Das Panama in Berlin ist nicht bloß ein Restaurant, es ist auch eine psychedelische Erfahrung

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Berlin

Das Panama in Berlin ist nicht bloß ein Restaurant, es ist auch eine psychedelische Erfahrung

Das Panama ist kein gewöhnliches Restaraurant—was anderes hätte man von Gastro-Visionär Ludwig Cramer-Klett auch nicht erwartet. Hier verschmelzen Essen, psychedelische Kunst und die wichtigen Probleme unserer Zeit zu einer neuen, paradiesischen Welt.

Eine beeindruckende Deckeninstallation von Künstler Björn Dahlem, eine trippige Neon-Installation von Kerim Seiler—schon beim Betreten des Panama merkt man sofort, das das hier kein gewöhnliches Restaurant ist. Und man würde auch nichts anderes von Ludwig Cramer-Klett erwarten, dem Visionär hinter einigen der bekanntesten und ausgefallensten Lokalen Berlins. Sein erstes Projekt, Katz Orange, war seit der Eröffnung 2012 ein Liebling der New York Times und das lange bevor regionale Küche und „Farm to Table" beim Mainstream angekommen sind. Auch ohne Michelin-Stern hat die radikalregionale und wagemutige Küche des Katz Orange einen größeren Einfluss in der Hauptstadt als manche Sternerestaruants. Über all dem steht das Contemporay Food Lab, das ein Online-Magazin und eine Akademie mit Workshops zu Themen wie Imkern und was Kapitalismus mit Bananen zu tun hat.

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Während ich mich mit Cramer-Klett unterhalte, schaut auch die Köchin des Panama, Sophia Rudolph, kurz vorbei. In Berlin geboren und in Frankreich aufgewachsen hat sie mit ihren 29 Jahren bereits in drei Michelin-Restaurants gearbeitet, jüngst als Sous-Chefin in der Weinbar Rutz. Jetzt übernimmt sie die kulinarische Leitung das erste Mal selbst und sorgt bereits jetzt mit ihren Avantgarde-Gerichten wie knusprigen Schweineohren mit Austerncreme für Aufsehen. Das Gleiche gilt für ihre Desserts: Sie kombiniert Rauchpaprika mit geflämmtem Marshmallow und Kaffee-Karamell oder Kopfsalat mit Passionsfrucht, dunkler Schokolade und Koriandersaat. Und die Verwendung von regionalen Zutaten und Fleisch ist für sie eine absolute Selbstverständlichkeit: „Warum sollte ich Zutaten vom anderen Ende der Welt bestellen, wenn es hier so gute Dinge gibt?"

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Das Panama von innen. Alle Fotos von Philipp Langenheim und Corina Schadendorf

Die Karte ist klar ihre Domäne, aber Cramer-Kletts eigene Geschichte hat einen enormen Einfluss auf das größere Ziel des Restaurants. Der geborene Bayer war erst im Immobiliengeschäft und im Finanzwesen tätig, hat dann einen nicht unerheblichen Teil der Welt bereist und sich schließlich in die Gastronomie gewagt. Er sitzt lässig auf einem Sofa, trägt ein hellblaues Hemd, lächelt und wirkt trotzdem ernst. Bei allem, was er erzählt, schwingt seine innere Überzeugung mit, ob das schamanische Rituale sind, ob er die Wirklichkeit in Frage stellt oder wenn er mir erklärt, wie er mit jedem Restaurant Stück für Stück die Welt verändern will.

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MUNCHIES: Zuerst mal herzlichen Glückwunsch zur Eröffnung des Restaurants! Das Panama ist ja eher etwas ungewöhnlich, aber das war beim Katz Orange ja anfangs auch so. Ludwig Cramer-Klett: Mit dem Katz Orange haben wir als eines der ersten Restaurants die „Farm-to-table"-Philosophie hierhergebracht. Am Ende geht es bei unserer Arbeit nicht primär ums Essen, das ist nur das Medium, wenn auch ein sehr wichtiges. Viel mehr geht es darum, ein Bewusstsein für bestimmte Dinge zu schaffen—die Natur und unsere Beziehung zu ihr—und das einem möglichst großen Publikum zu vermitteln.

