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Ich bin ein Wochenende lang ohne Handy und Facebook ausgegangen

Ohne mein Smartphone wagte ich mich nach draußen—und kam mit einer Menge philosophischer Ergüsse zurück.
Alle Fotos von der Autorin

Grafik: Samazing. Dieser Artikel ist zuerst bei Noisey Alps erschienen

Wir schreiben das 21. Jahrhundert. In unseren Händen halten wir täglich mit Freude ein Gerät, das uns unter anderem mit Essen, Unterhaltung, Navigation, Neuigkeiten, Musik und Pornos versorgt—alles äußerst essenzielle und überlebensnotwendige Dinge. Dieser Luxus ist uns unter der Bezeichnung "Smartphone" bekannt. Unser aller Leben ist seit der Erfindung dieser klugen Geräte nicht nur einfacher (Google) sondern auch aufregender (Tinder?).

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Ganz logisch, dass es für viele daher eine Katastrophe wäre, plötzlich ohne diesem Komfort auskommen zu müssen. Trotzdem hatte ich das Bedürfnis, mich mal wieder daran zu erinnern, wie es ist … komfortlos zu sein. Ganz ohne Handy und ohne Facebook—Facebook funktioniert schließlich auch auf Tablets, Notebooks und PCs.


Aus dem VICE-Netzwerk: Totalüberwachung für 150 Euro


Ich möchte erwähnen, dass ich in der Woche vor diesem Wochenende bereits ein paar Mal recht fleißig über den Durst getrunken hatte. Manchmal gibt es eben diese Tage, Wochen, ja ganze Epochen, in denen du trinken musst—na ja, möchtest. Durch den daraus resultierenden Schlafentzug hatte ich also meine Surrealistenbrille auf—ihr kennt das, wenn euch alles unwirklich vorkommt. Könnte aber auch diese Sache mit Trump gewesen sein. Wie dem auch sei: Die Mischung aus alkoholbedingtem Schlafentzug und Smartphone-Entzug ergab ein recht belangloses Wochenende. Sowas hatte ich noch nie erlebt.

Freitag

Freitagabend. Um 19:00 Uhr schaltete ich mein Handy aus und ich sollte es erst am Sonntag um die gleiche Zeit wieder einschalten. Ich bekam Besuch von einem Freund, der eigentlich nur auf eine Zigarette vorbeikommen wollte—dann aber samt Weinflaschen antanzte. Gott sei Dank, sonst hätte ich mich wahrscheinlich elendig gelangweilt. Mein Mitbewohner war nämlich ganz heftig im Tinder-Modus und der andere WG-Buddy war arbeiten. Ich kann zwar sehr gut mit mir alleine auskommen—und hätte auch genug zu tun gehabt—aber bestimmt nicht an einem Freitagabend, während alle anderen Spaß haben!

Durch das WG-Leben habe ich mich zudem daran gewöhnt, nicht mehr für mich zu sein. Ich verstehe nun irgendwie, warum Menschen in Beziehungen verharren, auch wenn diese schon für den Arsch sind—sie fürchten sich vor der Langeweile. Menschen ohne Hobbys eben.

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Irgendwann später kreuzte mein anderer Mitbewohner mit Freunden auf. Der Wein, der Schlafentzug und die Männerrunde, die gackerten wie Hühner im Stall, unterhielten mich gut, weshalb mein Telefon und Facebook mir nicht fehlten. Erst zu späterer Stunde, wir waren nur noch zu dritt und die Gehirne schon etwas verbraucht und nur noch auf visuelle Stimulation aus, passierte es: Die zwei Kerle scrollten sich auf ihren Smartphones wahllos durch die Social-Media-Plattformen. Ich musste hingegen in die Luft starren. Was blieb mir auch anderes übrig—die Gala lesen? Da wurde mir Folgendes bewusst: Die Technologien, die uns eigentlich zusammenbringen sollten, bringen uns auseinander, wenn wir zusammen sind. Und: Wenn du die Einzige ohne Handy und Facebook bist, dann bist du wirklich alleine.

Wir alle haben Angst, etwas zu verpassen, wenn wir das Handy einmal beiseite legen beziehungsweise offline sind. Wir verhalten uns wie Besucher eines Running-Sushi-Restaurants: Wir starren auf das Laufband, um abzuchecken, was wir verschlingen könnten. Niemand achtet auf den Teller vor sich. Die Tatsache, dass die Speisen ohnehin mehrmals ihre Runden machen, reicht uns nicht mehr aus. Es könnte ja jemand schneller sein als wir. Dabei sollte man bedenken, dass so manche Fügungen nichts damit zu tun haben, wer als erstes da war, sondern dass Dinge einfach passieren und andere wiederum nicht.

