Politik

Warum ich mich für Fridays for Future schäme, obwohl ich ihre Ziele teile

Wenn Lena Meyer-Landrut die Proteste einfach "Hammer" findet, möchte ich direkt eine Kreuzfahrt in die Antarktis buchen.
Zwei Mädchen mit FFF-Schild
Foto: imago images / Stefan Schmidbauer

Schon im Hausflur hatte ich mir fest vorgenommen, alles an Fridays for Future gut zu finden. Warum auch nicht? Ich war ja gerade auf dem Weg zur großen Demo am Brandenburger Tor. Weil ich die Bundesregierung unter Druck setzen wollte. Und weil ich nicht glaube, dass sich die "Menschheitsaufgabe" Klimaschutz durch eine verringerte Mehrwertsteuer auf Bahntickets bewältigen lässt.

Überpünktlich stand ich also mit meinen Mitbewohnern am Holocaust-Mahnmal und beobachtete die vorbeiströmende Menschenmenge. Ich versuchte, über die pfiffigen Heiß-Kalt-Wortspiele der Aktivisten zu schmunzeln, auch wenn ich den Namen des Prominenten nicht kannte, der nur fast so "hot" wie der Planet sein sollen. Ich wollte Hochachtung für die Eltern empfinden, die ihre Kinder schon über die negativen Folgen von Mikroplastik für die Ökosysteme aufgeklärt hatten. Und das in einem Alter, in dem es mir noch Schwierigkeiten bereitet hatte, die zwölf Monate in der richtigen Reihenfolge aufzusagen.

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Kann ich einen Protest gut finden, der so scheiße aussieht?

Als sich die Erwachsenen dann wenig später auf ein Kommando hinhockten und mit den Händen voraus in die Luft sprangen, während sie "Hoch mit dem Klimaschutz, runter mit der Kohle" riefen, blickte ich verschämt zu Boden. Aus meinem Vorhaben, bei Fridays for Future aus voller Überzeugung mitzulaufen, konnte nichts werden. Ich verließ die Kundgebung, noch bevor sich der Demonstrationszug auch nur einen Zentimeter bewegt hatte. Es blieben ein paar Gewissensbisse über mein eigenes Verständnis von Coolness und die Frage: Kann ich einen Protest gut finden, der so scheiße aussieht?

Natürlich ist alleine diese Frage irgendwie eine Frechheit, wenn Fridays For Future die letzte Chance sein sollte, die Erderwärmung zu stoppen. Einerseits kommt es mir wahnsinnig dumm vor, mich über das Auftreten der Aktivistinnen und Aktivisten auszulassen, die in ihrer Schulzeit Plakate basteln, anstatt heimlich hinter der Turnhalle zu kiffen. Andererseits: ein aufgeschnittener Globus als Kopfbedeckung.

Doch gerade ich sollte mir alle Gehässigkeiten verkneifen. In der Schulzeit habe ich es gerade mal geschafft, mich am ersten internationalen Aktionstag für rutschfeste Noppensocken zu beteiligen. Und fünf Jahre später kommt eine Bewegung um die Ecke, deren Mitglieder mehr demonstrieren als ich in meinem lauen Studium Vorlesungen besucht habe. Liegt meine oberflächliche Ablehnung von Fridays for Future an meinem schlechten Gewissen, weil die Jahrgänge nach mir wesentlich politischer sind?

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Vielleicht muss ich mich einfach daran gewöhnen, dass eine Bewegung auch radikal sein kann, wenn sie Polizisten einen beschäftigungslosen Nachmittag verschafft. Und deren Demo-Teilnehmerinnen sich von den eigenen Eltern beklatschen lassen, die bei der letzten Wahl wahrscheinlich noch CDU gewählt haben. Bei 270.000 Menschen allein in Berlin ist es mit Sicherheit ganz normal, dass sich ein paar Start-up-Jonasse mit Bollerwagen unter die Demonstranten mischen, um ihre Stromspar-App zu promoten. Reiß dich zusammen, versuche ich, mir immer wieder einzureden.

Vielleicht ist die Klima-Demo auch nur eine Fanmeile für Akademiker

Vielleicht steckt hinter meiner Empfindung aber auch mehr als die Beobachtungen eines Nachmittags. Und eine politische Massenbewegung, für die Culcha Candela vor dem Brandenburger Tor auftritt und mit allen Teilnehmer ein Selfie macht, ist auch nur eine Fanmeile für Menschen mit Hochschulzeugnis. Bei aller Eile, die in Sachen Klimaschutz geboten ist, schießt ein Plakat mit der Aufschrift "Opa sah noch Bäume" in Städten mit unzähligen Parks und Alleen über das Ziel hinaus.