Wie erreicht ihr dieses Publikum? Wir versuchen Orte zu erschaffen, die einladend sind. Kleine Aspekte wie eine Bar im Restaurant—das kennt man aus den Staaten, aber nicht unbedingt von hier. Das passt auch ganz gut, so bekommen auch Gäste ohne Reservierung einen Platz. Am liebsten würden wir niemanden wegschicken müssen, denn es bedeutet uns immens viel, wenn sich jemand die Mühe macht, zu uns zu kommen. Wir wollen radikal offen sein.

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Das hört sich verdächtig nach Burning Man an… Stimmt. Wir wussten aber nicht, dass das zu den Prinzipien des Festivals gehört [lacht]. Vielleicht passen wir deshalb so gut zusammen.

Warum ist diese Offenheit so wichtig? Restaurants haben in der urbanen Gesellschaft eine wichtige Rolle, sie sind wie Tempel. Es gibt einen privaten und einen öffentlichen Raum. Für den privaten Raum brauchst du eine Einladung, in den öffentlichen kannst du jederzeit betreten, er ist allerdings anonym. Restaurants sind für mich halböffentliche Räume, hier geht man hin, wenn man sich mit anderen Menschen verbunden fühlen will, wenn man nicht allein sein will. Sie sind wie die Wasserstellen für Elefanten, wo sie sich auch gegenseitig putzen.

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Ludwig Cramer-Klett

So habe ich das noch gar nicht gesehen… Ja, jeder sieht es anders, das ist meine Vision von solchen Räumen. Wir haben einen Ort, eine Welt erschaffen, die mit Liebe gefüllt ist, weil wir auch alles mit Liebe und viel Energie machen. Wir würden niemals sagen: „Ach, das passt schon." Das gibt es einfach nicht, wir machen alles sehr bewusst.

Erzähl mir doch ein bisschen mehr über diese Welt… Dieser Raum ist wie eine duale Realität, eine Mischung aus dem, was du fühlst, und dem was ist. Auch bei der Kunst geht es immer um eine Art Bewusstseinserweiterung und um einen erweiterten Realitätsbegriff. Wenn man sich mal den Sekundenzeiger auf der Uhr von Alicja Kwade genauer anschaut, sieht man, dass er mal schneller, mal langsamer läuft. Wenn man einen Knopf drückt, kann man ihn nach Belieben schneller laufen lassen. Und das Werk neben dir ist von Julius von Bismarck. Es sieht aus wie eine normale Wüstenlandschaft, aber in Wirklichkeit hat er die ganze Landschaft weiß angestrichen und dann den Einheimischen Farben und Pinsel gegeben und sie gebeten, alles wieder mithilfe ihrer Erinnerung zu bemalen. Dann begreifst du, dass du dich in einem psychedelischen Raum befindest.

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Köchin Sophia Rudolph

Warum „Panama"? Wir wollten etwas Exotisches, aber auch etwas, das sich auf das Hier und Jetzt bezieht. Inspiriert hat uns Janosch's Kinderbuch Oh, wie schön ist Panama. Die Geschichte handelt von einem Tiger und einem Bären, die in der Nähe eines Flusses leben. Eines Tages findet der kleine Bär eine Kiste, die nach Bananen riecht und auf der „Panama" steht. Dann erzählt er dem kleinen Tiger von Panama und dass es der schönste Ort der Welt ist, wo alles nach Bananen riecht. Auf ihrer Reise treffen sie alle möglichen Tiere, auch eine Krähe, der sie auf einen Baum nachklettern. Oben angekommen zeigte sie mit dem Flügel ringsherum und meint: „Das da ist es." Tiger und Bär blicken auf diesen schönen kleinen Fluss und ein einsames Häuschen und sagen begeistert: „Ooh, das ist ja Panama…" Nur dass sie nicht bemerken, dass das eigentlich ihr Haus ist, wo sie gewohnt haben, bevor sie nach Panama aufgebrochen sind, und dort leben sie dann glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Als ich meiner Tochter die Geschichte vorgelesen habe, dachte ich mir: „Das ist perfekt!" Das Wort „Panama" klingt exotisch, aber gleichzeitig ist es auch eines der berühmtesten deutschen Kinderbücher.

