Wir haben die dringendsten Google-Fragen zu Ostdeutschland beantwortet
Was denken diese PEGIDA-Demonstranten? || Montage: VICE || Foto: Matthias Schumann | imago

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Jahresrückblick

Wir haben die dringendsten Google-Fragen zu Ostdeutschland beantwortet

Was verdient ein Polizist in Ostdeutschland? Warum sind Ostdeutsche ausländerfeindlich? Wo gibts noch Ossi-Schrippen?

Wenn Menschen an mythische Landstriche denken, sehen die einen das Auenland vor ihrem inneren Auge, andere wiederum den Osten. Beim Thema "Ostdeutschland" haben viele Menschen viele Fragen – auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung und auch im Osten selbst. Zum Beispiel dann, wenn Rechte plötzlich im Bundestag sitzen oder Jan Böhmermann Stress mit Dynamo-Dresden-Fans hat.

Im Rahmen des Google-Jahresrückblicks hat der Suchmaschinenanbieter VICE exklusiv die zehn Fragen zum Thema "Ostdeutschland" zur Verfügung gestellt, die in 2017 den meisten Zulauf hatten. Das heißt nicht, dass sie automatisch auch am häufigsten ins Suchfeld getippt wurden, aber dass die Nutzer sie im Vergleich zum Vorjahr viel öfter gestellt haben. Statt um Trabi und Bananen, geht es um Geld, Armut und Rassismus. Und weil uns die Fragen auch interessieren, haben wir sie direkt für euch beantwortet. Gern geschehen.

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Wie hoch ist der Mindestlohn in Ostdeutschland 2017?
8,84 Euro pro Stunde. Darunter darf in Deutschland fast niemand arbeiten – egal ob in Zwickau oder in Ingolstadt. Der gesetzliche Mindestlohn ist in Ost und West gleich. Anders sieht es bei den Mindestlöhnen aus, die sich die einzelnen Branchen durch Tarifverträge selbst setzen. Hier macht es in vielen Berufen noch immer einen Unterschied, wo man angestellt ist. Leih- und Zeitarbeiter im Osten bekommen, wenn sie nach Tarif bezahlt werden, 32 Cent weniger pro Arbeitsstunde als Kollegen im Westen, bei den Pflegern sind es 70 Cent, bei Malergesellen 1,25 Euro. Glas- und Fassadenreiniger im Osten müssen im Vergleich sogar auf 1,72 Euro pro Stunde verzichten.

Warum sind Ostdeutsche ausländerfeindlich?
Allein im Mai dieses Jahres registrierte die Polizei 41 rechtsextreme Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund in den Ostbundesländern und Berlin. Im Rest des Landes waren es 15. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Linken an die Bundesregierung hervor. Die Friedrich-Ebert-Stiftung fand heraus, dass jeder dritte Ostdeutsche "neurechte Einstellungen" vertritt, aber "nur" jeder vierte Westdeutsche. Fremdenfeindlichkeit ist also nicht allein ein ostdeutsches Problem, aber dort umso mehr. Bereits im letzten Jahr hat das Göttinger Institut für Demokratieforschung rechtsextreme Strukturen und Denkmuster im sächsischen Freital und Heidenau sowie in Erfurt-Herrenberg, Thüringen, untersucht. Dabei kam heraus, dass zwei Faktoren die Fremdenfeindlichkeit verstärken: die Sozialisation in der verhältnismäßig geschlossenen DDR-Gesellschaft einerseits und eine empfundene Abwertung andererseits, die viele Menschen durch das Ende der DDR und den Wegfall vieler ostdeutscher Betriebe erlebt hätten. Hinzu kommen ein gerade in Sachsen von der CDU geförderter Lokalpatriotismus und der Zuzug vieler rechter Kader aus dem Westen (der Verleger Götz Kubitschek oder der ehemalige NPD-Vorsitzende Holger Apfel gehören dazu).