Für mich fühlte es sich merkwürdig an, von meinem Arbeitgeber ausdrücklich zum Demonstrieren freigegeben zu werden und im Anschluss der Demo als "Climate Warrior" mit Freibier for Future belohnt zu werden. Warum sich Freunde, die sich sonst bei politischen Debatten die Köpfe einschlagen, beim Kampf gegen den Klimaschutz so einig sind, ist mir genauso unklar. Wenn dann noch Lena Meyer-Landrut die Proteste einfach "Hammer" findet, möchte ich direkt eine Kreuzfahrt in die Antarktis buchen.

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In den Augen meines Mitbewohners konnte ich sehen, dass auch ihm die Veranstaltung an vielen Stellen unangenehm war. Trotzdem sagten wir nichts. Und Schlachtrufe wie "Hop, Hop, Hop – Kohlestopp" lassen sich ja leicht runterschlucken. Hätte ich einen Grund, warum Kohle für unsere Wirtschaft auch in Zukunft unverzichtbar sein sollte, hätte ich ihn an dieser Stelle vorgetragen. Nur ist Fremdscham kein Argument und wahrscheinlich ist das auch gut so.

Fridays for Future braucht nicht noch mehr unsachliche Kritik. Dafür gibt es ja schon verbitterte Alte, die Greta Thunberg "verhaltensgestört" nennen und den Grünen Kindesmissbrauch vorwerfen. Oder Welt+-Abonnenten, die ihren SUV bis zum letzten Hilfiger-Hemd verteidigen und in ihrer Freizeit die Flugmeilen von Robert Habeck zählen. Wenn ich mich diesem Team anschließen will, kann ich mir auch gleich die Haare blond färben und das neue YouTube-Format der CSU moderieren.

Die Zweifel blieben trotzdem. Sie überkamen mich auch, als Greta Thunberg mit brüchiger Stimme und Tränen in den Augen die Regierungschefs beim UN-Klimagipfel in New York anklagt: "Wie könnt ihr es wagen?" In der Rede sagte Thunberg, dass die Politiker IHRE Kindheit und IHRE Träume geklaut hätten. So emotional und persönlich wie Greta ihren Appell vortrug und mir dabei tief in die Augen guckte, musste ich meinen Blick vom Bildschirm abwenden. Ich sah nicht mehr die mutige Initiatorin der Proteste, sondern ein 16-jähriges Mädchen, das unter dem enormen Druck der Öffentlichkeit fast zusammenbricht.

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Noch schwieriger finde ich es, wenn sich die Anhänger von Fridays for Future das Pathos ihrer Galionsfigur zu eigen machen. Die Grüppchen, denen ich auf der Demo begegnete, erinnerten mich an eher an meine alte Schulklasse. Es gab die zwei Überzeugungstäter, die einen Greenpeace-Sticker auf der Brotdose hatten und den Lehrer aufforderten, nicht Hunderte Arbeitsblätter pro Woche auszudrucken. Es gab aber auch die mit den Schildern – "Fickt lieber miteinander anstatt die Erde". Genauso geistig unreif, wie es sich für 16-Jährige gehört. Genau wie ich damals war.

Meine Jugendträume zerstörten Diesel-Subventionen

Die Träume, die ich als privilegiertes Großstadtkind in Westeuropa hatte, zerstörten keine Diesel-Subventionen. Es waren weitaus belanglosere Probleme. Mädchen, die mich in die Friendzone abschoben, oder Supermarkt-Kassiererinnen, die mir wegen meiner Zahnspange keinen Alkohol verkauften.

Heute stehen die Dinge anders. Doch auch unabhängig von den Jugendlichen macht mich die Selbstgerechtigkeit eines politischen Mainstreams misstrauisch, der die Grünen bei der letzten Bundestagswahl mit mickrigen 8,9 Prozent abgespeist hat, aber zwei Jahre später die Systemfrage stellen will: Kann es überhaupt Klimagerechtigkeit im Kapitalismus geben? Vielleicht hätte ich über diese Frage auch noch auf der Demo diskutieren sollen, nur leider stand ich schon bei Saturn am Alexanderplatz, um mich über die saftigen Rabatte auf die neuen Laptops zu informieren.

Insofern wäre es schlau, wenn ich mich auf die Inhalte von Fridays for Future konzentriere, anstatt mich an der grünen Glitzer-Schminke zu stören, die Frauen jenseits der 20 auf Demos tragen. Vielleicht schaffen es die Initiatoren im Gegenzug, mal nicht wie der Mitschüler aufzutreten, der das Klassenbuch in der großen Pause vor Penis-Kritzeleien beschützt hat.

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