend war die CDU-Politikerin tatsächlich zu sehen. Aber die Frau, die jetzt vor ihm steht, ist nicht Annegret Kramp-Karrenbauer, sondern eine Producerin aus dem VICE-Büro in einer zerzausten 12-Euro-Perücke, die sich jetzt alle Mühe gibt, wie Kramp-Karrenbauer zu reden, um nicht aufzufliegen. Und das, merken wir an diesem Tag, ist deutlich einfacher als gedacht.

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Zurück zum Anfang: Vor knapp zwei Wochen redeten wir in der Redaktion darüber, wie bizarr es eigentlich ist, dass CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer in den Umfragen unter Unionsanhängerinnen im Kampf um den Parteivorsitz zwar deutlich vorne liegt, die Medien sich aber offenbar viel mehr für ihre Kontrahenten Jens Spahn und Friedrich Merz interessieren. "Das Problem ist halt, dass sie irgendwie kein Profil hat", wirft jemand ein. "Ich wette, dass die meisten Menschen nicht mal wissen, wie sie aussieht", sagt eine Kollegin.

Und plötzlich schauen wir uns alle an. Können wir diese Wette nicht einlösen? Was wäre, wenn wir eine Person, die sich nicht dagegen wehrt, als AKK verkleiden und sie auf die Straße stellen? Wie viele Menschen würden überhaupt merken, dass das nicht die Frau ist, die den CDU-Vorsitz und bald sogar die Kanzlerinnenschaft übernehmen könnte? Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wir müssen es ausprobieren.

Auf der Suche nach Annegret

Ein Wes-Anderson-mäßiges Bild von einer Perücke und einer Brille

Mehr braucht es eigentlich nicht, um die CDU zu führen

Die Requisiten für die Aktion sind schnell zusammen: Für 49,44 Euro bekommt man im Online-Shop der Partei den "Sonnenschirm CDU", den Ständer (made in Italy) gibt's für 12 Euro dazu. Um die markante und – laut Udo Walz – "hervorragende" Frisur der Politikerin nachzustellen, muss eine Polyester-Perücke aus dem Kostümladen herhalten (eine schwarze, weil es die in Braun leider nicht gab), die passende "Nerd-Brille" entdecken wir dort auch. Um unsere Annegret zu finden, durchforsten wir zuerst die Schauspiel-Agenturen Berlins, wo wir zwar eine Menge talentierter Schauspielerinnen finden – allerdings keine, die wir uns leisten können. Also ändern wir die Strategie. Statt nach Schauspielerinnen zu suchen, lassen wir sie zu uns kommen. Wir schalten eine Anzeige auf eBay-Kleinanzeigen, und dann noch eine auf einer etwas anspruchsloser aussehenden Seite namens schauspieler-gesucht.com.

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Ein Screenshot von der Anzeige auf Ebay Kleinanzeigen

Darauf hat genau niemand reagiert

Während wir auf das geeignete Double warten, vertiefe ich mich in das Leben der echten Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie sagt über sich selbst, sie sei in der Schule eine Streberin gewesen, und dass sie noch nie gekifft habe. "Für mich war immer das Lesen die Tür in die Fantasiewelt", erklärte sie in einem Interview mit der BamS. "Deswegen brauchte ich nichts anderes, um mein Bewusstsein zu erweitern." Was für eine Frau! Während ihr Konkurrent Merz durch Bonn randalierte und feierte, wenn seine Freunde eine linke Kneipe zerlegten, träumte sich AKK durch Bücher. Heute findet sie angeblich jeden Tag Zeit für ein Gebet, denn der Glaube sei ihr sehr wichtig. So wichtig, dass sie sich immer noch gegen die Ehe für Alle ausspricht, obwohl die längst Realität ist, und gegen "Werbung" für Abtreibungen. Was ihr im Kampf um den CDU-Vorsitz voraussichtlich nicht allzu sehr schaden wird.

Jemand hantiert mit einem CDU-Sonnenschirm auf dem Alexanderplatz

Politik ist Handarbeit!

