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Eine Ehrenamtliche berichtet auf Reddit vom Alltag im deutschen Flüchtlingsheim

Eine US-Amerikanerin hilft syrischen Flüchtlingen in Deutschland und teilt ihre Erfahrungen online: „Ich arbeite seit 3 Wochen ehrenamtlich im Flüchtlingsheim—fragt mich alles.“
Flüchtlinge vor dem Berliner Lageso. Foto: Imago

Bei all den hitzigen Debatten um die Flüchtlingskrise, die in Deutschland und Europa seit Monaten geführt werden, haben leider allzu viele Diskussionsteilnehmer kaum bis keine Erfahrungen mit den Menschen, über die sie reden.

Um sich wirklich ein Bild von den Menschen machen zu können, die zu Tausenden unser Land erreichen, und um zu verstehen, welche Probleme die massenweise Unterbringung von Refugees auf begrenztem Raum mit sich bringt, gibt es eigentlich nur einen geeigneten Ort: Eine Flüchtlingsunterkunft.

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Möglicherweise weil viele Menschen mit einer Meinung zu Refugees einen solchen Ort nicht kennen—und wohl auch um ihre überwältigenden Eindrücke verarbeiten zu können, hat eine US-amerikanische ehrenamtliche Helferin nun auf Reddit von ihrer Tätigkeit in einer deutschen Flüchtlingsunterkunft berichtet (auf Englisch) und gleichzeitig ein Ama (auf Deutsch) eingerichtet, bei dem man ihr Fragen stellen kann. Das US-Internetforum präsentiert sich mit dem Thread also einmal mehr als geeigneter Ort, um kontroverse gesellschaftliche Themen offen unter Wahrung der Anonymität zu diskutieren.

Pädophile outen sich auf Reddit

Wie die anonyme Nutzerin berichtet, sei sie nach dreiwöchiger Arbeit vor allem davon überwältigt, wie unterschiedlich die Menschen, die in Deutschland ankommen und ihre Familien in Syrien und anderen Ländern zurücklassen müssen, seien. „Manche Refugees lade ich zu mir nach Hause, um ihnen ein Stück Normalität zurückzugeben. Anderen möchte ich nicht alleine im Dunkeln begegnen", bringt sie ihre Bandbreite an Eindrücken auf den Punkt.

„Ich heiße es nicht gut, dass manche ihren Frust gewalttätig ablassen, aber ich kann es definitiv nachvollziehen."

Viele junge Männer habe sie kennengelernt, die von ihren Familien weggeschickt wurden, damit sie in Europa sicher vor dem Krieg seien. Alle von ihnen wollten zurück nach Syrien—obwohl jeder einzelne von ihnen Freunde und Familien durch den Krieg verloren hätten.

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„Sind die Flüchtlinge dankbar?" will ein Nutzer von der Frau im Ama wissen. Die meisten seien es, hätten als allererstes das Wort „Danke" gelernt, sagt sie. An dieser Stelle schalten sich weitere Nutzer ein, die anderer Meinung sind.

„Viele Singlesmänner sind richtig undankbare, ich sag es wie es ist, Penner. Geld gibt es bei uns nur in Checks und nur für 14 Tage—da sind schon einige ausgeflippt. Mittlerweile haben wir Ordnungskräfte auf dem Flur, die alle 20 min durch die Büros gehen und fragen ob alles ok sei. Mehrmals haben die sich aufm Flur geprügelt", schreibt ein angeblicher Mitarbeiter eines Sozialamts in Nordrhein-Westfalens.

„Ich sag dir es gibt nichts schöneres als ner Familie aus Syrien mit kleinen Kindern zu helfen. Die Kinder sind goldig. Aber leider sind Familien nicht die Mehrheit. Leider nicht" untermauert er das Bild vom Schreckgespenst der jungen arabischen Männer, das Pegida, AFD und andere Asygegner all zu oft bemühen.

Flüchtlinge ja, wenn es nette Familien mit kleinen Kinder sind—Flüchtlinge nein, wenn es alleinstehende junge (und möglicherweise aggressive) Männer sind. Man kennt dieses Statement bereits.

