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Kommentar

Warum Prinzipien des Rechtsstaats auch für eine Neonazi-Terroristin gelten müssen

Beate Zschäpe wird in einen sächsischen Knast verlegt und das Internet rastet aus – nicht nur aus nachvollziehbaren Gründen.
Beate Zschäpe
Beate Zschäpe 2016 im Landgericht München || Foto: imago | Sebastian Widmann

Als die rechtsextremen NSU-Terroristen in einer jahrelangen Hassorgie zehn Menschen ermordeten, war das auch ein Angriff auf unsere Demokratie. Man kann darüber streiten, ob ihnen das gelungen ist. Man könnte sagen: schon irgendwie. Immerhin ist unser Vertrauen in den Verfassungsschutz und in Teile der Polizei seit dem Auffliegen des NSU komplett weg. Zudem schafft es die inhaftierte Beate Zschäpe, die einzige Überlebende des NSU-Trios, gerade, die undemokratischsten Seiten in manchen von uns herauszukitzeln. Einfach nur, indem sie sich in einen anderen Knast hat verlegen lassen.

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Als am Dienstag die Nachricht kursierte, Zschäpe werde ihre weitere Haft nicht mehr in Bayern, sondern "heimatnah" in Chemnitz verbringen, zückte das Internet die Fackeln und Mistgabeln. "Zschäpes Kuschel-Knast in Chemnitz", schrieb die Bild und listete auf, wie toll es der verurteilten Terroristin in Sachsen gehen werde. Und in Social-Media-Kanälen schrieben User, warum ausgerechnet die in ein "Fünf-Sterne-Hotel" komme: Zschäpe solle "verrotten". Auch die Redaktion von MDR Aktuell produzierte – wenn auch weit unaufgeregter – ein Stück über Zschäpes künftige Lebensumstände.


Auch bei VICE: Rechter Hass in Chemnitz


Die einzige sinnvolle Kritik kam von den Leuten, die anmerkten, dass Zschäpe in Chemnitz viel näher an alten Kameradinnen und Kameraden dran sei. "Angesichts des starken NSU-Unterstützungsnetzwerks im Raum Chemnitz ist diese Verlegung nicht ohne Risiko", sagte zum Beispiel Katja Meier, sächsische Landtagsabgeordnete der Grünen. Und das ist noch sehr zurückhaltend ausgedrückt. Man kann nur hoffen, dass die sächsische Justiz besser auf Zschäpe aufpassen wird als auf den NSU damals. Aber was bitte soll das Geschwafel von der zu netten Behandlung?

Warum sollte man diese Frau im Knast schlechter oder besser behandeln als andere Menschen in diesem Land? Ja, Zschäpe ist eine zu lebenslanger Haft verurteilte Rechtsterroristin. Sie hat verabscheuungswürdige Dinge getan. Trotzdem können wir sie rechtsstaatlich nicht anders behandeln, für sie gelten die gleichen Gesetze. Und woher kommt überhaupt die Faszination für die Frage, ob die Haftbedingungen dieser Frau angemessen sind?

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Gleiches Recht für alle – für Engel und Idioten

Das hier ist keine Verteidigungsschrift für eine irre Neonazi-Braut, sondern was hier steht, gilt genauso für irgendwelche Baumbesetzer und jeden anderen Mensch, der in Deutschland in Haft muss. In diesem Land ist jeder vor dem Gesetz gleich. Egal ob du ein Engel bist oder ein Idiot. Das ist so, weil es im Grundgesetz steht. Und daran ändert sich hoffentlich auch nichts, nur weil das irgendwelche Brüllheinis und Freizeitjuristen ins Internet blöken.

Aber zurück in Zschäpes Kuschelknast. In der JVA-Chemnitz, listet die Bild, gab's am Montag Kohlroulade mit Kartoffeln und Soße, die Zelle habe 13 Quadratmeter, Zschäpe dürfe in die Bibliothek und an Origami-Kursen teilnehmen. Das klingt nicht nach mittelalterlichem Folterkeller, aber das ist gut so. Denn Sinn und Ziel deutscher Gefängnisse und des Justizvollzugs generell ist die Resozialisierung. Das heißt, wir haben uns als Gesellschaft darauf geeinigt, dass wir zumindest versuchen, Straftäter- und Straftäterinnen wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Und das geht nicht in Guantanamo. Ganz ehrlich: Wie kann man das scheiße finden?

Eine Alternative wäre ein Gefängnissystem, in dem Straftäter weggesperrt werden und manche von ihnen auf Staatskosten ihrem Tod entgegenschimmeln. Das kann man eine überdramatische Darstellung nennen, aber dann sollte man auch nicht mit "Todesstrafe für Kinderschänder"-Mentalität eine Extrabehandlung für Zschäpe fordern. Resozialisierung nur für mich und meine BFFs – das geht leider nicht.

Und eine Sache noch. Ist das jetzt völlig normal, dass jemand wie Zschäpe auf eigenen Wunsch heimatnah verlegt wird, oder totally crazy und verschwörungstheoriewürdig? Es gibt mehrere Möglichkeiten, nach Antworten auf diese Frage zu suchen. Eine wäre, auf den zu hören, der am lautesten ins Internet schreit. Oder man fragt einfach Juristinnen und Juristen. Als jemand Letzteres auf Twitter getan hat, kamen sogar ein paar erhellende Antworten zurück. "Das ist der Normalfall: Verlegung in Heimatnähe – soll der späteren Wiedereingliederung / Resozialisierung dienen", schrieb zum Beispiel der Strafrechtler Carsten R. Hoenig. Dazu kommt, dass die JVA Chemnitz ohnehin für Zschäpe zuständig wäre, sobald das Urteil rechtskräftig ist.

Also, abgesehen davon, dass es angesichts ihres politischen Hintergrunds keine Gute Idee ist, Beate Zschäpe nach Chemnitz zu verlegen: Sie hat ein Recht darauf. Und sie hat ein Recht, zumindest daran arbeiten zu können, die Haft etwas weniger hasserfüllt zu verlassen. Bis auf die Genugtuung, dass sich Sachsens Justiz jetzt verdient um Zschäpe kümmern muss, ist das alles nicht besonders toll. Aber können wir bitte trotzdem versuchen, auch im Angesicht von Antidemokratinnen wie Zschäpe selbst demokratisch zu bleiben?

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