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Basketball

Wie der Balkankrieg Jugoslawiens Basketballwunder zerstört hat

Das jugoslawische Basketballteam Ende der Achtziger galt als beste Mannschaft aller Zeiten. Bis der Balkan-Krieg und das Dream-Team kam. Die Basketballkultur hat sich auf dem Balkan seitdem nie vollständig erholt.
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Die 18 Jahre alte Basketballsensation Dragan Bender wird beim diesjährigen Draft als Top-3-Pick gehandelt. In gewisser Weise setzt der junge Kroate eine alte Balkantradition basketballerischer Exzellenz fort. Eine Tradition, eng verknüpft mit Namen wie dem ehemaligen Bulls-Star Toni Kukoc, den Bender als Kind verehrt hat, und Drazen Petrovic, der als bester kroatischer Spieler aller Zeiten gilt.

Doch während Kukoc und Petrovic vor ausverkauften Hallen in ihrem Heimatland gespielt haben, spielt Bender für Maccabi Tel Aviv, bevor es ihn im Sommer in die USA ziehen wird. Bei der U-19-WM im letzten Sommer holte Kroatien den zweiten Platz, nachdem man sich im Finale erst in der Verlängerung dem US-Team geschlagen geben musste. Bender hat da gar nicht mitwirken können. Grund dafür war ein Streit mit seinem Nationalteam über konfligierende Schuhverträge.

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„Ich kann es nicht glauben, dass der kroatische Verband—der eigentlich alles dafür tun sollte, um Turniere zu gewinnen—sein größtes Talent vom Turnier ausgeschlossen hat", meinte ein Scout gegenüber Sports Illustrated.

Doch der Vorfall ist ein Spiegelbild dessen, was mit dem Basketball im Balkan passiert ist, sowohl auf Klub- als auch auf Nationalmannschaftsebene. Mittlerweile scheinen die goldenen Jahre rund um das Jahr 1990 herum—als die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien regelmäßig eines der besten Basketballteams der Welt stellte—Lichtjahre zurückzuliegen.

„Als die Olympischen Sommerspiele 1992 in Barcelona näherrückten, dachten wir alle, dass dieses Team sogar gegen das Dream Team eine Chance haben könnte", so der Balkan-Basketballexperte Igor Malinovic. „Das war natürlich ein bisschen unrealistisch, weil das Dream Team nicht von dieser Welt war, aber wir dachten, dass wir ihnen das Leben auf jeden Fall schwer machen könnten."

Vlade Divac gegen David Robinson. Drazen Petrovic gegen Michael Jordan. Toni Kukoc gegen Scottie Pippen. Dino Radja gegen Karl Malone. Es hätte das beste Spiel in der Geschichte des Basketballs werden können. Doch daraus wurde nichts.

Vlade Divac und Drazen Petrovic, die Stars von Jugoslawien. Foto: YouTube-Screenshot

„Eine besonders in Serbien verbreitete Verschwörungstheorie besagt, dass die USA und Deutschland Jugoslawien angegriffen haben, damit das Land nicht die großen Sportturniere Anfang der 90er gewinnen konnte", so der Balkan-Sportexperte Dario Brentin.

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Das Ganze entbehrt natürlich jeder Grundlage. Die NATO-Intervention während des Balkankrieges hatte natürlich rein gar nichts mit Sport zu tun, sondern ausschließlich mit den furchtbaren Kriegsverbrechen und ethnischen Säuberungen in der Region.

Fest steht: Wenn es ein Team hätte schaffen können, die „Dreamers" zu ärgern, dann wäre es die jugoslawische Olympiamannschaft von 1992—die am Ende nie zustande gekommen ist—gewesen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das US-Team wäre natürlich trotzdem der große Favorit gewesen (was sie während der Sommerspiele gegen eine dezimierte kroatische Mannschaft unter Beweis gestellt haben). Wir werden niemals wissen, ob ein vereintes Jugoslawien das Zeug dazu gehabt hätte, gegen die Amis Geschichte zu schreiben. Mit Sicherheit können wir aber sagen, dass sie das beste Nicht-US-Team aller Zeiten in ein Großturnier geschickt hätten.

Jugoslawien war entgegen aller Erwartungen—man hatte kaum mehr Einwohner als der Großraum New York—eine Basketballhochburg mit Weltstatus.

