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Kriminalität

Geldautomaten-Sprengen ist der neue Volkssport unter Verbrechern

Wenigstens wissen wir dadurch endlich, wie viel Geld in den Geräten steckt.
Foto: Imago | xcitepress

"Und es macht boom, immer wieder boom, wenn ich dich sehe": Wir wissen nicht, ob Halid T. (31) und Karim C. (22) einen Song der ansonsten nicht weiter erwähnenswerten Schlagerband Nordwand auf den Lippen hatten, als sie am 21. Dezember 2016 den Geldautomaten einer Sparda-Bank in Düren sprengten. Sicher ist jedoch, dass sie dabei ein Verbrechen begingen, das in Deutschland immer häufiger wird.

Gestern stellte das Bundeskriminalamt seinen Bericht "Angriffe auf Geldautomaten" vor. Demzufolge versuchten organisierte Banden 2016 insgesamt 318 Mal, Geldautomaten zu sprengen. Im Vorjahr waren es noch 157 Versuche, was einem Anstieg von 121 Prozent entspricht. Aber warum sprengen Gangster zur Zeit besonders gerne Automaten?

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Laut BKA schwappt das Phänomen aus den Niederlanden nach Deutschland über: 20 der 45 festgenommen Täter stammen von dort. Und weil die niederländische Polizei aggressiv dagegen vorgehe, würden die Banden immer öfter Firmenausflüge nach Deutschland machen. Das erkläre auch, warum sie besonders im angrenzenden Nordrhein-Westfalen unterwegs sind: 136 Mal schlugen die Banden dort zu. Im Vergleich dazu knallte es in Bayern im selben Zeitraum nur 17 Mal.


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Auch Halid T. und Karim C. kommen aus den Niederlanden. Vor dem Kölner Landgericht haben die mutmaßlichen Täter heute Geständnisse abgelegt, wie der Kölner Stadt-Anzeiger berichtet. Laut Anklage sprengten sie vier Geldautomaten, bei einem weiteren versuchten sie es. Dabei bedienten sie sich einer Technik, die sich laut BKA-Bericht bei vielen Tätern als besonders beliebtes Sesam-öffne-dich etabliert hat: Durch einen Schlauch leiteten sie ein Gas oder Gasgemisch ein, um es anschließend elektronisch zu zünden. In Ausnahmefällen wurde laut BKA auch militärischer Sprengstoff verwendet, weniger professionelle Täter behalfen sich mit Silvesterknallern.

Solche Sprengversuche beobachte man schon seit neun Jahren, teilt ein Sprecher des Geldautomatenherstellers Wincor Nixdorf gegenüber VICE mit. Als Gegenmittel gebe es unter anderem die Möglichkeit, Tinten-Systeme einzubauen, die die Banknoten in den Bargeldkassetten im Angriffsfall einfärben und so für Täter unbrauchbar machen. Außerdem arbeite man ständig an neuen Lösungen, die das Einleiten von Gas erschweren.

Zum Glück für die Banken haben sie es meistens mit Amateuren zu tun. Die Mehrheit der 2016 registrierten Sprengversuche blieb erfolglos. Nur in 128 von 318 Fällen griffen die Täter auch Bargeld ab. Das BKA spricht davon, dass "beträchtliche Geldbeträge" erbeutet worden seien. Aber was heißt das genau? Und wie viel Geld passt überhaupt in so einem Geldautomat?

Seit dem Prozess um Halid T. und Karim C. sind wir der Antwort ein Stück näher gekommen. Insgesamt erbeuteten die beiden in vier Automaten rund 572.000 Euro, also im Durchschnitt 143.000 Euro – oder wie sich Karim C. von seinem Anwalt geistreich zitieren ließ: Es sei schon "ein ordentlicher Haufen Geldscheine" gewesen. Die Welt hat ausgerechnet, dass in einen Geldautomaten theoretisch bis zu 500.000 Euro passen. In der Praxis sei es jedoch oft weniger, weil die Kunden in manchen Gegenden vor allem kleine Scheine wünschen. Bei dem Einbruch in die Sparda-Bank in Düren zerrten die beiden geständigen Täter zunächst einen schlafenden Obdachlosen am Fuß aus dem Vorraum, bevor sie den Automaten sprengten. Alleine an diesem Tag erbeuteten sie 165.000 Euro.

Laut Spiegel waren sie, wie viele ihrer Kollegen, in einem sehr schnellen, hochmotorisierten Auto unterwegs. In mehreren Fällen fuhren die Banden der Polizei davon. Selbst einen 250 Km/h schneller Polizeihubschrauber haben sie so bereits abgehängt. Halid T. und Karim C. konnten nach der Sprengung in Düren nur gefasst werden, weil sie schon länger von der Kölner Polizei observiert wurden. Die Ermittler hatten sie davor bereits bei zwei weiteren Sprengungen beobachtet. Die beiden kommunizierten mittels verschlüsselten Handys und brachten ihre Beute zurück in die Niederlande. Karim C. war im niederländischen Leiden in einer Obdachlosenunterkunft gemeldet. Auch in Zukunft wird er nicht unbedingt luxuriöser wohnen: Beide Täter erwarten Freiheitsstrafen von bis zu sechs Jahren.

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