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Jurist erklärt: So wehrst du dich, wenn dich Menschen im Internet bedrohen​

Was muss ich mir gefallen lassen? Wie viel kostet ein Anwalt? Und wann kann ich einen Idioten vor Gericht fertig machen?
Eine Frau zeigt Boxerinnen-Pose und auf einem PC-Bildschirm steht "Ich bring dich um"

Wenn du es noch nicht erlebt hast, weißt du nicht, wie es ist. Plötzlich beleidigt dich eine Person, die du nicht kennst, im Internet. Vielleicht hast du dich öffentlich gegen Nazis, Rassismus oder Sexismus geäußert. Vielleicht stören sich Leute daran, dass du eine Frau bist oder eine Schwarze Person oder einfach nur jemand, den sie heute fertig machen wollen.

Es ist eine Sache, wenn du mal einen Tag lang Twitter nicht mehr benutzen kannst, weil deine Notifications vor Hassbotschaften überquellen. Einige Shitstorms enden von alleine. Aber manchmal dauert es Monate, und der gebündelte Hass von fremden Menschen verändert, wie du die Welt siehst. "Lass die Trolle nicht an dich heran", hat sich auch unsere VICE-Kollegin Alexandra Stanic bei ihrem letzten Shitstorm gesagt. "Das musst du aushalten".

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Manchmal kann es aber auch gute Gründe geben, juristische Hilfe zu suchen. Ab wann lohnt sich eine Anwältin oder ein Anwalt? Ist es den Stress überhaupt wert? Darüber haben wir mit Markus Kompa gesprochen. Der 47-Jährige ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, ehemaliges Mitglied der Piraten-Partei und vertritt Menschen, die im Internet beleidigt und bedroht werden. Er weiß, wie man Beweise sichert, sodass sie auch vor Gericht einen Wert haben – und bei welcher Art von Hassbotschaften sich eine Klage lohnen kann.

VICE: Stellen wir uns vor, auf Facebook wünscht mir jemand den Tod und ich will mich juristisch wehren. Soll ich erstmal einen Screenshot machen?
Markus Kompa: Ein Screenshot ist zwar kein beweiskräftiges Dokument, aber manche Gerichte lassen glaubhafte Screenshots ausreichen. Sie sind auf der sicheren Seite, wenn Sie möglichst viele Fälle screenshotten und Zeugen bitten, sich das ebenfalls anzusehen. Sie finden im Netz Anleitungen, wie Sie das mit Ihrem Browser oder Handy tun können.

Was bringt es mir, wenn ich mich direkt an Facebook wende, damit Facebook-Mitarbeiter die Inhalte löschen?
Das kann in bestimmten Fällen zur Löschung führen. Ab Kenntnis haften die Plattformen wie für eigene Persönlichkeitsverletzungen. Seitdem in Deutschland das – umstrittene – NetzDG gilt, müssen Plattformen zudem ab Kenntnis innerhalb von sieben Tagen prüfen, ob ein gemeldeter Inhalt strafrechtlich relevant ist, bei "offensichtlich rechtswidrigen" Inhalten sogar binnen 24 Stunden. Gründe dafür können zum Beispiel Volksverhetzung, Beleidigung, üble Nachrede oder Bedrohung sein.
Aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann auch durch andere Verstöße als strafrechtliche verletzt werden, etwa wenn jemand private Daten einer Person veröffentlicht wie die Adresse, die Telefonnummer, einen Liebesbrief oder eigenmächtig Fotos, auf denen jemand zu erkennen ist.
Bei Beleidigung und übler Nachrede messen die Plattformen der Meinungsfreiheit allerdings einen hohen Stellenwert bei und lassen es auf eine Klage ankommen. Aber wenn Sie gegen den Äußernden erfolgreich vorgehen, etwa eine einstweilige Verfügung erwirken, wird das auch von den Plattformen regelmäßig respektiert.

