Wie eine Nacht im Gefängnis meine Beziehung gerettet hat
Eine Wand in einem verlassenen Gefängnis in Wien | Foto von VICE Media

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Popkultur

Wie eine Nacht im Gefängnis meine Beziehung gerettet hat

"Ich bereute, dass ich ihr nicht sagen konnte, dass ich sie liebe, dass ich sie nicht in den Arm nehmen konnte und wir zuvor so oft gestritten hatten."
Verena Bogner
aufgeschrieben von Verena Bogner

Seit etwas mehr als eineinhalb Jahren bin ich mit meiner Freundin Carina* liiert; seit einem halben Jahr wohnen Carina, ihre fünfjährige Tochter und ich auch in einer gemeinsamen Wohnung. Wie so viele Paare lernten wir uns beim Ausgehen kennen.

Wir standen von Beginn an nicht nur aufeinander, sondern auch auf dieselbe Musik, dieselben Filme, denselben Humor – ich fühlte mich, als hätte ich mein weibliches Äquivalent gefunden und ihr ging es umgekehrt genauso. Unsere Beziehung war aufregend, lebendig und heiß, aber trotz allem nicht einfach. Schon bald kristallisierte sich heraus, dass wir auf lange Sicht kaum eine Chance hatten. Dann ging plötzlich alles recht schnell. Sie brauchte eine Wohnung und aus finanziellen Gründen bot ich ihr an, zusammenzuziehen.

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Es folgten unterschiedlichste Hürden: Ich war an das Familienleben nicht gewöhnt und ließ sie mit vielem alleine, was ihre Tochter betraf. Ich war die ganze Arbeitswoche über außer Haus. Nach drei Monaten musste ich meinen damaligen Job einvernehmlich kündigen. Eine chaotische, entbehrungsreiche, aber auch spannende Zeit stand an und alles geriet aus den Fugen. Mir fehlten die finanziellen Mitteln, um für die Wohnung und mein tägliches Leben aufzukommen. Irgendwie schafften wir es aber, uns mit Kunst und Auftragsarbeiten über Wasser zu halten und gingen zum Ausgleich viel aus, was uns wieder näher zusammenschweißte. Als wir unseren ersten Jahrestag feierten, konnten wir trotz aller Hürden unsere bisherigen Konflikte an einer Hand abzählen und wir hatten wirklich an jedem gemeinsamen Tag Sex.

Bis das passierte, was wohl jedem Paar früher oder später passiert: Der Alltag kehrte ein. Das bedeutete in unserem konkreten Fall, dass wir nicht nur leidenschaftliche kurze Auseinandersetzungen miteinander hatten, sondern auch über Tage hinweg stritten. Der Sex wurde spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem ich nach mehrmonatiger Arbeitslosigkeit am Bau zu arbeiten begann, seltener.

Es brauchte Veränderung, sonst war unsere Beziehung verloren.

Plötzlich störten wir uns an Kleinigkeiten, die wir zuvor noch süß fanden. In diversen Gesprächen hinterfragten wir unsere Beziehung. Irgendwie schafften wir es zwar immer wieder, die Kurve zu kriegen, aber wir entfernten uns voneinander. Die rosarote Brille war der Realität gewichen. Es ging um Banales wie den Haushalt, die Wäsche, die Finanzen, Sex und vor allem Zeit. So kam es immer wieder zu Beleidigungen und Gehässigkeiten, die uns später leid taten. Es brauchte ganz deutlich Veränderung, sonst war unsere Beziehung verloren.

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Wenn uns damals irgendwer gesagt hätte, dass ausgerechnet zusätzlicher Stress, mehr Angst, höhere Unsicherheit und noch weniger Geld das Feuer unserer Liebe zueinander neu entfachen könnten, hätten wir ihn wahrscheinlich nicht nur ausgelacht, sondern aus unserem Leben geprügelt. Aber genau das passierte.

An einem scheinbar normalen Tag war ich schon früh aus dem Haus und zur Arbeit gegangen. Carina musste erst später raus und war noch in der Wohnung, als plötzlich Kripobeamte unsere Wohnungstüre eintraten. Meiner Freundin wurde der Durchsuchungsbefehl gezeigt und aufgetragen, mich zu kontaktieren. Erst glaubte ich ihr nicht und hoffte, sie würde nur scherzen. Sie überzeugte mich aber schnell vom Gegenteil. Ich zitterte am ganzen Leib. Meine Knie waren weich wie Gummi, mein Herz raste, mir wurde schlecht.

Als ich nachhause kam, erwartete mich bereits mein Kommittee aus zehn uniformierten und zivilen Beamte, zwei Hunden – und einigen Feuerwehrmännern, die die Türe wieder reparierten. Bereits auf der Treppe zur Wohnung wurde mir von Beamten gesagt, dass ich verhaftet sei, was ich in diesem Moment nicht wirklich registrierte. Ich sah Carina an, aber ich konnte sie nicht berühren, was mir in diesem Moment noch nicht besonders schlimm erschien. Ich war mir aufgrund der geringen Menge an Suchtmitteln, die sie finden konnten, sicher, dass kein Anlass für mehr als eine weiterführende Vernehmung bestände. Ich hatte zirka 15 Gramm Gras und eine XTC-Tablette, sowie ein Gramm Speed von der letzten Party besessen.

