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Frankfurt

Studie zeigt, was Dealer ihren Kunden ins Heroin und Kokain mischen

Erstmals untersuchen Wissenschaftler, welche Substanzen sich Menschen in sogenannten Drogenkonsumräumen wirklich spritzen.
Foto: imago | Jochen Tack

Mindestens 1.333 Menschen starben in Deutschland 2016 nach Drogenkonsum. Seit 2012 ist die Zahl jedes Jahr gestiegen, auch der nächste Bericht der Bundesdrogenbeauftragten wird wohl wieder einen Anstieg melden. Aber ein Detail bleibt gleich: Die meisten Leben kostet Heroin. Drogenkonsumräume, in denen sich Konsumenten mit sterilen Materialien statt verdreckten Spritzen einen Schuss setzen können und Sozialarbeiter das Gespräch mit ihnen suchen, sollen Opferzahlen senken. In Frankfurt läuft derzeit eine Studie, die erstmals genauer untersucht, was dort in die Blutbahnen der Konsumenten gelangt.

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Konsumräume stehen in lediglich 14 Städten für Konsumenten zur Verfügung. In Bayern, wo jährlich die meisten Drogennutzer sterben, verhindert die Politik ihre Öffnung, im hessischen Frankfurt gibt es hingegen vier, drei davon rund um den Hauptbahnhof. In diesen Räumen sammeln Mitarbeiter seit vergangenem August zurückgelassene Pulverrückstände, Verpackungen und Spritzenfilter auf und schicken sie in die Uniklinik Freiburg. Ein Forscherteam der Forensischen Toxikologie untersucht die Proben auf ihre Zusammensetzung.

Nur neun Prozent Heroin im Heroin – aber null Prozent Strychnin im Kokain

In einer am Montag vom Drogenreferat der Stadt Frankfurt vorgestellten ersten Auswertung kam dabei Überraschendes heraus: In dem verwendeten Heroin befanden sich durchschnittlich nur neun Prozent Heroin. Andere Stellen wie die Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) hatten zuvor einen Reinheitswert von gut 20 Prozent im deutschlandweiten Straßenverkauf der Droge festgestellt. Die Frankfurter Kokain- bzw. Crackproben bestanden jeweils zu gut drei Vierteln tatsächlich aus Kokain, auf diese Werte war auch die DBDD im Bundesgebiet gekommen.


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Dass Proben so gut wie nie einen hundertprozentigen Reinheitsgehalt erreichen, liegt an Begleitstoffen, die während der Produktion entstehen. Dealer und Zwischendealer strecken ihre Ware allerdings auch, um höhrere Gewinne zu erzielen: Bei Heroin vor allem mit Koffein und Paracetamol, bei Kokain bzw. Crack mischen sie häufiger das Schmerzmittel Phenacetin oder das Entwurmungsmittel Levamisol unter. Der Stoff kann bei Menschen Blut-, Gefäß- und Lungenerkrankungen hervorrufen.

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Oliver Müller-Maar, der die Studie beim Frankfurter Drogenreferat begleitet, sagte gegenüber VICE, zwei Befürchtungen hätten sich bislang nicht bewahrheitet: Zum einen sprangen die Testmittel nur zweimal auf Fentanyl an. Das hochpotente Schmerzmittel, das Konsumenten als Opioid-Ersatz entweder aus China erhalten oder aus Schmerzpflastern selbst auskochen, soll in den USA für einen massiven Anstieg an Drogentoten verantwortlich sein – und breitet sich mittlerweile auch in Deutschland aus. Gefunden wurde das Fentanyl in Frankfurt nicht in Besteckrückständen, sondern nur an zwei Verpackungen. Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass die Konsumenten ihre Tütchen zusammen mit Schmerzpflastern in der Hosentasche trugen. Zum anderen konnten die Toxikologen keine als "Designerdrogen" bekannten, neuen psychoaktiven Substanzen in den Proben feststellen.

Eine andere Substanz tauchte in den Auswertungen ebenfalls bisher nicht auf: das Rattengift und Dopingmittel Strychnin, das immer wieder in deutschen Drogen vermutet wird. Auch ist den bislang untersuchten Kokainsteinen kein Crystal Meth beigemischt worden.

Drugchecking könnte Zahl Drogentoter weiter senken

Noch bis mindestens Juli sollen weiteren Proben gesammelt und untersucht werden. Müller-Maar sagte VICE, das Frankfurter Drogenreferat erhoffe sich von den Auswertungen bessere Informationen für die Konsumenten, damit die oftmals Schwerabhängigen sich keinen weiteren Risiken aussetzen. Mitarbeitern der Konsumräume sollen die Ergebnisse helfen, die Konsumenten im Notfall besser und zielgerichteter zu betreuen.

Laut Deutscher AIDS-Hilfe sollen neue antibakterielle Filter in den nächsten Monaten einen verbesserten Schutz beim Spritzen bieten. Direkte Vororttest der Drogen sind rechtlich nicht möglich. Dabei könnten sie dafür sorgen, dass Konsumenten verunreinigtes Heroin oder Kokain dank der Prüfung erst gar nicht konsumieren würden. Die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen erarbeitet derzeit allerdings ein Modellprojekt für das sogenannte Drugchecking. In ihrem Bundesland ging die Zahl der Drogentoten bei der letzten Erfassung zurück – anders als in Gesamtdeutschland. Dazu sollen auch die Konsumräume beigetragen haben.

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