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Wir haben einen Polizisten gefragt, wie effektiv die neuen Grenzkontrollen sind

Seit gestern werden die Binnengrenzen der Bundesrepublik kontrolliert, um den Zustrom der Flüchtlinge zu beschränken. Wie findet das eigentlich die Bundespolizei?
An der deutsch-österreichischen Grenze wurden gestern Abend schon Schleuser und Flüchtlinge von Bundespolizisten aufgegriffen. Bild: imago

Auf Drängen des bayerischen Innenministers Seehofer hat die Bundespolizei seit gestern um 17:30 Uhr damit begonnen, die deutsch-österreichische Grenze zu kontrollieren, um Flüchtlinge von der Einreise nach Deutschland abzuhalten oder den Zustrom zumindest einzuschränken. Das sei „aus Sicherheitsgründen dringend notwendig", sagte Bundesinnenminister De Mazière gestern.

Auf Merkels „Wir schaffen das" folgt also nun ein resigniertes „…doch nicht", nachdem sich andere EU-Länder vorerst vehement gegen eine Verteilung der Asylbewerber nach Quoten stemmten.

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Mal ganz abgesehen von der Frage, wie diese Kehrtwende international aufgenommen wird, ist ebenfalls noch nicht klar, wie die Maßnahmen konkret umgesetzt werden sollen, wie effektiv sie sein können, und ob sie die Kommunen wirklich entlasten. Wir haben deshalb den stellvertretenden Vorsitzenden vom BDK Verband Bundespolizei, Stefan Dietlin, angerufen und gefragt, wie die Kontrollen an den deutschen Binnengrenzen eigentlich ablaufen und wie die Bundespolizei ihre Rolle in der Flüchtlingskrise sieht.

MOTHERBOARD: Guten Tag Herr Dietlin, ich wollte Sie gern um eine Einschätzung der seit gestern laufenden Grenzkontrollen aus der Sicht des Bund Deutscher Kriminalbeamter bitten. Das ist ja eine Aufgabe, die die Bundespolizei schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr ausüben musste.

Dietlin: Ja, eigentlich haben wir dabei Probleme auf zwei Ebenen: Einerseits haben wir ein Personalproblem, denn die Bundespolizei muss die ankommenden Menschen ja gerade auch noch aufnehmen und bearbeiten. Da findet gerade eine erhebliche Kräfteverschiebung statt, und die hat Auswirkungen auf den ganzen Rest der Republik.

Wie verhalten wir uns, wenn Menschen aus Wut oder Verzweiflung über die Grenze rennen? Theoretisch müsste man Gewalt anwenden.

Was hätte man denn konkret besser machen können?

Auch auf die Polizisten hat es soziale Auswirkungen, wenn sie zu „Nomaden" gemacht werden, die vorher noch in Norddeutschland im Einsatz waren. Ermittlungsbeamte und andere Kräfte werden ja gerade nach Bayern verlegt, um Fälle an der Grenze zu bearbeiten. Sie fehlen wiederum an ihren Stammdienststellen bzw. in den übrigen Aufgabenbereichen der Bundespolizei. Viele unserer Mitarbeiter müssen quer durchs Land fahren und wochenlang woanders arbeiten.

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Aber das größere Problem ist: Was können wir mit rechtsstaatlichen Methoden besser machen als die anderen, also zum Beispiel die ungarische Polizei? Natürlich können wir die Menschen an der Grenze humanitär versorgen. Aber stellen Sie sich mal vor, was passieren würde, wenn Menschen sich eben aus Wut oder Verzweiflung dazu entscheiden, doch einfach über die Grenze zu rennen? Oder wenn das eine Menschenmenge täte?

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Wenn jemand nicht zurück nach Österreich will, müssten wir letztendlich staatliche Gewalt gegen diesen Rechtsbruch anwenden. Die Bilder dazu möchte man sich nicht ausmalen. Das ist ein großes Problem, das jeder Polizist hat, denn er ist ist ja gesetzlich verpflichtet, die 815 Kilometer lange Grenze zu schützen.

Wie genau funktionieren denn die Kontrollen an der Grenze?