Auch nach zwei Tagen haben wir keine einzige Reaktion auf unsere Anzeigen bekommen. Der Parteitag in Hamburg rückt näher, der Sonnenschirm steht bereit, aber wir haben keine AKK. Wir müssen zu drastischen Maßnahmen greifen: Wir müssen unsere Annegret in der Firma selbst finden.

Das Casting

"Kannst du uns deine Mutter ausleihen?" Die mit diesem ansprechenden Betreff versehene E-Mail geht an die ganze Belegschaft raus. Ich erkläre darin meinen Kolleginnen und Kollegen, dass ich dringend eine Person – am liebsten eine Frau – brauche, die zumindest ein bisschen aussieht wie AKK.

Das Ergebnis: sehr viel Gelächter, null Angebote. Ich muss zu härteren Bandagen greifen und fange an, Kolleginnen und Kollegen, die ich mir in der Rolle vorstellen kann, direkt anzuschreiben. Ich drohe, ich bettele, ich lüge und verschleiere, und irgendwann bin ich soweit: Ich schaffe es tatsächlich, fünf Kolleginnen und einen Kollegen zu überreden, sich zu einem Casting zu versammeln. Alle bekommen eine Perücke und eine Brille, und dann geht es los:

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Die sechs Annegret-Anwärterinnen in einem Bild

So viel Talent, so wenige Volksparteien zum Führen

Man kann es nicht anders sagen: Sie sehen alle großartig aus, jede und jeder hätte das Zeug für den CDU-Chefposten. Aber ich muss mich entscheiden, und meine Wahl fällt auf Ineke, eine Senior Producerin, die einfach alles hat: die richtige Größe, den richtigen Look, den Willen zur Macht.

Der Autor schneidet der falschen AKK noch schnell die Perücke

Wer Macht haben will, muss leiden

Das Training

"Ich kann, ich will und ich werde!"
"Ich kann, ich will und ich werde!"
"Ich kann! Ich will! Und! Ich! Werde!"

Das gesamte Video-Team verfolgt bewundernd, wie Ineke den Gang auf- und abschreitet und immer wieder diesen mächtigen Satz aus Annegret Kramp-Karrenbauers Bewerbungsrede für den Posten der Generalsekretärin wiederholt. Auch die anderen Akakaismen, die ich vorbereitet hatte, gehen ihr zunehmend besser über die Lippen: "Die Menschen haben Fragen an die Politik" / "Das war so, das muss so bleiben und das darf sich niemals ändern" / "Wir müssen alle unsere Wurzeln bespielen" / "Der Star ist die CDU".

Als selbst Inekes eigene Chefin sie nicht erkennt, als sie vor ihr steht, ist klar: Unsere Annegret ist bereit für die Straße. Wir drucken noch schnell ein Plakat und dann geht es los.

Die Begegnung mit den Bürgern

Es ist kalt an dem Mittwochnachmittag, an dem wir unseren Stand auf dem Alexanderplatz aufbauen, aber wir sind zu nervös, um darauf zu achten. Der Plan ist es, hier Unterschriften für AKKs Kandidatur für den CDU-Vorsitz zu sammeln, eine direkte Unterstützung aus dem Volk heraus sozusagen. Wie würden die Menschen auf die falsche AKK reagieren? Würden sie uns sofort durchschauen? Würde die Polizei auftauchen und uns alle wegen Verunglimpfung des Saarlandes verhaften?

Wir bauen den Schirm auf

Die Bürger haben noch keine Ahnung, was – und wer – da auf sie zukommt

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Als wir anfangen, stellt sich schnell heraus, dass wir ein ganz anderes Problem haben: Die Menschen, die an unserem Stand vorbeikommen, haben überhaupt keine Lust, mit einer Politikerin zu reden. "Keene Zeit", "Nee, nee", "Dreckspack!", ein Berliner nach dem anderen lässt uns abblitzen.

"Wollen Sie Annegret Kramp-Karrenbauer kennenlernen?" reicht nicht. Wir müssen zu härteren Maßnahmen greifen.


Das Video zum Experiment: Wer kennt AKK?