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Nach mehreren Stunden wurde ich ins Anhaltezentrum überstellt und in eine Zelle geführt. Besonders schlimm war es, als das erste Mal die schwere Zellentüre hinter mir geschlossen wurde. Ich wollte heim, ich wollte zu Carina. Etliche Fragen plagten mich. Schließlich wusste ich weder, was mir konkret vorgeworfen wurde, noch, wann ich meinen Schatz wieder sehen konnte, wie es ihr ging, ob sie mir Vorwürfe machte oder ob sie mit jemandem wie mir zusammenbleiben würde.

Ich stellte mir ihr ansteckendes Lachen, ihre unverkennbare Stimme mit dem sympathischen Akzent, ihr schönes Gesicht, ihren festen Arsch vor.

Der Tag kam mir ewig vor. Dann wurde ich zwecks amtsärztlicher Untersuchung endlich für wenige Minuten zumindest aus der Zelle geholt. Erst danach wurde ich vernommen und erfuhr, worum es überhaupt ging. Ich war angeschwärzt worden von jemandem, den ich nicht kannte. Ich stritt dessen Vorwurf, mit Drogen zu handeln, ab. Aber es war umsonst. Ich musste über Nacht in Haft bleiben, bis ein Zeuge befragt war.

Meine Gedanken kreisten fast ausschließlich um meine Freundin. Wie ging es ihr nach diesem schrecklichen Tag? Was machte sie gerade? Wann würde ich sie wiedersehen können? Würde sie mich betrügen oder verlassen, falls ich zu einer Haftstrafe verurteilt werden sollte? Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, dass sie sich die Wohnung nicht weiterhin leisten konnte – Wörter wie Obdachlosigkeit und Kriminalität gingen mir durch den Kopf. Ich hatte Angst, dass man ihr ihre Tochter wegnehmen würde. Angst, dass sie und ihre Tochter von den Nachbarn gemieden würden.

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Ich stellte mir ihr ansteckendes Lachen, ihre unverkennbare Stimme mit dem sympathischen Akzent, ihr schönes Gesicht, ihren festen Arsch vor. Ich dachte an viele banale Dinge und wie ich diese Dinge vermissen würde. Ich bereute, dass ich ihr nicht sagen konnte, dass ich sie liebe, dass ich sie nicht in den Arm nehmen konnte und wir zuvor so oft gestritten hatten.

Während ich meinen Tag im Anhaltezentrum mehr schlecht als recht überdauerte, durchlief Carina sämtliche Zustände zwischen Ohnmacht, Angst, Verzweiflung, Trauer, aber auch Nostalgie und Idealisierung. Sie quälten tausend Fragen darüber, was mit mir geschehen würde, was sie tun sollte, wie sie mir helfen könnte, wen sie über meinen Verbleib in Kenntnis setzen sollte, was im Falle eine längeren Haftstrafe aus ihrer Tochter und ihr würde, ob und inwiefern die Haft Einfluss auf mich auf sie und unsere Beziehung hätte. Auch ihr tat in dem Moment einiges leid, wie sie mir später erzählte. Neben Streitigkeiten bereute sie vor allem die viele vergeudete Zeit.

Einen Tag später erwartete ich die nächste Vernehmung und hoffte, dass der befragte Zeuge auch wirklich die Wahrheit sagt. Tatsächlich konnte er die Anschuldigung nicht bestätigen und ich durfte gehen. Als ich schließlich von einem Beamten zum Ausgang geleitet wurde, meinte er beinahe väterlich, dass ich nun sofort meine Freundin anrufen müsste, da sie bereits mehrmals angerufen und nach mir gefragt hätte. Ich konnte es nicht mehr erwarten, Carina in die Arme zu nehmen.

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Wir waren uns in so vielen Punkten einig wie noch nie.

Nicht nur die Freude über meine Freiheit, sondern auch die Zuneigung zueinander und die Lust aufeinander waren mindestens genauso groß wie am Anfang unserer Beziehung. Wir vergeudeten auch keine Zeit mehr: Sobald wir die ramponierte Eingangstüre mit einem schelmischen Grinsen zugeworfen hatten, fielen wir übereinander her. Nach dem Sex erzählte ich ihr von meinen Erlebnissen und Gedanken der letzten 30 Stunden und sie von ihren. Wir waren uns in so vielen Punkten einig wie noch nie.

Egal ob es die ewigen Streitereien über Unwichtigkeiten wie die Wäsche, die gegenseitige Wertschätzung auch im Streitfall, der respektvolle Umgang miteinander, das Vergeben und Vergessen von Fehlern und Beleidigungen und das Nützen und Genießen der gemeinsamen Zeit betraf, wir wollten künftig alles besser machen. Heute schaffen wir das tatsächlich. Wir haben gelernt, dass scheinbare Unzulänglichkeiten genauso ein Teil des Menschen sind, den wir lieben. Seither vögelten wir auch wieder jeden Tag. Wie lange das alles anhält, können wir beide nicht wissen.

Mit meiner Verhaftung wurde aus dem Nichts ein Mensch aus dem Leben des anderen gerissen. Es bestand kurzfristig keine Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren, geschweige denn sich zu berühren. Auch wenn es nur kurz war – diese Unmittelbarkeit und Schnelligkeit, mit der sich alles im Leben ändern und jede Perspektive plötzlich komplett verschwinden konnte, waren uns eine Lehre. Natürlich haben wir uns gegenseitig idealisiert, aber diese Idealisierung des anderen ist es auch, die uns beiden Sicherheit und Selbstvertrauen geschenkt hat.

* Name von der Redaktion geändert

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