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So wehrst du dich ohne Gerichtstermin

Jetzt müssen Sie mir helfen: Abmahnung, Verfügung – was ist das überhaupt?
Die Abmahnung ist eine meist von einem Anwalt verschickte Aufforderung, eine rechtswidrige Äußerungen zu unterlassen. Dabei wird man aufgefordert, eine entsprechende Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben, die meistens als vorformulierter Vorschlag mitgeschickt wird.

Der Abgemahnte soll sich darin außerdem verpflichten, für den Fall eines Verstoßes eine Vertragsstrafe zu zahlen. Nur auf diese Weise ist glaubhaft, dass er es auch wirklich unterlässt. Abmahnung und Unterlassungsverpflichtung funktionieren ohne Gericht oder Staatsanwaltschaft, sind also für die Beteiligten relativ preiswert und das ganze wird dadurch fix geregelt.

Wenn der Abgemahnte die Verpflichtung nicht unterzeichnet, können Sie mithilfe Ihres Anwalts den Erlass einer einstweilige Verfügung beantragen. In dramatischen Fällen ist die nach wenigen Stunden da, in der Regel aber erst nach circa zwei Wochen. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Sie als Betroffener müssen allerdings sehr schnell in die Gänge kommen. Wenn man eine Beleidigung oder ein Internet-Delikt wochenlang liegen lässt, bezweifeln die Gerichte die Dringlichkeit. Dann bekommen Sie keine einstweilige Verfügung mehr, sondern müssen ganz normal klagen, was Jahre dauern kann.

Ich gehe mal davon aus, dass Trolle so eine Verpflichtung nicht einfach unterschreiben. Wenn ich dann vor Gericht ziehe, wird das nicht anstrengend und teuer?
Intelligente Trolle unterschreiben eine berechtigte Abmahnung sofort, weil alles andere teurer wird und Prozesse gerade für Privatleute sehr belastend sind. Das ist aber auch für den Kläger das Problem: Eine Klage kostet viel Geld. Durch Gerichtsgebühren und Anwaltskosten kommen schnell mehrere Tausend Euro zusammen.
Aber wenn Sie eine Rechtsschutzversicherung haben, finanziert diese die Gerichtskosten und das gesetzlich vorgegebene Mindesthonorar für den Anwalt und deckt das Risiko, falls gegnerische Anwaltskosten anfallen. Außerdem besteht auch die Möglichkeit einer Strafanzeige, die ist kostenlos.

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"Sie dürfen lügen, bis der Arzt kommt"

Juristen verlangen oft hohe Honorare pro Stunde. Wie viele Stunden ist ein Jurist mit solchen Klagen beschäftigt?
Manche Abmahnungen und Klagen sind reine Fingerübungen, andere Fälle halten einen wochenlang 24/7 in Atem, insbesondere im einstweiligen Rechtsschutz. Die Faktoren sind so vielfältig, dass sich das nicht kurz erklären lässt.

Wann ist eine Lüge so groß, dass ich dagegen klagen kann?
Sie dürfen lügen, bis der Arzt kommt. Die Grenze ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Das wird dann verletzt, wenn Sie über eine Person eine falsche Tatsache behaupten, die ehrenrührig ist oder sie in Misskredit bringt. Übrigens haben auch Unternehmen als juristische Personen Persönlichkeitsrechte. Äußert sich zudem ein Wettbewerber, kann eine unsachliche Äußerung schnell auch unlauterer Wettbewerb sein und besonders teuer werden.

Bedeutet: Ich dürfte nicht auf Instagram verbreiten, dass der Maurer von Gegenüber Katzenbabys einmauert – aber sehr wohl, dass alle Maurer Katzenbabys einmauern?
Ja, denn die Maurer sind in ihrer Gesamtheit nicht klageberechtigt, weil ihnen eine individuelle Betroffenheit fehlt. Die Kätzchen können auch nicht dagegen vorgehen, weil Tiere keine Persönlichkeitsrechte haben.

