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10 Fragen

10 Fragen an einen Straßenmusiker, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Wie viel Geld verdienst du? Zahlst du Steuern? Ist es dir egal, dass sich Leute von dir belästigt fühlen?
Alle Fotos: Omri Mario

In Australien holte er sich den Segen eines Stammenältesten, um mit seinem Didgeridoo auftreten zu dürfen. Jetzt ist es Eldars Beruf. Der 25-Jährige nennt sich "The Legendary Strawberry Man" und spielt mit seinem Didgeridoo zwei Mal pro Woche öffentlich – am liebsten sonntags im Berliner Mauerpark: "Dort kann ein Straßenmusiker an einem guten Tag bis zu 400 Euro einnehmen", sagt Eldar. Im Sommer verdient er so seinen Lebensunterhalt, im Winter lebt er von seinem Ersparten. In der Zeit, in der er nicht auf die Straße geht, um Musik zu machen, erhält Eldar vom Arbeitsamt eine Unterstützung, um Deutschkurse zu besuchen.

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In voller Montur trägt der Strawberry Man einen Erdbeer-Hut, ein Erdbeer-Cape und Erdbeer-Ohrringe. Seine Nägel leuchten rot und grün. Zu seinem Alter Ego kam Eldar vor sechs Jahren zufällig, als ihn die Menschen im Thailand-Urlaub wegen seiner Kopfbedeckung ständig mit "Strawberry Man" angesprochen haben. Den Hut hatte er zuvor in einem Touristen-Shop gekauft. Zu Hause in Tel Aviv, wo er lebte, bevor er vor zwei Jahren nach Berlin zog, verschlug es den Strawberry Man dann auf die Straße: Bei seinem ersten Auftritt verdiente er um die 500 Schekel – etwa 125 Euro.


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In Berlin dürfen Straßenmusiker ohne Genehmigung maximal eine Stunde an einem Ort spielen. Wenn sie Verstärker, Gitarrenkoffer oder andere Utensilien auf die Straße stellen, brauchen sie dafür eine Sondernutzungserlaubnis. Viele Straßenmusiker müssen dem Ordnungsamt Strafen zahlen, weil sie keine Genehmigungen haben – auch Eldar. Wir haben Fragen.

VICE: Wie viel Geld nimmst du täglich ein?
Eldar: Zwischen 100 und 150 Euro. Monatlich komme ich so auf etwa 2.000 Euro. Ich versuche, jedes Jahr besser zu werden und mehr Geld zu verdienen. Ich lese viel über Psychologie, Körpersprache und Schauspiel, damit ich mir bessere Strategien ausdenken kann. So habe ich auch gelernt, wie man die Leute dazu bringt, stehen zu bleiben.

Mit welchen Tricks bringst du die Menschen dazu, dir Geld zu geben?
Ich habe ein Konzept für meine Auftritte. Jedes Set beginne ich mit einem "Lockruf", den habe ich mir von den Vögeln abgeschaut. Zusammen mit dem Bass des Didgeridoo bringt er Menschen dazu stehenzubleiben. Das mache ich etwa zwei Minuten lang. Dabei schaue ich denen, die Interesse zeigen, in die Augen und zwinkere einzelnen Personen zu. Es reicht, dass einer stehen bleibt. Die anderen ziehen dann automatisch nach, weil sie wissen wollen, was da vor sich geht.

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Warum sehen so viele Straßenkünstler so ähnlich aus: Rastazöpfe, bunte Kleidung, bisschen ungepflegt?
Ich weiß genau, welche Menschen du meinst. Es gibt viele Vorurteile gegenüber Straßenkünstlern: Wir sehen alle ähnlich aus, wir machen alle irgendwie das Gleiche, wir wollen nur an das Geld der Passanten kommen. In vielen Fällen stimmt das tatsächlich. Deshalb habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, anders zu sein und herauszustechen [fasst sich an seinen Erdbeer-Hut]. Ich kenne auch Straßenmusiker, die im Anzug auftreten, um mit den Klischees aufzuräumen.