Die Truppe, die vor nunmehr fast 30 Jahren in Erscheinung trat, war eine Sammlung aus besonders talentierten Einzelspielern. Da war einerseits Scharfschütze Drazen Petrovic, der Stephen Curry seiner Zeit. Einmal kam er in einem Spiel in der jugoslawischen Liga auf 112 Punkte. Dabei verwandelte er 40 seiner 60 Field-Goal-Versuche, 10 von 20 Dreierwürfen und 22 von 22 Freiwürfen. Er hat auch fünf Jahre lang in der NBA gespielt und in seinen beiden letzten Saisons durchschnittlich mehr als 20 Punkte pro Spiel erzielt, bevor er 1993 bei einem Autounfall ums Leben kam. Er wurde nach seinem Tod in die Hall of Fame aufgenommen, seine Nummer hängt bis heute unter dem Hallendach der Brooklyn Nets.

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„Einmal spielte er gegen Jordan und meinte zu mir: ‚Gib mir den Ball, ich bin heiß, ich will den letzten Wurf nehmen'", erzählte der frühere NBA-Star Kenny Anderson in der ESPN-Doku „Once Brothers".

Aber Jugoslawien hatte nicht nur Petrovic. Center Vlade Divac war neben Magic Johnson einer der schillernden Stars bei den Los Angeles Lakers, und seine Nummer 21 wurde ihm zu Ehren bei den Sacramento Kings „retired". Power-Forward Toni Kukoc gewann mit den Chicago Bulls gleich dreimal den Titel und wurde 1996 zum besten Sixth Man of the Year ausgezeichnet (obwohl er in Wirklichkeit—trotz Mitspielern wie Michael Jordan und Scottie Pippen—regelmäßig von Beginn an kam). Power-Forward Dino Radja zeigte erst in Europa überragende Leistungen, bis er auch bei den Boston Celtics durchschnittlich ein Double-Double holte.

So gut Petrovic & Co. als Einzelspieler waren, zusammen waren sie noch besser. Jugoslawiens Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 1988 war der Startschuss für eine Siegesserie, mit zwei EM-Titeln 1989 und 1991. Doch der wirkliche Schocker war der Sieg bei der Weltmeisterschaft 1990, als das junge jugoslawische Team zeigte, dass man mit ihnen bei den Spielen in Barcelona rechnen sollte.

Im Duell mit den Amerikanern 1990 gingen alle davon aus, dass Jugoslawien an Alonzo Mourning und seinen Mannen zerschellen würde. Doch Petrovic zeigte eine Weltklasseleistung, sammelte 31 Punkte und führte sein Team zu einem sensationellen 99:91-Sieg.

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Das jugoslawische Team feiert den WM-Triumph 1990. Foto: YouTube-Screenshot

Wie zur Hölle konnte so ein Hammer-Team entstehen? Den Mühlen des Kommunismus sei Dank.

„Die Jungs haben sehr gut zusammengearbeitet", findet der Balkan-Historiker Perica, „entgegen dem Stereotyp von Gruppen, die von einem kommunistischen System gegen ihren Willen zusammengesetzt werden."

Jugoslawien war eine Patchwork-Republik, bestehend aus zum Teil sich feindlich gesinnten ethnischen Gruppen, die in insgesamt sechs verschiedenen Teilrepubliken lebten. Serben, Kroaten und (muslimische) Bosnier, die—einem repressiven und oft brutalen Regime sei Dank—in eine Nation gezwängt wurden. Doch wie die Ironie des Schicksals es wollte, gab genau diese von oben oktroyierte Solidarität der Regierung die Möglichkeit, Spieler und Trainer aus verschiedenen Gruppen auf dem Basketballplatz zu vereinen. So konnte auch das vorhandene Talent maximiert werden.

„Ich glaube, der Schlüssel des Erfolgs war ein wirklich beeindruckender Recruiting-Pool", so Perica weiter. „In diesem Zusammenhang meine ich die kulturelle und nationale Diversität Jugoslawiens. Im ehemaligen Jugoslawien waren alle weiß, trotzdem gab es zwischen den einzelnen Gruppen große Unterschiede. Ich habe mal irgendwo geschrieben, dass die besten Spieler in den 70ern und 80ern Kroaten, die besten Trainer Serben waren."

Tatsächlich waren die besten Spieler im jugoslawischen Team nicht aus nur einer Teilrepublik. So waren Petrovic, Kukoc und Radja Kroaten, Divac und Zarko Paspalj—der den Amis 1990 15 Punkte eingeschenkt hat—hingegen Serben.

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Es war eine willkürlich zusammengewürfelte Truppe, die nur zusammenspielte, weil es ihre Regierung so wollte. Und trotz der schwelenden Spannungen zwischen den einzelnen Teilrepubliken—die am Ende im Balkankrieg münden sollten—wurde das Team von allen geliebt.

Jugoslawien hatte aufgehört zu funktionieren, sein Basketballteam aber nicht.

