Ein Blogger entlarvt russische Soldaten in Syrien & sabotiert Putins Propaganda
Mögen sich: Assad und Putin. Bild: Screenshot Vkontakte via Ruslan Leviev

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Ein Blogger entlarvt russische Soldaten in Syrien & sabotiert Putins Propaganda

Mit Recherchen in sozialen Netzwerken und detailverliebter Detektivarbeit ärgert Ruslan Lewijew die kremltreuen Medien.

Die Kriege, die Russland führt, sind verdeckter geworden und setzen auf Täuschung. Im Ukraine-Konflikt ist die Lage unübersichtlich; bis heute wurde beispielsweise nicht eingeräumt, dass russische Soldaten auf ukrainischem Boden kämpfen. Russland ist ein Großmeister in Sachen raffinierter Kriegsstrategien des 21. Jahrhunderts, die asymmetrische und klandestine Taktiken verbindet und mit Methoden von Informationskriegen garniert.

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Vor dem Hintergrund der andauernden Allianz zwischen einem angeschlagenen Assad und Putin stellen sich nun viele Beobachter die Frage: Gibt es russische Truppen in Syrien und wenn ja, sind sie mittlerweile in Kampfhandlungen eingebunden?

Auch ein interessanter taktischer Move: Diese Memes sind in Russland Barely Legal

Leider gehört es zur Taktik des Kremls, solche Fragen gar nicht erst zu beantworten. Ein 29-jähriger putinkritischer Blogger aus Moskau führt deshalb seinen ganz eigenen Informationsfeldzug und versucht, russische Soldaten in Syrien mit anderen Mitteln zu enttarnen.

Wenn es um die Aufdeckung von Militäroperationen geht, sind Ruslan Levievs Waffen und Werkzeuge die eines technikversierten Online-Detektivs, der sich nicht mit der offiziellen Version russischer Staatsmedien zufriedengeben will: So entstörten er und sein Team zum Beispiel die zu unten stehendem Video aus dem syrischen Kriegsgebiet gehörende Audiospur, auf der nach Levievs Überarbeitung vermutlich ein russischsprachiger Mann im Einsatz neben Gewehrschützen zu hören. Ein anderes Mal bestätigte Leviev die Präsenz russischer Drohnen in Syrien mittels Bildanalysen.

Durch die Untersuchung von Social Media-Posts auf den in Russland beliebten Netzwerken VKontakte oder Odnoklassniki fand das Team heraus, dass das vormals beinahe verlassene Marinedepot in Tartus seit dem Frühling dieses Jahres wieder expansiv mit russischen Kräften besetzt wird.

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Vertragssoldaten werden systematisch für drei bis acht Monate nach Syrien geschickt.
Und auf vielen Bildern ist die taktische Markierung der 810. Brigade aus Sewastopol zu erkennen.

Seine Mitstreiter und er stalkten dafür auch Soldaten der 810. Brigade aus Sewastopol. Diese veröffentlichten auf ihren Profilen entweder Fotos, die sie in Kampfweste mit dem Bosporus im Hintergrund zeigten, oder änderten gleich ihren Status in: „Auf dem Weg nach Syrien :))".

Das Ergebnis seiner Untersuchung kann Leviev nun mit vielen Bildern und Texten belegen: Vertragssoldaten werden systematisch nach Syrien geschickt—nicht nur, um mal kurz etwas im Depot zu reparieren, sondern eingezogen für längere Zeiträume zwischen drei und acht Monaten. Auf diversen Panzern ist die taktische Markierung der 810. Brigade zu erkennen—eine weiße Raute.

Die Detektive rund um den Blogger ermitteln selbst verdeckt, was ihre Taktik nicht ganz unumstritten macht. Um zu verifizieren, ob weitere Bodentruppen in Richtung Syrien verlegt wurden, rief Leviev als Angehöriger getarnt bei einer Russin an, die sich in einem Online-Forum beschwerte, ihr Mann würde nach Syrien geschickt, um „einen Flughafen zu bewachen" (Leviev bekam die Bestätigung prompt, doch die Frau behauptete laut Spiegel Online mittlerweile gegenüber dem russischen Staatsfernsehen, ihr Konto sei gehackt worden).

Mit seinen aufwändigen Untersuchungen pisst Leviev Putin mächtig ans Bein—in anderen Fällen, berichtet Spiegel Online, habe er auch schon Kameras mit Bewegungsmeldern an Bahnstrecken installiert, um Waffenlieferungen an Rebellen in der Ukraine nachzuweisen. Und so versuchen die halbstaatlichen russischen Medien bisweilen, seinen Ruf systematisch zu schädigen—alles sei erfunden, diesem Menschen nicht zu trauen.

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Dabei—auch das gibt Levievs Team gerne in ihrer Analyse zu—beweisen auch noch so viele Bilder russischer Soldaten mit Militärgerät auf staubigen Straßen vor Assad-Portraits noch nicht, dass dort tatsächlich Kampfhandlungen von russischen Soldaten ausgehen.

Daher fällt sein Syrien-Fazit auch eher rational und nüchtern aus: Russische Truppen, so schließt der Beitrag, sind zwar eindeutig vor Ort, aber momentan höchstwahrscheinlich nur in die Bewachung des Flughafens an der wichtigsten Hafenstadt Latakia eingesetzt, sowie zur taktischen Stärkung des Marinedepots von Tartus in Syrien.

„…glauben wir, dass russische Fahrzeuge mit russischer Besatzung in die Schlacht ziehen."

Besagtes Depot wird wieder wichtig werden für Russland, so die Analyse, weil Assads Truppen nahe der Hafenstadt im Frühjahr dieses Jahres schwere Verluste erlitten, im Zuge derer auch die Stadt Iblis fiel. Latakia ist entscheidend für die syrische Regierung, weil dort nicht nur russische Waffen, sondern auch humanitäre Hilfsgüter aus Russland ankommen. Damit Tartus nicht in einem zermürbenden Infantieregefecht fällt, muss Latakia mit schweren Fahrzeugen gehalten werden. „Wir denken nicht, dass die Infanterie in die Kämpfe verwickelt ist. Nichtsdestotrotz glauben wir, dass russische Fahrzeuge mit russischer Besatzung in die Schlacht ziehen.", schließt Levievs Analyse.

Auch wenn Leviev sich vielleicht in nächster Zeit in der Nähe vieler Menschen aufhalten sollte—in Moskau verschwinden Dissidenten wie Anna Politkovskaja und Boris Nemzov in den letzten Jahren geradezu chronisch—macht sein Beispiel Mut: Denn Menschen wie ihn, die aus eigenem Antrieb staatliche Medien kritisch hinterfragen und der außenpolitischen Darstellung mittels Belegen etwas Substantielles entgegensetzen können, braucht jedes Land—und ganz besonders das für Manipulationen so anfällige Publikum im Internet.