„Manche wollen nicht mit mir reden, weil ich eine Frau bin."

Verständnis dafür, dass genau diese problematische Flüchtlingsgruppe ab und an mal Dampf ablässt, kommt postwendend von einem weiteren Nutzer, der behauptet, mit jugendlichen Flüchtlingen zu arbeiten: „Einige sind ohne Eltern hierher gekommen und haben keine Ahnung, wie ihre Zukunft aussehen wird. Viele sind verunsichert, haben Angst und sind aber leider oft auch so erzogen, dass sie sowas als 'Männer' natürlich auf keinen Fall zeigen dürfen, sondern harte Kerle sein müssen. Das Hauptproblem ist wirklich, dass sie über Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen festsitzen, selbst wenn der Flüchtlingsstatus schon anerkannt ist und ihnen Asyl gewährt wurde. Sie dürfen nicht arbeiten, können keine Schule besuchen, jeden Tag das gleiche oder ähnliches Essen und das nicht selten für 3-4 Monate. […] Ich heiße es nicht gut, dass manche ihren Frust gewalttätig ablassen, aber ich kann es definitiv nachvollziehen."

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Ohne freiwillige Ehrenamtliche wären die meisten Notunterkünfte für Flüchtlinge in Deutschland schon längst kollabiert. Foto: Imago/Markus Heine.

Um genau dieser Langeweile vorzubeugen und die Flüchtlinge nicht mit ihrer ungewissen Situation allein zulassen, ist die Arbeit der Freiwilligen von so zentraler Bedeutung. Die Initiatorin des Amas gehe deswegen jeden Tag mit ihnen Fußball spielen. Wie sie denn überhaupt angefangen habe, sich zu engagieren, will jemand wissen. „Am ersten Tag bin ich einfach in dieses Lager rein und [habe] gefragt, was ich machen könnte", schreibt sie. Ein Wink mit dem Zaunpfahl für alle Leute, die stets betonen, helfen zu wollen, aber nicht wissen, wie sie anfangen sollen.

Eine weitere interessante Reddit-Diskussion: Wie es ist, einen anderen Menschen aus Notwehr zu töten

Dem romantischen Klischee des edlen Helfers, der als Heiland in die Flüchtlingsunterkunft kommt, um all denen zu helfen, die bereits auf ihn gewartet haben, erteilt die Autorin ebenfalls eine Absage und verweist auf die prägnanten kulturellen Unterschiede zwischen Flüchtlingen und Helfern: „Manche wollen nicht mit mir reden, weil ich eine Frau bin. […] Am Anfang hat niemand mir in die Augen geguckt. Ich fand das unhöflich aber für sie war das sehr höflich. Manche strenge Muslime trinken kein Alkohol und wollen auch nicht in der Nähe einer jungen ledigen Frau sein. Manchmal, wenn jemand sieht dass ich in einem Zimmer bin, dreht er sofort um und läuft weg. Ist halt bissl komisch."

Trotz der teilweise unangenehmen Unterschiede und möglicherweise ungünstigen Voraussetzungen hat die Helferin mit vielen Männern in der Unterkunft eine Freundschaft geschlossen: „Die Männer, die ich kenne sind nicht gefährlich. Sie sind halt etwas anders, als die Deutschen. Natürlich kenne ich nicht alle, die dort wohnen. Aber die die ich kenne, finde ich normal. Ich bin auch alleine mit denen ins Zimmer gegangen ohne die Gedanke dass sie mir irgendwas böses machen."

Stattdessen wurde die Autorin zum Tee eingeladen, hat sich die Geschichten der Männer—meist Syrer—angehört. Mit einigen schreibe sie hin und wieder auch privat über Whatsapp. Von den Einwohnern des Dorfs, in dem sich die Flüchtlingsunterkunft befinde, sei sie dafür schon angefeindet und beleidigt worden. Sie würde nur Sex mit den Männern suchen, würde ihr öfter an den Kopf geworfen.

Tatsächlich sei es erst ein einziges Mal dazugekommen, dass dieses Thema überhaupt aufkam: „Da habe ich nur gesagt, dass [es] solche Themen bei mir nicht gibt."