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Hatten deine eigenen Reisen auch einen Einfluss?Auf jeden Fall, genauso wie beim Tiger und beim Bären. Ich bin viel rumgereist—Afrika, Südamerika, Zentralamerika, Asien—vor allem in Südafrika. Durch meine Erfahrungen dort mit Schamanen und Ritualen habe ich viel gelernt. Diese psychedelische Erfahrung ist ein wichtiger Aspekt in meiner Arbeit. Schlussendlich geht es doch darum sein Paradies zu finden, egal wo man ist.

Auch auf der Karte sieht man die verschiedensten Einflüsse. Wie passt das alles zusammen? Gerade jetzt ist Deutschland für Millionen von Menschen weltweit ein Panama. Das wollten wir einfangen und Essen für eine Zeit kreieren, in der man nicht mehr weiß, ob Knödel oder Couscous das deutsche Gericht schlechthin ist. Wir wollen regionales Essen machen, das aber auch ganz natürlich Ideen aus der ganzen Welt einfließen lässt. Ein Essen für ein vollkommen integriertes, multikulturelles, neues Deutschland.

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Warum Berlin? Eine Menge kreativer, interessanter und motivierter Menschen kommt nach Berlin. Ich finde es unglaublich spannend, jeden Tag neue, faszinierende Menschen zu treffen, die Ideen austauschen und lieben, was wir hier tun. Wir alle haben diesen Drang, etwas tun, etwas verändern zu wollen.

Inwiefern? Meiner Meinung nach müssen wir das aktuelle System ernsthaft hinterfragen und Möglichkeiten finden, neue Welten zu schaffen, die sich besser anfühlen.Alle denken, wir leben im liberalsten Zeitalter der Geschichte, aber das ist doch Quatsch. Weil wir keine Verbindung mehr zur Natur haben, wird sich unser Leben extrem verändern. Darf ich dir mal eine Frage stellen? Erinnerst du dich noch an die Zeit vor dem Internet?

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Ja, aber das war nicht wirklich lange. Unser Umgang mit der digitalen Welt wird viel verändern, die erste Generation wurde davon förmlich überwältig. Alles ist nur noch schnell, schnell schnell. Dadurch entsteht eine Leere. Alles ist digital, es gibt nur noch künstliche Verbindungen. Deshalb ist es so wichtig, solche Raum-Erfahrungen zu erschaffen, damit es körperliche Erfahrung geben kann, selbst wenn das etwas Simples ist wie Essen. Es geht um die Beziehung der Menschen untereinander und zu anderen Lebewesen.

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Da habt ihr euch ganz schön was vorgenommen. Wie schafft ihr das mit dem Contemporary Food Lab? Wir schauen uns alle möglichen Probleme rund um Essen, Natur und uns Menschen an. In der Akademie bieten wir auch ein kostenloses Bildungsangebot an, das über die Restaurants finanziert wird.

Geht es bei den Restaurants auch um diese Art von Philosophie? Wir glauben nicht an irgendein Dogma. Jeder muss seinen eigenen Weg finden. Wir können uns nur gegenseitig dabei helfen, unserer inneren Stimme zu vertrauen und Inspiration zu finden. Auch in den Artikeln oder den Workshops geht es nicht um irgendeine Form von Religion oder Ethik. Wir sind sehr pragmatisch, es ist eben immer noch ein Restaurant, mit dem wir spirituelles Bewusstsein in die reale Welt übertragen.

Was sollen die Gäste aus dieser Erfahrung mitnehmen? Einige meinten schon zu mir: „Bei euch zu essen ist wie Urlaub." Gestern habe ich eines der schönsten Komplimente bekommen. Da war ein Architekt, der mir erzählte, dass einer seiner Kunden jedes Mal, wenn er in Berlin ist, ins Katz Orange—manchmal allein, manchmal mit anderen—geht und dort die Energie förmlich inhaliert. Danach hat er neue Inspirationen für seine Arbeit. Ich fand das einfach nur klasse und aus genau dem Grund machen wir das Ganze auch.

Vielen Dank für das Gespräch.