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Heute haben sich Neonazis im öffentlichen Leben so sehr breit gemacht, dass ihre Positionen auch bei gemäßigteren Leuten ankommen: "Rechtes Denken ist hier gesellschaftsfähig", sagt die Sozialforscherin Ina Schäfer über die sächsische Kleinstadt Bautzen. In der führt Schäfer mit ihren Kollegen gerade eine größere Studie durch. Fremdenfeindliche Parolen und Gewalt bleiben oft unwidersprochen: etwa als in Bautzen ein jubelnder Mob die Löscharbeiten an einer brennenden zukünftigen Flüchtlingsunterkunft behinderte. Was auch auffällt: Während im Westen mehr als jeder Fünfte einen sogenannten Migrationshintergrund hat und jeder Zehnte als Ausländer gilt, sind es beispielsweise in Sachsen gerade mal vier Prozent der Bevölkerung. Statt also tagtäglich Kontakt mit Menschen anderer Herkunft zu haben – in Schulen, Vereinen oder auf Arbeit –, nehmen manche im Osten, gerade auf dem Land, die Vielfalt der Gesellschaft nur über Fernsehen, Internet und Zeitungen wahr – inklusive aller Skandalschlagzeilen und Fake-News zu Islam und Flüchtlingskrise.

Warum ist Ostdeutschland ärmer?
Schon vor der Wiedervereinigung war die DDR schwer verschuldet, viele Betriebe waren hochsubventioniert und konnten nicht rentabel arbeiten. In den Folgejahren mussten sie wegen Missmanagement und einer planlos agierenden staatlichen Treuhandgesellschaft schließen. Zahlreiche Ostdeutsche waren ohne Arbeit, die Renten zudem niedriger als im Westen. Davon hat sich der Osten mittlerweile langsam erholt. Zwar sind die Menschen im Osten im Schnitt immer noch ärmer als die im Westen, aber beide Landesteile gleichen sich mehr und mehr an. Die prozentual meisten Armen und Armutsgefährdeten leben mittlerweile in Bremen, gleich dahinter folgt allerdings Sachsen-Anhalt. Anders als in den anderen vier Ostbundesländern hat das Armutsrisiko hier im letzten Jahr sogar zu- statt abgenommen.

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Warum sind Ossis anders als Wessis?
Gegenfrage: Warum sind Münchner anders als Ostfriesen? Wo und mit wem wir leben, beeinflusst, wer wir sind und wie wir denken. Was die Ostdeutschen eint, ist, dass sie entweder die sozialistische und autokratische Gesellschaft der DDR selbst miterlebt haben oder seit ihrer Kindheit Artikel über "die" Ossis lesen müssen. Und wenn man es im noch größeren, historischen Kontext betrachtet, dann war Ostdeutschland – oder zumindest der Teil davon, der östlich der Elbe liegt – schon immer etwas anders als der Westen. Das behauptet zumindest der britische Germanist und Historiker James Hawes.

Was verdient ein Polizist in Ostdeutschland?
Mehr als in Berlin und weniger als in Bayern oder bei der Bundespolizei. Danach wird es allerdings kompliziert, weil sich das Gehalt aus komplexen Besoldungstabellen zusammensetzt, die jedes Land unterschiedlich handhabt. Dazu kommen zahlreiche Zuschläge. Das allerniedrigste Brutto-Monatsgehalt, das ein ausgebildeter Polizist in Mecklenburg-Vorpommern theoretisch bekommen kann, beträgt 1.900 Euro. In Thüringen sind es 2.175 Euro. Beide Male ohne Zuschläge. Die Beamten, die Fußballspiele von Dynamo Dresden oder Neonazi-Konzerte im thüringischen Themar bewachen müssen, verdienen allerdings ganz ordentlich. Im Besoldungsreport des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der auch Zuschläge einbezieht, landen Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern im oberen Drittel, Sachsen-Anhalt im bundesweiten Mittelfeld und nur Brandenburg auf einem der hinteren Plätze.

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Wo gibts noch Ossi-Schrippen?
Nirgends. "Was sich heute 'Ossi-Brötchen' nennt, kann gar nicht das Gleiche sein wie damals", sagt Manuela Lohse, Geschäftsführerin des Landesinnungsverbands Saxonia des Bäckerhandwerks Sachsen. In der DDR herrschte Mangelwirtschaft, erklärt sie, das Mehl sei deshalb minderwertig gewesen und mit der heutigen Qualität überhaupt nicht vergleichbar. Dennoch gibt es einige Läden, die die Schrippen noch immer oder sogar wieder so anbieten, wie sie in der DDR waren, kleiner und kompakter, sprich: weniger aufgebläht. In Berlin verkaufen die etwa die Bäckerei Biesewski in der Pasteurstraße und die Bäckerei Müller in der Hönower Straße. Sie backen nach altem Rezept, aber mit hochwertigem Mehl.