"Haben Sie mal zwei Minuten Zeit – für Deutschland?" Bumm, das klappt. Und zwar sofort. "Wir haben immer Zeit, wir sind Rentner!", erklärt ein freundlicher, älterer Herr, der dann mit seiner Frau auch sofort zum Stand eilt und Annegret Kramp-Karrenbauer mit breitem Lächeln die Hand schüttelt. "Wir ham'Se gestern erst im Fernsehen gesehen!", erklärt er, und dass er als CDU-Wähler den Merz nicht mag. "Der soll mal lieber sein Geld zählen! Ich hoffe, dass Sie gewählt werden!" Spricht er, und beide unterschreiben die Liste. Der erste Schuss und gleich ein Treffer.

Zwei Bürger unterschreiben unsere Liste

Die ersten Unterschriften sind immer die besten

Der zweite geht leider daneben: Eine ältere Dame, die sich anhalten lässt, durchschaut uns sofort. "Sie sehen doch ganz anders aus!", ruft sie empört. "Das Haar stimmt nicht. Wenn das wenigstens wäre …" Sie hat uns an unserem wunden Punkt ertappt: die schreckliche, künstlich glänzende Perücke. "Nee, da können Sie mich nicht erwischen." Böse ist sie trotzdem nicht – sie erklärt, dass sie sowieso Merz unterstütze, "weil der die Karre aus dem … reißen kann [aus was genau, das will sie nicht sagen]. Ob das die KKK [sic!] kann? Nee, die KKK kann das nich." Sie zieht ab, und für unser Experiment steht es zwei zu eins.

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Ab jetzt geht es flotter: Immer wieder halten Leute an, um sich mit AKK zu unterhalten, auch wenn nicht alle wissen, wer sie überhaupt ist. Ein breiter Maurer mit noch breiterem Schnurrbart erklärt, die ganze CDU könne ihm gestohlen bleiben, er habe sich beim jahrelangen Ackern die Knie zerstört, und jetzt bekäme "diese ganze Flüchtlingskacke" alles Geld "in den Arsch geblasen". Unfreundlich ist er dabei nicht, sondern eher melancholisch. Merz oder AKK, das sei egal, wählen könne man sowieso nur die AfD, "denn im Grunde machen die das, was die Leute wollen".

Nahaufnahme des Klemmbretts mit unserer Liste

Da sind es schon drei Unterschriften!

Von ihm gibt es keine Unterschrift, genauso wenig wie von dem sehr kleinen Rentner, der dazukommt, um eine Schimpftirade auf die Berliner CDU abzulassen, weil die den Reformationstag nicht einführen will, und das, obwohl hier alle Preußen und gute Protestanten seien, und dieser Frauentag sei überhaupt "Schwachsinn", denn es habe ja nicht jeder eine Frau. Mehr Liebe für die CDU gibt es von drei älteren spanischen Touristen, die uns allen enthusiastisch die Hand schütteln und auf Spanisch erklären, dass sie die CDU lieben. "Pero no podemos votar aquí!", entschuldigt sich ihr Anführer mehrfach, wünscht uns aber trotzdem "mucha, mucha suerte".

Wir unterhalten uns mit einer Dame

Interessanterweise merken überhaupt nur Frauen, dass mit AKKs Haaren etwas nicht stimmt

Die nächsten Drei nehmen allesamt für bare Münze, dass sie gerade mit der leibhaftigen Kramp-Karrenbauer sprechen – und haben teilweise schmerzhafte Kritik für die Kandidatin mitgebracht. "Sie sind halt leider einfach viel zu sehr Merkels Zögling", sagt ein Herr und schüttelt dabei den Kopf. "Ich bin keine Mini-Merkel!", protestiert unsere AKK – und wird jäh vom hämischen Lachen einer jungen Frau unterbrochen, die auf einem Fahrrad an uns vorbeifährt und sehr laut "Doch, voll!" ruft. Es kann auch daran gelegen haben, dass Ineke genau in dem Moment, als sie sich gegen den Merkel-Vorwurf wehrt, ihre Hände zur Merkel-Raute formt.