Wir kontrollieren stichprobenartig nach bestimmten Verdachtskriterien, die ich nicht im Detail nennen kann. Ganz generell können wir natürlich nicht jeden PKW, z.B. mit Familienausflüglern drin, oder jedes einzelne Fahrzeug überprüfen. Man stelle sich nur die erheblichen Rückstaus vor. Wir müssen aber herausfinden, wer ein Schleuser sein könnte. Die benutzen gerne bestimmte Fahrzeuge.

Wer als Drittstaatsangehöriger nach Deutschland einreisen möchte, braucht einen Pass und einen Aufenthaltstitel. Zumindest letzteres haben Flüchtlinge in der Regel nicht und damit auch kein Recht, das Staatsgebiet zu betreten. Es gibt ja diesen Spruch: Kein Mensch ist illegal—das stimmt auch, aber ein Aufenthaltsstatus kann eben illegal sein. Dann gibt es noch den Anspruch auf Asyl, doch auch da müssen wir jetzt sagen: Österreich ist ein sicherer Drittstaat, ihr müsst dorthin zurück. Man verschiebt also das Problem in Richtung EU-Außengrenze immer weiter.

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Worüber sich die österreichische Polizei sicher auch nicht freut.

Nicht unbedingt, nein. Aber die deutsche Regierung hat Österreich im Vorfeld konsultiert und auf polizeilicher Ebene tragen die Gemeinsamen Zentren und die Verbindungsbeamten zur Abstimmung bei.

Sind die Grenzkontrollen eigentlich ein effizientes Mittel, um den Kommunen Luft zu verschaffen?

Das fragen wir uns natürlich auch. Klar, es wird vielleicht irgendwann eine gewisse hemmende Wirkung auf den Strom der Menschen haben. Aber von heute auf morgen werden die Kommunen sicher nicht entlastet, denn die Ausbildung von neuen Beamten, die so dringend gebraucht werden, dauert lange. Es ist eben eine Notfallmaßnahme der Regierung.

Der Begriff „Hilflosigkeit", der momentan herumgeistert, ist, glaube ich, ziemlich angebracht.

Das ist alles irgendwie verständlich und vielleicht nachvollziehbar, aber musste es wirklich soweit kommen? Jeder Zeitungsleser weiß doch seit Jahren: Da kommt was auf uns zu, es sind massive Flüchtlingsströme unterwegs. Aber statt uns über Jahre vorzubereiten und Kapazitäten zu schaffen, verteilen jetzt die Bürger aus Hilfsbereitschaft an den Bahnhöfen Lebensmittel und Wasser. Ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, dass sich die Bundesregierung besonders freut, zu dieser Maßnahme greifen zu müssen. Der Begriff „Hilflosigkeit", der momentan herumgeistert, ist, glaube ich, ziemlich angebracht.

Die Grenzkontrollen sind natürlich auch ein Widerspruch zum Willkommensgruß der Regierung noch vor kurzer Zeit. Ich glaube, man hätte viel mehr mit Informationen arbeiten können. Wenn es sich blitzschnell bis in die hintersten Winkel eines irakischen Flüchtlingscamps herumsprechen kann, dass unsere Grenzen offen für Flüchtlinge sind, hätte man doch auch kommunizieren können, dass wir nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen können.

Es war zumindest ein Versuch, andere Länder dazu zu bewegen, den Zustrom gemeinsam zu schultern.

Ob man sich aber damit einen Gefallen getan hat? Der Rest der EU war über die Öffnung gar nicht begeistert, auch die Länder, die selbst gern Subventionen annehmen—wenn es hart auf hart kommt, helfen sie aber nicht. Auf einmal wundert man sich, dass alle zu uns wollen. Das liegt auch an den vergleichsweise hohen Leistungen, die wir bieten, und weil unser Lebensstandard etwas höher ist als in anderen EU-Ländern.

Und nun stellt sich uns eben die Frage: Wie verhalten wir uns, wenn Menschen die Grenze übertreten? Man müsste eigentlich in letzter Instanz Gewalt anwenden. Die praktische Umsetzung der Grenzkontrolle ist also sehr schwierig. Das ist ein hochkomplexes, vielschichtiges Thema, das uns noch sehr lange beschäftigen wird. Zumindest so lange, bis die Ursachen der Flucht statt nur die Symptome bekämpft werden.

Danke für das Gespräch!