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Bundestrojaner

Österreich ist auf dem Weg zum Überwachungsstaat – und niemanden interessiert's

Woran liegt das? Wir haben mit Kommunikations- und IT-Experten gesprochen.

Dieser Artikel ist Teil unserer laufenden Berichterstattung über die schwarz-blaue Regierung, die wir hier unter dem Namen "Schwarz-blaue Geschichten" gesammelt haben.

Eine Einschränkung des Briefgeheimnisses, eine Registrierung aller Prepaid-SIM-Karten und eine erweiterte Videoüberwachung: Die neue schwarz-blaue Regierung möchte ein neues Überwachungspaket im Eilverfahren durch das Parlament bringen. Änderungen des so genannten “Sicherheitspakets“ sollen bereits ab dem 1. Juni 2018 eintreten – und das ohne weitere Begutachtungen.

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Das “Sicherheitspaket“ sei bereits in der vorherigen Regierung begutachtet worden, lautet die Begründung des Justizministeriums. Dass die letzte Begutachtung bereits mit viel Kritik einherging, scheint weder Schwarz-Blau, noch die österreichische Bevölkerung zu interessieren.

Dass die FPÖ in der letzten Legislaturperiode vom vorgestellten Überwachungspaket selbst alles andere als begeistert war und der heutige Innenminister Herbert Kickl es sogar als “DDR 4.0“ betitelte, übrigens auch nicht. Ein Aufschrei fehlt völlig. Dass es sich bei den nun kommenden Änderungen um “schwerwiegende Grundrechtseingriffe“ handelt, scheint für uns alle nicht so aufregend und nennenswert zu sein wie Kickl beim Reiten auf einem Pferd. Ist es wirklich allen egal, dass Österreich auf dem besten Weg zum Überwachungsstaat sein könnte?

Dr. Fritz Hausjell, Universitätsprofessor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, erklärt im Interview mit VICE, dass es vor allem ein Vermittlungsproblem der Medien gäbe: “Die Kickl-Geschichte ist konkret und gut abbildbar, wohingegen das Überwachungspaket sehr abstrakt ist, die man auf eine direkt betreffende Geschichte herunterbrechen müsste.“

Hinzu komme eine schwache Öffentlichkeitsarbeit der Regierung, die nur “trockenes Papier“ bereit gestellt habe. “Man ist nicht daran interessiert, dass die Geschichte groß wird. Deswegen wird nur das mindeste an Öffentlichkeitsarbeit gemacht.“ Auch die Abstraktion des Themas bereite uns Schwierigkeiten: “Wie visualisiere ich einen Bundestrojaner? Das Problem fängt bereits bei der schlechten Visualisierung an.“

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Dabei wäre es angesichts seiner umfassenden Einsatzmöglichkeiten durchaus wichtig, den Bundestrojaner – eine Software, die verschlüsselte Messenger-Dienste überwacht – zu visualisieren. Für den IT-Experten Robert Harm ist der Einsatz dieser Software hochgradig problematisch. “Im Zuge der Bundestrojaner-Diskussion wird argumentiert, dass dieser nur gegen Schwerkriminelle eingesetzt werden soll“, sagt er gegenüber VICE. “Da man aber nicht weiß, wer ein Schwerkrimineller ist – oder vielleicht mal wird –, müssen potentiell die Geräte aller Bürger hackbar sein.“

"Das Motto 'Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten', war noch nie richtig."

Auch Jürgen Haslauer von online-stratege! äußert Bedenken hinsichtlich der Überwachung verschlüsselter Kommunikation. Diese sei technisch nicht direkt möglich, weshalb man gezielt Sicherheitslücken ausnutzen beziehungsweise schaffen müsse, um die Schadsoftware überhaupt am zu überwachenden Gerät installieren zu können.

Aber nicht nur die Bundestrojaner, auch andere Maßnahmen hätten eine kritische Betrachtung verdient. So sollen beispielsweise eine Auflockerung des Briefgeheimnis, eine Light-Version der Vorratsdatenspeicherung und eine generelle Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen eingeführt werden.

Das abstrakte Sicherheitspaket ist nicht so einfach fassbar wie ein grinsender Minister, der Werbung für seine berittene Polizei macht – aber umso wichtiger wäre es, seine Bedeutung zu begreifen, da ein Bundestrojaner auf unser Leben weitaus stärkeren Einfluss hätte als ein paar Pferde auf der Donauinsel. “Das Motto ’Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten‘, war noch nie richtig“, sagt Robert Harm abschließend.