Eine Psychologin hat uns erklärt, was FOMO ist—und was dagegen hilft
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Eine Psychologin hat uns erklärt, was FOMO ist—und was dagegen hilft

Du fühlst dich unglaublich beschissen, weil du eine Party oder ein Festival verpasst? Du bist nicht allein!

Schriftsteller, Dichter und Philosophen sind seit jeher auf der Suche nach le mot juste, dem richtigen Wort, um das Leiden des menschlichen Daseins zu beschreiben. Natürlich gibt es Dukkha: die buddhistische Theorie darüber, dass Schmerz durch Verbundenheit und Vergänglichkeit entsteht; oder den deutschen, sich internationaler Beliebtheit erfreuenden Weltschmerz: die tiefe Traurigkeit über die Unzulänglichkeit der Welt. Die Leiden des modernen westlichen Menschen bringt aber wahrscheinlich kein Begriff so gut auf den Punkt wie FOMO (kurz für „Fear Of Missing Out" [„die Angst etwas zu verpassen"]). Kein Begriff schafft es treffender, die Angst und Niedergeschlagenheit zu beschreiben, die wir empfinden, wenn wir an einem Freitagabend allein zuhause sind, oder noch schlimmer: in der Ecke einer tobenden Party, und im Schein eines einsamen Handybildschirms unsere Freunde bei Instagram stalken, die gerade vermeintlich viel tollere Sachen als wir selbst erleben.

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FOMO ist das neuste Symptom Technologie-induzierten Weltschmerzes. So gerne man es wie so viele andere Wortneuschöpfungen einfach abtun möchte, so sehr hat FOMO doch eine tatsächliche Relevanz. Laut Dr. Abigail Scholer, eine Dozentin für Sozialpsychologie an der University of Waterloo mit Forschungsschwerpunkt Motivation, helfen uns Begriffe wie dieser dabei, „zu benennen und zu erkennen, was das menschliche Dasein ausmacht." Zwar gibt es, wie Dr. Amy Summerville, eine Professorin an der Psychologie-Fakultät der Miami University, die sich auf die Erforschung des Bedauerns spezialisiert hat, gegenüber THUMP bestätigt, noch keine wissenschaftliche Studien zu FOMO. Beide Wissenschaftlerinnen sind sich jedoch einig, dass es definitiv einige Überscheidungen mit bereits existierenden Theorien der Sozialpsychologie gibt.

Soziale Interaktionen sind für Menschen unerlässlich, „vergleichbar mit dem Bedürfnis nach Nahrung und einem Zufluchtsort", so Dr. Summerville. FOMO hat eine Menge mit diesem Verlangen nach zwischenmenschlicher Interaktion zu tun. Abgesehen von solchen Kriterien wie beruflichem Aufstieg oder einem gestählten Körper für den Sommer ist es für das eigene Selbstwertgefühl auch unglaublich wichtig, Zeit mit Freunden zu verbringen. Die Freude, die andere Menschen erfahren, kann unser eigenes Gefühl, etwas geleistet zu haben, positiv beeinflussen. Es gibt aber auch Leute, „die wirklich nichts verpassen wollen und dementsprechend wirkt das einen stärkeren Einfluss auf ihr Verhalten aus", sagt Dr. Scholer.

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Andererseits ist die wahrscheinlich am leichtesten mit FOMO in Verbindung zu bringende Emotion das Bedauern. „Es ist in gewisser Weise das emotionale Äquivalent zu physischem Schmerz, wie wenn man seine Hand auf den Herd legt und es wehtut", sagt Dr. Summerville. Aber bei FOMO kann dieses Bedauern in die Zukunft projiziert werden, was auch als „affektives Vorhersagen" bezeichnet wird. Man versucht anhand von noch nicht eingetretenen Ereignissen vorauszusagen, wie man sich vielleicht fühlen wird.

Die gute Nachricht lautet hier allerdings, dass du dir wahrscheinlich viel zu viele Sorgen machst. „Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen eigentlich immer überschätzen, wie schlecht sie sich wegen etwas in der Zukunft fühlen werden", erklärt Dr. Summerville. „Diese [Gefühle] tendieren dazu, wesentlich schlimmer zu sein als die eigentliche Erfahrung." Was wiederum heißt, dass die deprimierende Geschichte, die du darüber zusammenspinnst, wie viel Spaß alle ohne dich auf dem Melt! oder SMS haben, in Wahrheit nicht halb so dramatisch ist, wie du sie dir vorstellst.