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Unsere falsche AKK im Gespräch mit einem älteren Herren

Später hat das sogar jemand bemerkt und AKK freundlich empfohlen, das für den weiteren Wahlkampf zu lassen

Unser anfängliches Problem hat sich erledigt. Mittlerweile haben wir fast keine Mühe mehr, Bürger zum Reden zu finden – eher im Gegenteil. Ein besonders politik-interessierter Außenhandelskaufmann gibt uns zwar bereitwillig eine Unterschrift, hält dann aber der Generalsekretärin einen zehnminütigen Vortrag, in dem er von der Digitalisierung über die Steuer-Ungerechtigkeit bis hin zur Breite der Fahrradwege im Prenzlauer Berg ein umfassendes Tableau der Probleme Deutschlands entwirft, sodass wir uns gezwungen sehen, ihn unter verzweifeltem Nicken, Danken und Händeschütteln wegzuschieben.

Noch jemand unterschreibt unsere Liste

Wenn's läuft, dann läuft's!

Mittlerweile ist es ziemlich kalt geworden, und dunkel wird es auch. Inekes "Ichkannwillundwerde" kommt zunehmend schleppender. Gerade, als wir die Zelte abbrechen wollen, kommt noch ein älterer Mann auf unseren Stand zu, der sich außerordentlich freut, Annegret Kramp-Karrenbauer – die er eben am Vortag noch in der Sendung von Markus Lanz gesehen hatte – endlich einmal live zu sehen. "Meine Mutter ist ja eine sehr große Anhängerin von Ihnen", sagt er, und er strahlt dabei übers ganze Gesicht. "Weil Sie diese konservativen Sachen im Saarland so durchgedrückt haben!" Für Merz, den "Wirtschaftsfuzzi", hat er gar nichts übrig – er ist AKK-Fan all the way.

Eine Nahaufnahme des CDU-Logos auf unserem Sonnenschirm

"Der Star ist die CDU" – Annegret Kramp-Karrenbauer (die Echte)

Als er dann, mit einem Gruß an seine Mutter von der Politikerin persönlich ausgestattet, glücklich geht, überkommt uns das schlechte Gewissen. Würde es diesen Menschen nicht das Herz brechen, wenn sie von unserer plumpen List erfahren? Andererseits, beruhigen wir uns, haben fast nur Rentner mit uns geredet – und die Chance, dass diese Menschen je von einem Artikel auf VICE erfahren, ist relativ gering. Haben wir ihnen nicht vielleicht sogar ein bisschen Freude gebracht? Sagt es uns in den Kommentaren!

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Wie auch immer, wir haben genug – vor allem, weil wir in immer kürzeren Abständen von einem sturzbetrunkenen jungen Typen bedrängt werden, der die Fälschung schnell durchschaut hat – und sich dann immer weiter in eine Fantasie hineinsteigert, nach der wir an irgendeinem dunklen Komplott zur Verhohnepiepelung des gesamten deutschen Volkes arbeiten. Irgendwann fängt sein weniger betrunkener, aber irgendwie noch unangenehmerer Kumpel (Typ Brandenburger Blockwart) an, am Telefon hysterisch mit der Polizei zu diskutieren, dass sie jetzt sofort kommen müsse, weil "hier jemand die Bürger veräppelt! Die Kannenbauer ist hier und veräppelt die Bürger!" – kurz, der Alexanderplatz kippt, es ist Zeit zu gehen.

Fazit

Unser Experiment war ein voller Erfolg: Von insgesamt zwölf Menschen, mit denen wir geredet haben, haben nur vier gemerkt, dass sie es nicht mit der echten AKK zu tun haben – und einer davon erst, als er sie extra dafür gegoogelt hat.

Wir haben bewiesen: Mit einer Perücke, einer Brille und einer gehörigen Portion Dreistigkeit kann es fast jede zur Generalsekretärin der CDU bringen. Und vielleicht … vielleicht sogar zur Parteivorsitzenden und Kanzlerin.

PS: Während wir oft und viel über Friedrich Merz diskutieren mussten, ist der Name Jens Spahn an dem ganzen Tag übrigens kein einziges Mal gefallen.

Portrait der lächelnden, aber durch und durch falschen Annegret

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