Warum sind rechte Parteien stärker in Ostdeutschland?
Weil die großen Parteien dort alle vergleichsweise schwach in der Gesellschaft verwurzelt sind: Während in Bayern einer von hundert Menschen CSU-Mitglied ist und in NRW einer von 160 bei der SPD, findet sich unter 370 Sachsen gerade mal einer, der ein CDU-Parteibuch besitzt. Ein weiterer Grund: Im Osten gibt es einen höheren Anteil an Unzufriedenen, die sich – auch angesichts von niedrigen Löhnen und Arbeitslosigkeit – zur Protestwahl entschließen und auf Die Linke oder die AfD ausweichen. Außerdem hat der Osten ein paar Jahrzehnte weniger Demokratieerfahrung: Im Westen saßen NPD, DVU und Republikaner nämlich schon vor der Wende in mehreren Landesparlamenten – als die Bürger merkten, dass die rechten Parteien dort nichts bewirkten und sich vor allem mit internen Machtkämpfen beschäftigten, wählten sie wieder andere oder gingen erst gar nicht zur Wahl. Und nicht zuletzt ist rechtes Denken in der Bevölkerung tatsächlich weiter verbreitet (siehe "Warum sind Ostdeutsche ausländerfeindlich?"). Was dabei allerdings nicht vergessen werde sollte: Auch im Westen hat die AfD mancherorts schon 44 Prozent bei Wahlen geholt.

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Wer zahlt am meisten Soli?
Jeder, der in Deutschland Geld verdient und Einkommenssteuer abführt, zahlt den Solidaritätszuschlag, kurz Soli. Zwar gibt es eine Mindestgrenze, die Geringverdiener davon ausschließt, die meisten zahlen allerdings die vollen 5,5 Prozent Zuschlag auf ihre Lohnsteuer. Mit dem Aufbau Ost oder Ostdeutschland hat der Soli allerdings nicht zwingend etwas zu tun. Der Bund kann das Geld beliebig verwenden. Oft wird der Solidaritätszuschlag mit dem Länderfinanzausgleich verwechselt. Den gab es auch vor der Wiedervereinigung schon und er soll dafür sorgen, dass wohlhabendere Bundesländer strukturschwächere finanziell unterstützen. Bayern etwa erhielt selbst jahrelang Hilfen aus diesem Topf, im letzten Jahr aber zahlte der Freistaat mit 5,821 Milliarden mehr als die Hälfte der Gelder ein. Der Rest kam von Baden-Württemberg und Hessen. Alle anderen Bundesländer, egal ob Ost oder West, erhielten Geld aus dem Finanzausgleich.

Wie kann man die Ungleichheit von West und Ostdeutschland verbessern?
Die bekannteste Antwort auf diese Frage sieht vor zu versuchen, Ostdeutschland auf das Niveau Westdeutschlands zu heben. Genau das hat man seit 1990 praktiziert. Wie viel Geld dabei genau in den Osten floss – und wie viel davon zurückkam –, ist hoch umstritten. Das ifo Institut für Wirtschaftsforschung in Dresden kam vor zwei Jahren auf insgesamt 3,4 Billionen Euro, die der Westen für den Osten aufgebracht haben soll. Im Gegenzug entstanden dadurch aber auch Einnahmen von 1,8 Billionen Euro. Und trotzdem liegt der Osten in vielen Wirtschaftsstatistiken weiterhin zurück.

Wir hätten da allerdings noch einen zweiten Lösungsvorschlag: Man könnte den Westen auf Ostniveau zurückfahren. Dafür würde es vielleicht schon reichen, die Unabhängigkeitsbemühungen in Bayern zu unterstützen. Ohne den Freistaat stünden auch Nordrhein-Westfalen, das Saarland oder Rheinland-Pfalz noch schlechter da als jetzt. Problem gelöst. Oder, Option drei, man akzeptiert, dass es problematische Trends gibt, die sich quer durch ganz Deutschland ziehen und nicht nur den Osten betreffen – das Ausbluten der ländlichen Bereiche etwa oder der Wegfall der Großindustrie in Städten wie Gelsenkirchen.

Wie hoch ist die Mindestrente in Ostdeutschland?
Eine Mindestrente gibt es weder in Ost- noch in Westdeutschland. Aber jedem Rentner steht eine Grundsicherung zu. Die beläuft sich 2017 bundesweit auf 237 bis 409 Euro. Dazu kommen vom Staat "angemessene Aufwendungen" für Wohnung und Heizung sowie die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, Zusatzbeiträge und Vorsorgebeiträge.

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