FOMO hat allerdings auch eine Menge mit Technologie und vor allem Social Media zu tun. Durch Status-Updates und ein Kaleidoskop aus Videos und Fotos wird dir ein vermeintlich schrankenloser, voyeuristischen Zugang zum Leben der anderen verschafft. Das spielt anscheinend gerade für Fans elektronischer Musik eine große Rolle. Laut einer Studie von 2015 verbringen diese unverhältnismäßig viel Zeit auf Social Media Plattformen (EDM Fans posten durchschnittlich 11 Tweets pro Tag und heben sich damit extrem vom herkömmlichen Twitter-User mit seinen 1,85 Tweets pro Tag ab). „[Social Media] ermöglicht es uns, viel leichter Vergleiche in unserem sozialen Umfeld anzustellen", sagt Dr. Scholer. „Für manche Menschen kann das motivierend sein, weil sie dadurch Ideen für Dinge bekommen, die sie machen können, an die sie vorher vielleicht nicht gedacht haben. Für andere Menschen kann das hingegen etwas Bedrohliches haben—sei es im Augenblick oder auf lange Sicht—, weil sie nicht an etwas teilhaben können."

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„Eine der Sachen, die wir wissen", sagt Dr. Summerville, „ist, dass [das Gefühl des Bedauerns] entsteht, indem man seine Realität mit einer imaginierten Realität vergleicht." Und dieses Gefühl wird stärker, je leichter es ist, sich diese Alternativrealität vorzustellen—eine Niederlage beim Basketball ist um so schmerzlicher, wenn man mit vier und nicht mit zwanzig Punkten verloren hat, weil das angestrebte Ergebnis dann in vermeintlich erreichbarer Nähe war. „Diese ganzen Videos und sorgsam kuratierten Instagram-Bilder davon zu sehen, wie viel Spaß alle gehabt haben, macht es einem extrem leicht, sich vorzustellen, selbst auf dieser Party gewesen zu sein", sagt Dr. Summerville.

Sie verweist auch auf die Relevanz einer ihrer früheren Studien zum Bedauern, in der sie Versuchsteilnehmer eine Abwandlung von Blackjack spielen ließ. „[Verlierende Spieler] interessieren sich eher dafür, welche andere Karte für sie aufgedeckt worden wäre. […] Wenn sie glücklich sind, dann interessieren sie sich weniger dafür. Diese andere Karte noch zu sehen, führt generell dazu, dass sie sich besser fühlen", sagt sie.

Jetzt stellt sich also die Frage, was du tun kannst, um deine FOMO zu überwinden, anstatt bloß Karte über Karte auf seinem Stapel Instagram-Bilder aufzudecken? Dr. Summerville verweist darauf, dass es abseits der perfekten Party, die du dir in deinem Kopf ausmalst, eine ganze Menge Zeug gibt, das nicht nur weniger Spaß macht, sondern richtig beschissen ist: Sonnenbrand, Festival-Klos oder einfach nur so breit zu sein, dass man es nicht mehr vom Zeltplatz wegschafft. Das sind alles kleine aber feine Details, die tendenziell ignoriert werden. Es hilft, sich diese ins Gedächtnis zu rufen, und deine Fantasie damit etwas zu bremsen.

Du solltest dir auch darüber bewusst sein, warum du dich dafür entschieden hast, zuhause zu bleiben. „Vielleicht wolltest du ja einfach daheim bleiben, weil der Ausblick auf deine gemütliche Couch, eine Flasche Wein und Netflix extrem verlockend klang", ergänzt sie. Also, leg das Handy weg, schenk dir noch ein Glas ein und erinnere dich daran, dass das Leben gut ist—auch wenn du es gerade „nur" mit deiner Katze und einer billigen Flasche Zinfandel verbringst.

Titelfoto: Japanexperterna.se | Flickr | CC BY-SA 2.0

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