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Verbrechen

Die verrückte Geschichte von Gaddafis Sohn und seinem angeblichen Mordversuch in Wien

Vor 10 Jahren kam es am Grundstück einer von den Gaddafis gemieteten Wiener Villa zu einem Vorfall, der bis heute rätselhaft bleibt.
International Criminal Court

Als Person steht Saif al-Islam al-Gaddafi, Sohn des 2011 gestürzten, libyschen Diktators, gewissermaßen symbolhaft für den unübersichtlichen, uneindeutigen und brüchigen Zustand seines bürgerkriegsgebeutelten Landes.

2011 wurde er von Milizen gefangen genommen und im Sommer 2015 zum Tode verurteilt. Seit April 2016 hält sich wiederum die Meldung, dass Saif Gaddafi gar nicht mehr infhaftiert sei. Vor kurzem wurde dann kolportiert, dass er zukünftig sogar eine politische Rolle bei der Einigung des derzeit gespaltenen Libyen einnehmen könnte.

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Vor den Umbrüchen des Arabischen Frühling verbrachte der Diktatoren-Sohn einige durchaus ausschweifende Jahre in Wien. Als Busenfreund von Jörg Haider war er in heimischen Wirtschafts- und Politikkreisen gut vernetzt. Er studierte an der privaten IMADEC-Schule und besaß den Ruf eines Partygängers.

Vor genau zehn Jahren wurde Nadiya B., vermeintliche Prostituierte im Dienste Gaddafis, schwerverletzt auf einem von ihm gemieteten Grundstück aufgefunden.

Der wohl aufsehenerregendste und mysteriöseste Vorfall aus dieser Zeit ereignete sich dann vor genau zehn Jahren. Im April 2007 wurde am Grundstück einer von den Gaddafis gemieteten Villa in Wien-Döbling eine schwerverletzte, junge Frau aufgefunden. Nadiya B., eine gebürtige Ukrainerin, sei demnach eine Prostituierte im Dienste Gaddafis gewesen, hieß es.

Für einige Zeit lag die junge Frau in einem Wiener Spital im Koma, konnte sich von den lebensgefährlichen Kopfverletzungen aber erholen. Gaddafi selbst, der sich in der Nacht der besagten Nacht in Wien befand, verließ noch am nächsten Tag Österreich per Privatjet. Von der Polizei wurde er nie zu der Sache einvernommen.

Die heimischen Behörden kamen aber zum Schluss, dass "kein Fremdverschulden" vorgelegen habe. Die Staatsanwaltschaft schloss den Akt schließlich mit einer offiziellen Version: Die verunfallte Frau sei betrunken auf einen Baum geklettert und gestürzt. Womöglich habe Eifersucht oder Zurückweisung dabei eine Rolle gespielt. Dass Gaddafi hier in ein Verbrechen verwickelt gewesen war, hielt sich aber als loses Gerücht.

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Worüber hierzulande bisher nicht berichtet wurde: Die betroffene Frau äußerte sich in russischen und ukrainischen Medien über die Jahre hinweg immer wieder zu dem Vorfall in der Wiener Villa. Und zwar mit einer zum Teil gänzlich anderen Version der Geschehnisse. Wenn diese Geschichte stimmt, wäre der Vorfall tatsächlich nicht als Unfall, sondern als Mordversuch zu werten.

"Streit brach aus. Und dann schlug er mich. Zweimal."

Gegenüber der Tageszeitung Moskovskij Komsomolets erzählte Nadiya B. ausführlich von ihrer Beziehung zu Saif Gaddafi und seinem exzessiven Lebensstil. Das Interview erschien im Oktober 2011, hätte aber schon längere Zeit zuvor stattgefunden. Demnach wären B. und Gaddafi verheiratet gewesen. Dem Vorfall in der Villa sei ein Beziehungsstreit in Libyen vorangegangen. Sie hätte sich trennen und nach Moskau gehen wollen. Dort seien Angehörige der libyschen Botschaft aber an sie herangetreten, die Sache doch noch einmal in Wien zu bereinigen. Dem sei sie nachgekommen.

"Wir sprachen im Bereich eines Restaurants, den Saif für den ganzen Abend gemietet hatte", erzählte sie der Zeitung. "Streit brach aus. Und dann schlug er mich. Zweimal. An mehr kann ich mich nicht erinnern. Aufgewacht bin ich erst im Krankenhaus. Vor mir saß meine Mutter und ein Mann aus der libyschen Botschaft, der vom ersten Tag an in der Nähe war und Journalisten verscheucht hat."