Ich hatte ja kein Handy parat, um diese Quasseltanten zu fotografieren

Samstag

Alle meine Freunde wollten in den Club, vorgeglüht wurde bei uns. Das war mehr als praktisch und wurde durch einen meiner Mitbewohner auf die Beine gestellt. Bis auf meine Mutter hatte ich kaum Freunde über meine handyfreie Zeit unterrichtet. Es ist auch nur einer wirklich aufgefallen, dass ich "fehle".

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Die erste Hürde: Gästeliste checken. Keine Chance. Die Zweite: Ich wusste nie, wie spät es ist. Ich musste außerdem ständig nachfragen, wer denn jetzt alles kommt. Jetzt stellt euch mal Folgendes vor: Ihr steht heimlich auf jemanden und müsst durch rein detektivisches Vorgehen auf dem Stand der 90er herausfinden, wann und ob euer Objekt des Herzens am Start ist. Warum sagen wir alle nochmal so oft, dass früher alles leichter war? Das war es nämlich ganz gewiss nicht.

Ich musste mich außerdem für eine Gruppe entscheiden. Bleibe ich bei der Gruppe, die erst später in den Club geht, sofern sie es auch tut, oder gehe ich gleich mit der ersten Charge mit? Das alles hatte rein gar nichts mehr mit Spontaneität zu tun, es war alles nur Zwang, sich in Lichtgeschwindigkeit entscheiden zu müssen.

Auch im Club war die Tatsache, keine Uhr zu haben, reichlich seltsam. Ich wurde auch etwas paranoid, da man mir die Idee in den Kopf gepflanzt hatte, ich sei ohne Handy verwundbar. Ein großer Typ, der mich ständig anstarrte, machte mich dann tatsächlich kurz paranoid. Ich tat ihm sehr wahrscheinlich Unrecht und sicher wollte er nur—wie ich—vorne am Floor abgehen oder auch einfach nur Freundschaft mit uns schließen, weil er alleine war.

Oft war mir auch einfach langweilig. Die Gruppe verstreute sich stets und der Raucherbereich war eine ewige, verrauchte Qual für mich—wenn dir das Zeitgefühl geraubt wird, so wird dir dafür das Gefühl der Ewigkeit geschenkt. Ohne konkrete Aussichten (und Ablenkung) vergeht diese Ewigkeit extrem langsam, fast gar nicht. Dieses endlose Sein fühlte sich an, als wäre ich gefangen. Das kann aber auch daran gelegen haben, dass meine besten Freundinnen an dem Abend nicht dabei waren.

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Sonntag

Gefühlte Lichtjahre später waren wir dann bei der ersten Afterhour. Die Location war kleiner, ich war betrunkener und die Stimmung sofort auf Tanz-Modus. Auch da war ich eigentlich wieder so gut beschäftigt, dass mir mein Telefon und die Möglichkeit auf sozialen Kontakt nicht fehlten. Den hatte ich dort ja.

Trotzdem musste ich irgendwann den Hut nehmen, um mit einem meiner Mitbewohner die Heimreise anzutreten. Auch hier waren meine Fähigkeiten beschränkt, ich konnte nämlich kein Taxi rufen. Außerdem konnte ich keine Musik hören oder schnell irgendeine Adresse herausfinden. Und wenn ich mein Notizbüchlein nicht mitgehabt hätte, dann hätte ich mir auch keine Notizen machen können. Leute, ohne Telefon sind wir einfach aufgeschmissen.

Aber ist es gut, dass wir solche Ansprüche haben oder meinen, sie zu haben? Dieser ständige Bedarf nach Information, Kommunikation und Stimulation. Kennen wir überhaupt noch Ruhe?

Kopf: "Mündlicher Face 2 Face Content?" Life: "Trololol"

Zu Hause erlaubte ich mir in Form von Schlaf ein paar Stunden dieser Ruhe. Später trudelten dann die Nimmermüden ein, die von der ersten Afterhour in die zweite Afterhour gestolpert waren. Dann war es auch schon 19:00 Uhr und ich konnte mein Telefon wieder einschalten. Bis auf Abermillionen Facebook-Notifications (nur Events), war ich scheinbar kaum vermisst worden. Das war auch ganz logisch, die meiste Zeit war ich ja mit Leuten zusammen gewesen. Ich fragte mich, ob ich über die Tatsache, dass diese telekommunikative Abwesenheit nicht mehr ausgelöst hatte, enttäuscht war. Natürlich war ich das—und dabei scrollte ich mich gedanken- und wahllos durch Facebook.

Eines steht fest: Wer ganz ohne Social-Media-Plattformen lebt, dem kann es passieren, dass der Kontakt ausbleibt (es sei denn, du bist leidenschaftlicher Telefonierer). Wie gesagt: Wir schreiben das 21 Jahrhundert, wer nicht mitläuft, darf sich nicht wundern, dass er stehen bleibt—alleine.

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