So genießt man Essen, wenn man nichts riecht
Illustration: Sander Abbema

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So genießt man Essen, wenn man nichts riecht

Wir haben Menschen mit olfaktorischen Störungen gefragt, wie sie damit beim Essen zurechtkommen – und gelernt, dass es noch auf so viele andere Faktoren ankommt.

Auch du hattest bestimmt schon mal eine dieser fieser Erkältungen, bei denen du total schlapp bist und gefühlt den gesamten Inhalt deines Schädels in unzählige Taschentücher rotzt. Solche Erkältungen wirken sich auch auf deinen Geruchssinn aus. Aufgrund der verstopften Nase nicht richtig riechen zu können, ist aus verschiedenen Gründen beschissen. Einer davon: Du schmeckst auch dein Essen nicht so, wie du es sonst tust. Unser Geruchssinn spielt beim Essen nämlich eine große Rolle. Und ohne ihn bleiben uns nur die fünf Grundgeschmacksrichtungen: süß, sauer, salzig, bitter und umami. Alle anderen nuancierten Geschmäcker sind raus.

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Wenn du das nächste Mal ein gut gewürztes Gericht isst, dann halte dir dabei mal die Nase zu. Egal wie viel Kardamom und Nelken sich auch in deinem Curry befinden, du schmeckst nur feuchten Reis mit einer leicht salzigen Soße. Gleiches gilt für dein Lammfleisch mit Knoblauch und Kreuzkümmel, das zu einer groben Soße mit faden Brocken verkommt.

Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, trotz anhaltender Erkältung das Essen zu genießen? Diese Frage können am besten die Menschen beantworten, die entweder überhaupt nichts riechen können oder einen eingeschränkten Geruchssinn haben. Also haben wir mit drei von ihnen geredet.


Auch bei Munchies: Geruch verändert den Geschmack


Julie Velthoven (20), kann von Geburt an nichts riechen

MUNCHIES: Wie hast du herausgefunden, dass du nichts riechst?
Julie Velthoven: In der Grundschule lernten wir etwas über die fünf Sinne. Man verband uns die Augen, hielt uns dann verschiedene Gewürze wie Oregano oder Thymian unter die Nase, und wir mussten erraten, was was ist. Ich lag immer daneben. Nach etwas Recherche und einigen Tests wurde bei mir dann Anosmie diagnostiziert. Ich war richtig erleichtert, weil ich schon an mir selbst gezweifelt hatte. Im Grunde bedeutet diese Krankheit, dass ich gewisse Impulse nicht in Gerüche umwandeln kann.

Wie wirkt sich das aufs Essen aus?
Ich schmecke nur die Grundgeschmacksrichtungen. Bei Bonbons kann ich zum Beispiel nicht sagen, ob sie nach Erdbeere oder Banane schmecken, erkenne aber, dass sie süß sind. Wenn ich mit Freunden an einer lecker duftenden Bäckerei vorbeigehe, bekommen sie direkt Hunger, aber ich merke gar nichts. Letztens war ich auch mit einer Freundin auf einem Fischmarkt: Während sie sich wegen des Gestanks die Nase zuhalten musste, hatte ich absolut keine Probleme.

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"Ich persönlich esse gerne Sachen, die verschiedene Konsistenzen aufweisen. Sushi zum Beispiel."

Ich bin noch nie ein großer Fan von Essen gewesen, aber in letzter Zeit macht mir das Kochen immer mehr Spaß. Ich muss es da jedoch einfach halten. Ein Beispiel: Ich habe keine Ahnung, was Kreuzkümmel geschmacklich bringt. Außerdem habe ich beim Kochen schon mehrere Male das Gas des Herds angelassen. Erst gestern wieder. Mein Mitbewohner hat nur gefragt, ob ich gekocht habe.

Welchen Ratschlag würdest du Leuten geben, die erkältet sind und deswegen nichts schmecken?
Ich persönlich esse gerne Sachen, die verschiedene Konsistenzen aufweisen. Sushi zum Beispiel. Im Allgemeinen sind knusprige Lebensmittel super. Weiches Zeug wie gekochter Spargel oder Austern geben mir nichts. Wenn ich Nudeln bestelle, dann niemals etwas Glibberiges wie Carbonara, sondern irgendetwas mit Tomatensoße, Gemüse und Fleisch.

Ich gebe beim Kochen außerdem gerne etwas Scharfes wie Peperoni hinzu. So fühle ich noch etwas in meiner Nase, auch wenn man mir sagt, dass das nichts mit der Geruchswahrnehmung zu tun habe.

George Dooper (41), riecht entweder gar nichts oder nur verfälschte Gerüche

MUNCHIES: Wie lange leidest du schon unter dieser Störung?
George Dooper: Vor zweieinhalb Jahren hatte ich einen Fahrradunfall, bei dem ich auf meinen Hinterkopf gefallen bin. Als das Essen im Krankenhaus nach nichts schmeckte, dachte ich mir noch nichts dabei. Sechs Wochen später aß ich dann aber zusammen mit meiner Freundin verschiedene Weichkäse und schmeckte wieder nichts. Da wurde mir klar, dass etwas nicht stimmte und dass mein Geruchssinn gestört war.