„Nationale sportliche Erfolge ermöglichen es Regierungen, von den gesellschaftlichen Problemen abzulenken", meint Brentin. „Zu einem gewissen Grad haben die Erfolge der jugoslawischen Basketballer das Land zusammengehalten."

„Sie waren nicht nur gut, sie waren außergewöhnlich", sagt Perica. „Eine Art Experiment und Sportwunder."

Vlade Divac legte eine tolle NBA-Karriere hin, zeigte aber auch in der Nationalmannschaft glanzvolle Auftritte. Foto: USA TODAY Sports

Doch als dann Jugoslawien implodierte, wurde Basketball plötzlich zur Randfigur. Nur wenige Monate vor Beginn der Spiele von Barcelona starb der Traum von Gold. Die meisten der Kroaten, darunter Petrovic, Kukoc und Radja, spielten im neugegründeten kroatischen Team weiter. Der Rest durfte nicht bei den Olympischen Spielen antreten. Denn auf Druck der UN wurden jugoslawische Teams von internationalen Sportveranstaltungen ausgeschlossen (Einzelathleten durften teilnehmen, aber nicht unter jugoslawischer Flagge).

„Aufgrund des Krieges wurde der Ligabetrieb in Kroatien fast vollständig eingestellt. Spätestens jetzt verließen auch die Letzten die Liga Richtung Westeuropa oder Amerika. In Serbien ist gleich die gesamte Sportinfrastruktur zusammengebrochen."

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Die Folgen für den Basketball waren noch spürbar, als die Kämpfe schon längst beendet waren—und wirken bis heute nach. In den vom Krieg gezeichneten Ländern war für Basketball kein Geld da. In der Zwischenzeit wurde der Basketball im Rest Europas immer stärker. Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und die Türkei investierten in ihre Ligen und den Nachwuchs und konnten auch zunehmend Amerikaner anlocken.

„Und das Schlimme", so Brentin said, „auch die Basketballkultur war dem Zerfall preisgegeben."

Jahrzehnte später fragt sich Perica noch immer, was damals für das jugoslawische Team möglich gewesen wäre und verknüpft das Schicksal der Olympiamannschaft mit dem der gesamten Region, die noch immer dabei ist, sich vollständig von der politischen und humanitären Katastrophe der 90er-Jahre zu erholen.

„Ich bin in Kroatien geboren. Und obwohl es alle wissen, will niemand öffentlich die Wahrheit aussprechen: Dass die letzten 25 Jahre aus sozio-ökonomischer Sicht ein riesiger Misserfolg waren", so Perica. „Alle wollen sagen, dass es ein großer Erfolg war, aber in Wirklichkeit sind alle arm und Kroatien ist ein unbedeutendes und nur schwerlich funktionierendes Land."

„Die Balkanländer sind allesamt in einem miserablen Zustand und hassen sich gegenseitig. Ich glaube, der Niedergang des Basketballs muss daher vor diesem Hintergrund gesehen werden."

Eine Statue von Drazen Petrovic im kroatischen Zagreb. Foto: Antonio Bat/EPA

„Ich schau mir manchmal noch Spiele an, aber das ist ein ziemliches Trauerspiel", sagt Perica über die Liga in seiner Heimat. „Damals in den 80ern war die jugoslawische Liga vergleichbar mit den heutigen europäischen Ligen. Die Hallen waren voll und es fehlte weder an Enthusiasmus noch an Talent."

Davon ist leider nichts mehr übrig geblieben. Es fehlt an allen Ecken an Geld. Auch von der Regierung gibt es keine Unterstützung mehr. Die Ligen sind klein und qualitativ alles andere als hochwertig. Trotzdem haben die übrig gebliebenen Basketballfans in der Region noch immer hohe Erwartungen an ihre Mannschaften, auch weil man sich nur allzu gern an die goldenen Jahre zurückerinnert.

„Wenn sich die Fußballnationalmannschaft für die WM qualifiziert, ist es rein riesiger Erfolg. Aber wenn sich die Basketballmannschaft qualifiziert, dann jedoch nicht über die erste Runde hinauskommt, ist von Scheitern die Rede", meint Malinovic. „Die Leute wollen einfach nicht verstehen, dass sich Basketball im Rest Europas stark weiterentwickelt hat, während er in Kroatien seit Jahren stagniert."

Basketball ist natürlich nicht komplett aus dem ehemaligen Jugoslawien verschwunden. Und Spieler wie Bender, Nikola Mirotic und Nikola Vucevic belegen das auch. Doch scheinen diese Namen mehr eine traurige Erinnerung an die glorreiche Basketballvergangenheit der Region zu sein als ein Hinweis auf eine neue goldene Zukunft.