Der 23-jährige Fotograf Nezar Moqbel ist in einem Land aufgewachsen, das er nur als "Al Yemen Al Saeed" kennt – also im "glücklichen Jemen". Seit sieben Jahren herrscht im Jemen allerdings ein brutaler Bürgerkrieg, der schon über 233.000 Todesopfer gefordert hat und bei über 20 Millionen Menschen – das sind fast zwei Drittel der gesamten Bevölkerung – für Nahrungsknappheit sorgt.
2014 gelang es den Huthi-Rebellen, die Macht in der Hauptstadt Sanaa und in großen Teilen des Landes an sich zu reißen. Seitdem kämpfen die Rebellen gegen eine internationale Koalition inklusive Saudi-Arabien und der Vereinigten Arabischen Emirate, die von den USA unterstützt wird. Experten sind jedoch der Meinung, dass es sich bei dem Konflikt eigentlich um einen Stellvertreterkrieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien handelt, bei dem es um die Macht auf der arabischen Halbinsel geht.
Viele jemenitische Städte werden seitdem heftig bombardiert, und man wirft beiden Seiten Kriegsverbrechen vor. Aber trotz der ganzen Zerstörung von Häusern, Krankenhäusern und Schulen geht das Leben in den Straßen Jemens weiter. Und genau diesen Alltag hält Nezar Moqbel mit seiner Handykamera fest. Seine Fotos fangen dabei die Emotionen der vielen Menschen ein, die kaum über die Runden kommen. Sie zeigen aber auch fröhliche Momente – etwa Hochzeitsfeiern, bei denen laute Musik die Explosionsgeräusche übertönt.
Wir haben mit Moqbel darüber geredet, wie sein Projekt angefangen hat und was es ihm bedeutet.
Sanaa, November 2020: Ein Marktverkäufer in der Altstadt
VICE: Wenn du über den Jemen redest, sprichst du oft von der schönen Seite der Geschichte deines Landes. Was meinst du damit?
Nezar Moqbel: Ich bin hier mit dem Gedanken aufgewachsen, dass der Jemen ein glücklicher Ort ist. Dann brach der Krieg aus. Mit der Zeit fing die Schönheit des Jemen an, aus meiner Erinnerung zu verschwinden. Auch die Medien haben dazu beigetragen, denn sie zeigen immer nur schreckliche Kriegsszenen. Niemand erinnert sich mehr an irgendetwas außer dem Krieg.
Deswegen hast du angefangen, Fotos zu schießen?
Die ersten vier Jahre habe ich mich einfach mit dem Krieg abgefunden. Ich schaute passiv zu. Im Februar 2019 entschied ich mich aber, aktiv zu werden. Ich fing an, Fotos zu machen, um den eigentlichen Alltag im Jemen festzuhalten und um diese Vorstellung von glücklicheren Zeiten neu zu beleben.
Sanaa, Mai 2019: Eine Frau mit ihren Enkelkindern
Warum machst du die Bilder mit deinem Smartphone?
In diesen Zeiten des politischen Chaos kann es sehr gefährlich sein, eine Kamera mit sich zu tragen und Leute zu fotografieren. Aber ich lasse mich davon nicht aufhalten. Ich fotografiere mit meinem Handy, auch wenn das teilweise riskant bleibt. Im Jemen haben Künstlerinnen und Fotografen nicht viele Möglichkeiten, ihre Arbeiten auszustellen, deswegen schaffen wir uns diese Möglichkeiten selbst. Ich weiß, dass meine Fotos der Welt zeigen können, dass wir versuchen, ein gutes Leben zu haben.
Wie wählst du die Motive deiner Bilder aus?
Jeder Fotograf hat eine eigene Vision. Bei mir ist das recht spontan: Ich fange Momente ein, die mir persönlich nahe gehen. Und Dinge, die man sonst schnell übersehen würde.
Sanaa, Mai 2019: Mehrere Jungs legen eine Pause bei der Arbeit ein
Eines meiner Lieblingsbilder entstand letztes Jahr während des Ramadan auf dem Markt der Altstadt von Sanaa. Mehrere Kinder haben dort eine Pause von der Arbeit gemacht. Sie arbeiten jeden Tag von 12 bis 18 Uhr und tragen Waren vom Markt zur Hauptstraße. Dafür bekommen sie von jedem Kunden 100 Jemen-Rial [umgerechnet rund 30 Cent]. Trotz ihres harten Alltags scherzen sie immer noch ganz normal miteinander rum und lachen zusammen – so wie es Kinder überall auf der Welt tun.
Aber nicht alle deine Bilder sind so fröhlich.
Es ist eine bunte Mischung. Manche sind fröhlich, manche sind traurig. Manche stellen dar, wie abgestumpft die Leute gegenüber der Gewalt geworden sind. Und manche zeigen, wie die Zukunft des Jemen nach dem Krieg aussehen könnte.
Sanaa, Mai 2019: Die Jungs, die eine Pause machen
Sanaa, Oktober 2020: Der "Zaffa" ist ein musikalischer Festzug mit Trommeln, der während vieler arabischer Hochzeiten vor dem Haus des Bräutigams veranstaltet wird
Sanaa, August 2020: Dieser Obdachlose muss auch während des islamischen Opferfests Eid al-Adha, welches das Ende des Ramadan markiert, auf der Straße schlafen
Sanaa, November 2020: Ein Junge verkauft Knoblauch
Taizz, Januar 2021: Ein Spielzeuggeschäft ist wieder geöffnet, obwohl das Gebäude bei Bombenangriffen schwer getroffen wurde
Sanaa, Dezember 2019: Durch die Luftangriffe wurden viele Menschen obdachlos
Sanaa, Juli 2019: Freunde umarmen sich in den Gassen der Altstadt
Sanaa, Juli 2020: Ein alter Mann muss nach jedem Schritt eine kurze Pause einlegen, weil der Sack auf seinem Rücken so schwer ist