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Türkei-Wahlen

Warum es sinnlos ist, AKP-Fans mit AfD-Wählern zu vergleichen

Und zwar nicht nur, weil sie leicht unterschiedliche Meinungen zum Islam haben.
Erdoğan-Anhänger bei einer Großdemo in Köln 2016 | Foto: imago | 7aktuell

Auf dem Berliner Breitscheidplatz rufen sie am Sonntagabend "Recep Erdoğan, unser Führer", auf der Hermannstraße hängt ein Typ aus einem grünen Golf und schreit immer wieder "Lang lebe die AKP!" – der Wahlsieg des türkischen Präsidenten Erdoğan hat auch seine Fans in Deutschland euphorisch gemacht. In Berlin, Hamburg, Köln, Duisburg, Mannheim und Dutzenden anderen Städten hörte man die Autokorsos noch bis spät in die Nacht.

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Dass die AKP-Anhänger sich so lautstark freuen, macht andere wütend. "Die feiernden deutsch-türkischen Erdoğan-Anhänger feiern nicht nur ihren Alleinherrscher", twittert der Grünen-Parteichef Cem Özdemir kurz vor Mitternacht, "sondern drücken damit zugleich ihre Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus. Wie die AfD eben. Muss uns beschäftigen." Der Tweet gefällt am Montagnachmittag bereits über 5.500 Menschen, knapp 1.500 haben ihn geretweetet. Einer davon ist der Spiegel-Journalist Hasnain Kazim: "Wie schon häufiger gesagt: AKP und AfD sind Geschwister im Geiste", fügt der ehemalige Istanbul-Korrespondent hinzu.

Der Vergleich ist nicht neu – aber er macht natürlich jedes Mal aufs neue Spaß, weil beide Seiten ihn so richtig schön scheiße finden. Unter Özdemirs Tweet tummeln sich Dutzende empörte AKP-Wähler und AfD-Fans, die sich immerhin darin einig sind, dass der Grüne einen Knall hat. "Das ist natürlich totaler Quatsch, was der Herr Özdemir da erzählt", ärgert sich auch Ronald Gläser gegenüber VICE. Gläser ist Pressesprecher der Berliner AfD, die die Autokorsos auf Facebook als "abstoßend" und als Zeichen für gescheiterte Integration bezeichnet hatte. "Wir wollen Deutschland ja gerade nicht in einen Gottesstaat verwandeln, wie die AKP das will!"


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Das heißt: Der Vergleich funktioniert, weil er beide Seiten sehr wütend macht. Abgesehen davon funktioniert er aber – überhaupt nicht. Und zwar aus folgenden Gründen:

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Erstens: Auch wenn sich manche Denkweisen der beiden Parteien in ihrem jeweiligen Land gleichen, kann man deutsche AfD-Wähler einfach nicht mit deutsch-türkischen AKP-Wählern gleichsetzen. Die einen wählen eine Partei, die mit ihren Vorurteilen gegen Ausländer spielt und ihnen eine Opferrolle einredet, um ihre tatsächliche Vorherrschaft im eigenen Land bis zum letzten Schweineschnitzel zu verteidigen. Die anderen wählen einen starken Mann in ihrem weit entfernten Herkunftsland, der ihnen nach Jahrzehnten der Ausgrenzung, also in der realen Opferrolle, auf einmal das Gefühl gibt, stolz auf ihre Herkunft sein zu können.

Soll heißen: Die Motivation für Deutschtürken, Erdogan zu wählen, ist komplexer als ein reiner Hang zum Autoritarismus. Viele Deutschtürken informieren sich ausschließlich aus regierungsnahen Medien über die Türkei und haben eine völlig verzerrte Wahrnehmung davon, was die AKP da wirklich macht. Und: Obwohl Özdemir das behauptet, bedeutet ihre Zustimmung zur AKP eben nicht automatisch, dass sie das deutsche System ablehnen. "Recht hohe Zustimmungswerte für Erdoğan und für die AKP bedeuten nicht, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung abgelehnt wird, sondern sind offenbar mit der Vorstellung verbunden, für eine starke Türkei einzutreten, die in der Welt Gewicht hat", erklärte der Migrationsforscher Jochen Oltmer schon 2017 in der Welt. Die Begeisterung für die AKP kann auch eine Trotzreaktion gegen die deutsche Mehrheitsgesellschaft sein, von der man sich nie wirklich aufgenommen fühlte. Nichts davon entschuldigt, dass sie damit die autoritären, rassistischen und islamistischen Positionen der AKP unterstützen, aber: Die Gründe dafür sind bei in der deutschen Diaspora lebenden Türken einfach völlig andere als die, die AfD-Wähler motivieren.

Und zweitens, auch wenn das keiner hören hill: Der direkte Vergleich zwischen den beiden Parteien ist ungerecht gegenüber der AfD. Die AfD mag eine populistische Parolenschleuder sein, die mit mehr als einem Bein im rechtsextremen Sumpf steht, aber bis jetzt hält sie sich an die demokratischen Spielregeln. Die AKP unter Erdogan höhlt seit Jahren aktiv die demokratische Grundordnung der Türkei aus, hat Hunderte Regime-Gegner und kritische Journalisten ins Gefängnis geworfen, ist in einen blutigen Bürgerkrieg gegen die Kurden im eigenen Süden verwickelt und führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Kurden in Syrien und im Irak. Und von einem Führerkult, wie die AKP ihn um Erdoğan aufgebaut hat, ist bei der AfD bis jetzt auch noch nicht viel zu sehen – die Krawall-Partei hat eher einen Hang dazu, ihre eigenen Führer abzusägen, wenn sie zu viel Macht auf sich konzentrieren.

Deshalb: Weder die Ziele der beiden Parteien noch die Motivation ihrer Wähler in Deutschland lassen sich wirklich sinnvoll vergleichen. Da sind sie ein bisschen wie Massentierhaltung und Attila Hildmann: Beide sind doof – aber eben auf ihre ganz eigene Art und Weise.

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