Ich nehme an, du zahlst keine Steuern, ist das nicht Sozialbetrug?
Ich zahle Steuern für die Shows, für die ich gebucht werde, die Gewinne von der Straßenmusik versteuere ich nicht. Du musst dir das so vorstellen: Ich investiere Zeit und Geld in mein Equipment und meine Auftritte. Ich kaufe Fahrscheine, um an die verschiedenen Orten zu fahren. Außerdem nehme ich in manchen Monaten weniger Geld ein als in anderen. Ich glaube nicht, dass man so unregelmäßige Einnahmen versteuern kann. [Anmerkung: Wer von der Straßenmusik leben kann, gilt vor dem Finanzamt als Künstler und muss seine Einnahmen entsprechend versteuern.]

Bist du neidisch auf Leute mit festem Einkommen?
Nein. Ich freue mich für jeden, der viel Geld verdient. Es ist ja nicht so, dass mir Geld unwichtig ist. Es ist ein Indikator dafür, ob du gut in etwas bist und ob du dich damit gut verkaufen kannst. Wenn du also gut in deinem Job bist, verdienst du so oder so irgendwann Geld damit – egal ob du Physiker, Anwalt oder eben Straßenmusiker bist.

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Hast du Angst, im Alter zu verarmen?
Ich hatte diese Angst früher. Dann wurde mir klar, dass solche Dinge eher eintreten, je mehr man über sie nachdenkt. Heute versuche ich, alle negativen Gedanken zu verbannen. Wenn sie doch mal auftreten, schreibe ich einfach etwas Positives auf ein Blatt Papier und lese es mir jeden Tag durch: "Ich bin der legendäre Strawberry Man, ich werde jeden Tag so legendär gestalten, wie es mir nur möglich ist."

Ist es dir egal, dass sich Leute von dir belästigt fühlen?
Als ich vor sechs Jahren angefangen habe, auf der Straße Didgeridoo zu spielen, hatte ich noch kein Konzept. Oft waren die Leute irgendwann genervt von dem relativ eintönigen Geräusch. Heute finde ich, dass ich eine bessere Verbindung zum Publikum aufbauen kann und niemandem damit auf die Nerven gehe. Manchmal bitten mich Anwohner allerdings darum, woanders zu spielen, weil ihre Kinder oder sie selbst schlafen wollen [Anmerkung: Straßenmusiker müssen einen Abstand von mindestens 20 Metern zur nächsten Wohnbebauung einhalten]. Dafür habe ich Verständnis.

Schämst du dich manchmal dafür, dass du die Leute auf der Straße um Geld bittest?
Ich schäme mich nicht, im Gegenteil: Ich bin sehr stolz auf das, was ich tue. Außerdem bitte ich niemanden um Geld. Ich spiele mein Set und sage: "Wenn es euch gefallen hat, könnt ihr mir dafür etwas geben." Aber ich verstehe auch, dass Straßenmusik einen schlechten Ruf hat. Die Menschen, die in der U-Bahn aus den Boxen vorspielen und einem dann den Becher unter die Nase halten, finde ich ja selbst anstrengend.

Was machst du, wenn du deine Miete nicht zahlen kannst?
Das ist mir noch nie passiert. Bevor ich mit der Straßenmusik angefangen habe, habe ich bei meinen Eltern in Israel gewohnt, deswegen konnte ich das gesammelte Geld auch erstmal sparen. Im Laufe der Jahre habe ich dann gelernt, wie ich mit dem, was ich liebe, genug verdiene, um mich über Wasser zu halten. Ich habe immer genug Geld, um meine Miete zu zahlen.

Wie oft streitest du dich mit anderen Straßenkünstlern?
Vor einigen Wochen bin ich mit einem Straßenmusiker aneinandergeraten, weil er den Platz vorm U-Bahn-Hof Warschauer Straße – einer der besten Spots Berlins – über drei Stunden besetzt hat. Ich habe ihm gesagt, dass ich beim nächsten Mal dort spielen möchte. Als es dann wieder soweit war, hat er mir den Vortritt gelassen. Es gibt also Konflikte mit anderen Künstlern, ich würde aber nie laut oder gar gewalttätig werden.

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