Wie schlimm muss eine Beleidigung sein, damit ich dagegen vorgehen kann?
Auch beleidigende Äußerungen verletzen grundsätzlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit bietet da aber großen Spielraum, der oft erst dann ausgereizt ist, wenn eine Äußerung keinen Sachbezug mehr aufweist. Aber auch aus der Form kann eine Beleidigung hervorgehen. Plumpe Beleidigungen sollte man weitestgehend ignorieren. Sie fallen ja auch auf den Beleidigenden zurück, denn wer beleidigt, macht sich in erster Linie selbst lächerlich oder beweist eine schlechte Kinderstube. Gegen falsche Tatsachenbehauptungen sollte man sich allerdings frühzeitig wehren, sonst führen die schnell ein Eigenleben.

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Ab wann ist deine Drohung ein Fall für die Polizei?

Welche Art von Hassbotschaften sollte ich denn sammeln, wenn ich vor Gericht gehen will?
Am einfachsten angreifbar sind falsche Tatsachenbehauptungen, insbesondere wenn Ihnen etwas in den Mund gelegt wird. Betroffene haben da ein sehr scharfes Schwert: Die Beweislast liegt bei dem, der die Tatsachenbehauptung aufgestellt hat. Zum Beispiel bei der Person, die sagt, dass der Maurer von gegenüber Kätzchen einmauert – im Streitfall muss sie beweisen, dass sie damit Recht hat. Eine relativ bequeme Position für den Kläger.

Die Sache ist nicht mehr ganz so klar, wenn der Beklagte nicht geschrieben hat "Der mauert Kätzchen ein", sondern "Ich habe den Verdacht, dass er Kätzchen einmauert". Auch ein Verdacht oder eine Andeutung können Persönlichkeitsrechte verletzen, obwohl es sich streng genommen um Meinungsäußerungen handelt. Denn dann wird zumindest der Eindruck erzeugt, es gäbe Tatsachen, die eine solche Annahme rechtfertigen. Dann müssen Gerichte prüfen, was überwiegt: Die Meinungsfreiheit des Beklagten oder die Persönlichkeitsrechte des Klägers. Die Gerichte entscheiden solche Wertungsfragen regional und in den Instanzen unterschiedlich. Deshalb sind solche Fälle sehr riskant.

Auch bei Drohungen können Trolle auf ihre Wortwahl achten. Stellen wir uns vor, jemand schreibt nicht: "ich werde dich überfallen", sondern: "man sollte dich überfallen". Was dann?
Eine ernst zu nehmende Drohung wäre eine strafrechtliche Handlung und Betroffene sollten auf jeden Fall dagegen mit einer Strafanzeige bei der Polizei vorgehen. "Man sollte dich überfallen" könnte als öffentliche Aufforderung zu Straftaten gesehen werden, was verboten ist. Strafrechtlich würde ein Ermittlungsverfahren aber vermutlich trotzdem nicht funktionieren, weil wahrscheinlich der konkrete Vorsatz für eine Straftat nicht nachgewiesen werden kann, denn bellende Hunde beißen nicht.

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Soll ich eigentlich sofort klagen, wenn jemand eine falsche Tatsachenbehauptung über mich in die Welt setzt?
Das sinnvollste wäre, die Angelegenheit durch Kommunikation miteinander zu klären. Aber Sie müssen natürlich nicht mit jedem Rüpel kommunizieren. Stattdessen können Sie bei der Polizei Strafanzeige erstatten, kostenlos und in vielen Bundesländern sogar online. Das Problem bei einer Strafanzeige ist aber, dass die Staatsanwaltschaften ausgelastet sind mit der Jagd auf Verbrecher und deswegen viele Ermittlungen bei Äußerungsdelikten eingestellt werden.
Effizienter ist es, einen Anwalt mit einer Abmahnung, einstweiligen Verfügung oder Klage zu beauftragen, am professionellsten einen Fachanwalt Urheber- und Medienrecht. Das macht besonders dann Sinn, wenn Sie einen Täter identifiziert haben, und eventuell sogar eine Adresse haben, was aber die Polizei wiederum leichter herausfinden kann.