Man kann sich die Geruchsnerven wie dünne Drähte vorstellen, die von der Nasenschleimhaut ins Gehirn gehen. Einige meiner Geruchsnerven waren noch intakt, andere jedoch kaputt. Und ein paar von ihnen waren abgerissen und an einer anderen Stelle wieder verbunden. Deswegen rieche ich manche Sachen anders. Autoabgase und Zigarettenrauch nehme ich zum Beispiel als sauer wahr. Oder wenn ein Steak an einer Stelle nur ein klein wenig verbrannt ist, dann rieche ich das viel stärker als vorher – so stark, dass ich den Rest des Steaks kaum schmecke.

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"Ich habe schon immer gerne mit Essen experimentiert, nun ist es quasi eine Herausforderung, meine Mahlzeiten wieder aufregend zu machen."

Hat der Unfall das Essen für dich schwerer gemacht?
Im Grunde schmecken bestimmte Lebensmittel für mich jetzt entweder besser oder schlechter. Ich mag beispielsweise nur noch weiße Schokolade, weil die keinen Kakao enthält. Bananen schmecken jetzt komisch, so als ob sie alle kurz vorm Verfaulen wären. Das ist schade. Allerdings kann ich jetzt auch vieles wieder neu entdecken. Ich habe schon immer gerne mit Essen experimentiert, nun ist es quasi eine Herausforderung, meine Mahlzeiten wieder aufregend zu machen.

Hast du irgendwelche Tipps für Menschen, die ebenfalls an dieser Störung leiden?
Mein Ziel ist es, meine Geschmacksnerven zu stimulieren. Ich kombiniere Kartoffelbrei und Sauerkraut etwa mit Ananas, um das Ganze aufzupeppen. Und mit Speckwürfeln intensiviere ich den salzigen Geschmack. Aber auch bei den Nachspeisen probiere ich neue Sachen aus, zum Beispiel Kokosraspeln oder Karamellsoße als Extrazutaten.

Beim Wein bevorzuge ich inzwischen schwerere und intensivere Aromen. Und ich trinke nur noch würzige Biere. Früher war das nicht so, aber man verändert sich eben.

Joke Boon (56), hat als Kind ihren Geruchssinn verloren

MUNCHIES: Du riechst nichts, schreibst aber trotzdem Kochbücher. Da hast du doch sicher ein paar gute Ratschläge für erkältete Menschen parat?
Joke Boon: Beim Essen sind alle Sinne involviert, das sollte man sich zu Nutze machen. Man schmeckt, fühlt und riecht die Zutaten nicht nur, man sieht und hört sie auch. Wenn man zum Beispiel auf etwas beißt, dann kracht und knirscht es. Das sagt uns etwas über die Konsistenz. Eine Walnuss klingt beispielsweise ganz anders als eine Haselnuss.

Inwiefern?
Walnüsse sind fetthaltiger und machen beim Zerkauen deswegen ein höheres Geräusch. Eine Haselnuss klingt hingegen wie ein dumpfer Aufprall.

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"Letztendlich kommt es beim Schmecken des Essens aber auch noch auf andere Aspekte an: den Teller, das Glas oder die Musik, die im Hintergrund läuft."

Reden wir doch mal über den visuellen Aspekt. Wie macht man Essen interessanter fürs Auge?
Indem man bewusst auf bestimmte Farben setzt. Wenn du dich etwas schlapp fühlst, dann esse einfach etwas Gelbes, Rotes oder Orangefarbenes. Das sind leckere und aufweckende Farben, die dich wieder auf Trab bringen. Ich esse jeden Tag etwas in diesen Farben.

Letztendlich kommt es beim Schmecken des Essens aber auch noch auf andere Aspekte an: den Teller, das Glas oder die Musik, die im Hintergrund läuft. Bei schnellerer Musik isst man auch schneller und kann das Essen nicht so intensiv erfahren. Außerdem schmeckt es sich nicht so gut, wenn das Essen noch sehr heiß ist.

Und jetzt verwandle all diese Tipps in ein Gericht.
In einem meiner Bücher steht ein Rezept für eine pinke Hühnerbrühe, die rote Beete enthält. Außerdem kommen Ingwer und rote Paprika mit rein, was das Ganze noch würziger macht.

Gibt es Gerichte, die dir unter keinen Umständen schmecken?
Ja, denn mir ist auch der Name sehr wichtig. Wenn etwas eklig klingt, dann will ich das normalerweise auch nicht essen. Wie etwa Blutwurst, Schwartenmagen oder Zunge. Mein Ehemann hat da überhaupt kein Problem damit, der isst alles. Aber wenn ich nur an Zunge denke, schüttelt es mich!