47 Tage hätte sie im Koma verbracht, während Angestellte der Botschaft die offizielle Version mit dem Baum und dem Absturz verbreitet hätten. B. meint jedoch: "So wie es aussieht, hat Saif mich einfach aus dem Fenster geschmissen, nachdem ich das Bewusstsein verlor." Gaddafi, der für ihre Behandlung bezahlte, sah sie 2008 noch einmal. Sie habe nicht mehr zu ihm zurückkehren wollen und verweist im Interview auch auf die Gewaltausbrüche anderer Gaddafi-Söhne. Auch sie soll ja schließlich einem solchen zum Opfer gefallen sein.

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In darauffolgenden Interviews widerspricht sie allerdings selbst zum Teil dieser Darstellung. Dem ukrainsichen Medium KP sagte sie im Dezember 2011 am Rande, sie könne sich an den Vorfall "nicht erinnern", sei aber vermutlich "selbst gestürzt." Im Juli 2015 meldete sie sich gegenüber dem russischen Portal Mixnews noch einmal zu Wort und bedauerte das Todesurteil gegen den früheren Ehemann.

VICE hat versucht, mit Nadiya B. in Kontakt zu treten. Einige Nummern und Kontaktdaten, die von Journalisten und Bekannten zur Verfügung gestellt wurden, erwiesen sich aber mittlerweile als inaktiv. Eine frühere Freundin, die mit B. in den Jahren 2013 und 2014 in einem Hotel in Abu Dhabi gearbeitet hatte, kennt Nadiyas Geschichte in der Wiener Villa, wollte aber nichts weiter sagen.

Ein anderer ehemaliger Bekannter, der in der Ukraine für eine Fluglinie arbeitet und sich mit B. 2008 in Donetsk anfreundete, ist sich im Gespräch mit VICE wiederum sicher: "Es war kein Unfall. Zwar war es nicht Gaddafi selbst, der sie vom Balkon warf, aber seine Leute. Sie waren wütend auf sie, weil Nadiya sich trennen und abhauen wollte. Ich kann Ihnen kein Video von der Tat geben, aber das ist eben, was sie mir von dem Vorfall gesagt hat."

"Da lag der abgetrennte Kopf einer Katze. Eine Katze, die sie tagsüber gefüttert hatte."

Warum aber der Umschwung in ihren medialen Aussagen? Der Bekannte, der nicht namentlich genannt werden möchte, vermutet Angst dahinter. "Sie versteckte sich damals in Donetsk vor den Leuten Gaddafis. Aber sie fanden sie." Wie, darauf hat der Bekannte eine ziemlich bizarre Antwort: "Sie wusste, dass sie sie gefunden haben, als sie eines Tages die Tür ihre Apartments öffnete. Da lag der abgetrennte Kopf einer Katze. Eine Katze, die sie tagsüber gefüttert hatte." In der Folge sei B. zu ihrer Großmutter auf die Krim gezogen.

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Diese Geschichte mit all ihren absurden Details, die aus einem trashigen Kriminalroman stammen könnte, wirft am Ende wenigstens die Frage auf, ob die Ermittlungen in Österreich nicht zu lau gegenüber dem mächtigen Österreich-Freund Gaddafi, dessen Familie bis 2011 1,2 Milliarden an Vermögen hier geparkt hatten, geführt wurden. Auch andere Medien haben versucht, den auf den ersten Blick doch grotesken Gerüchten, nachzugehen.

Dem Falter etwa fiel der Vorfall im Jahr 2010 in einem ganz anderen Zusammenhang erneut auf. Im Tagebuch von Walter Meischberger, das in der Causa Buwog immer wieder Thema ist, fand der verurteilte Ex-Politiker zu der Sache folgende Worte: "Ein 'Unfall' bei einer Feier in Wien, bei dem ein Mädchen umgekommen ist. Für 45 Millionen ist einem Medienunternehmen die Titelgeschichte weggekauft worden, einem Baumanager der Flug vergoldet worden und einem Nationalbanker das eine oder andere Milliönchen bezahlt worden."

Auch der Sender Ö1 griff diesen Punkt damals auf und stellte die Frage, ob Ermittlungen hier bewusst beeinflusst worden waren. Dass Gaddafi selbst nie befragt wurde, begründete die Staatsanwaltschaftssprecherin damit, dass es "wohl nichts gebracht hätte."

Dieser "befand sich zum Zeitpunkt der Ermittlungen im Ausland, wurde von keiner der befragten Personen strafbaren Handlung bezichtigt". Warum aber flüchtete er so schnell? "Die Ermittlungen ergaben, dass es sich um einen geschäftlichen Termin gehandelt haben könnte", hieß es da gegenüber Ö1. Befragt wurde laut der Staatsanwältin auch die schwerstverletzte Frau selbst. Diese habe sich aber nach der Kopfverletzung "an nichts mehr erinnern können – oder wollen."

Thomas auf Twitter: @T_Moonshine