"Selbstjustiz ist dämlich"

Miteinander reden – funktioniert das denn wirklich?
In meinen Fällen hat es oft geholfen. In einigen Fällen habe ich die Leute einfach angerufen und ihnen gesagt: "Es ist interessant, was Sie da schreiben. Aber da sind Sie ein bisschen früh abgebogen von dem, was plausibel ist – Ihre Meinungsfreiheit in allen Ehren. Nehmen Sie es einfach aus dem Internet raus, dann habe ich es nie gesehen und wir können Freunde bleiben." Das hat oft geholfen.

Viele haben das Bedürfnis, die Verfasser von Hassbotschaften öffentlich im Internet vorzuführen. Eine ehemalige österreichische Politikerin, Sigi Maurer, hat zum Beispiel den Namen eines Mannes veröffentlicht, der ihr mutmaßlich eine grenzverletzende Nachricht geschrieben hat. Daraufhin hat er wiederum sie verklagt.
Erst einmal haben auch Straftäter Persönlichkeitsrechte. Leute bloßzustellen ist Selbstjustiz. Wir sind ein Rechtsstaat und wenn wir an den Rechtsstaat glauben, sollten wir ihm auch die Arbeit überlassen. Ich weiß, dass es schwer fallen kann, die Contenance zu bewahren, aber man sollte in der Sache streiten, nicht in der Person. Und man sollte sich möglichst nicht auf das Niveau des Gegners herablassen und selber denunzieren.

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Bekomme ich eine Entschädigung, wenn ich meine Klage gewinne?
Sie bekommen die Kosten nach dem gesetzlichen Mindesttarif vom Gegner erstattet. Und Sie können natürlich auf Schadensersatz klagen, wenn Sie finanzielle Nachteile durch die Äußerungen nachweisen können. Das können auch Behandlungskosten für eine Therapie sein. Wenn Ihre Persönlichkeitsrechte besonders schwer verletzt wurden, Äußerungen etwa unter die Gürtellinie gingen, gibt es sogar eine Art Schmerzensgeld.

Inmitten der Shitstorms, die manche meiner Mandanten erleben müssen, ist der Frieden durch eine Unterlassung aber das Wertvollste. Besonders, wenn zusätzlich auch Familienmitglieder attackiert werden.

"Wenn man sich mit uns anlegt, kostet das"

Wenn ich vor Gericht ziehe – wie lange dauert es denn, bis ich Ruhe habe?
Im Fall einer einstweiligen Verfügung drohen dem Gegner bei Missachtung bis zu 250.000 Euro Ordnungsgeld oder Ordnungshaft, das wird von zurechnungsfähigen Gegnern sofort beachtet. Klagen durch alle Instanzen können schon mal sieben Jahre dauern. In einem prominenten Fall haben wir mal den Shitstormern offen kommuniziert: Wenn man sich mit uns anlegt, kostet das, notfalls schicke ich den Gerichtsvollzieher. Plötzlich war allgemeine Ruhe. Vielen Leuten ist mit diesen Klagen auch erst bewusst geworden, was sie angerichtet haben.

Damit das klappt, pickt man sich am besten den größten Schreihals heraus und zieht vor Gericht. So etwas schreckt ab.

Wann sollte ich auf eine Klage besser verzichten?
Ich rate von einer Klage ab, wenn ich sie als sehr riskant einschätze. Außerdem ist der Streisand-Effekt nicht zu unterschätzen: Wenn ich versuche, eine Äußerung löschen zu lassen, kann das mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als die ursprüngliche Äußerung selbst. Eine heftige Konfrontation ist also nicht immer die beste Lösung.

Haben Sie selbst schon mal geklagt, weil jemand Lügen über Sie verbreitet hat?
Generell versuche ich, meine Angelegenheiten anders zu regeln. Aber früher habe ich das tatsächlich mal gemacht, was praktisch war, weil ich als Anwalt damit sogar an meinen Gegnern Geld verdienen konnte! Ein Düsseldorfer Kollege hingegen ist so souverän, dass er sagt: "Über mich kann jeder sagen, was er will, nach zwei Tagen redet kein Mensch mehr darüber." Das ist weise.

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