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Das jüdische Scheidungsrecht ist gar nicht koscher

Scheidung ist in Israel Männersache. Damit sich auch Frauen endlich leichter aus kaputten Ehen lösen können, setzt ein neues Gesetz auf weniger koscheres Essen.
Foto: Brad Greenlee | Flickr | CC BY 2.0

Wer hätte gedacht, dass koscheres Essen mit der Stärkung von Frauenrechten zu tun hat? Aber ganz von vorne.

Wenn es darum geht, religiöse Gesetze zu befolgen, können vor allem Speisevorschriften schnell zu einem ausgemachten Minenfeld werden. Für Juden, die sich koscher ernähren, stellt das grundlegende Verbot des Mischens von Fleisch und Milch (sowie Milchprodukten) auf den ersten Blick noch keine allzu große Herausforderung dar. Doch weit gefehlt. Denn die Vorschrift der absoluten Trennung von Fleischigem und Milchigem erstreckt sich laut dem Zentralrat der Juden in Deutschland auch auf alle Küchengeräte, wie z.B. Töpfe, Teller oder Besteck. Doch damit ist es noch lange nicht getan: Ebenso erforderlich sind verschiedene Geschirrschränke und ein gesondertes Abwaschen. Kein Wunder also, dass die Zubereitung eines einfachen Gerichts am Ende doch ziemlich kompliziert werden kann.

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Für gläubige Juden gibt es verschiedene Stufen von koscher. Man unterscheidet unter anderem zwischen superkoscher und normal koscher (für superkoscheres Milchpulver müssen während des gesamtes Produktionsprozesses strenggläubige Juden dabei sein). Ein aktueller Gesetzesvorschlag will sich jetzt der Tatsache bedienen, dass für einige Gläubige der Zugang zu superkoscherem Essen von größter Bedeutung ist. Und auf diesem Wege Frauen in einer immer noch sehr patriarchalisch geprägten Gesellschaft bei der Auflösung einer religiös geschlossenen Ehe helfen.

Am vergangenen Mittwoch wurde das Gesetzesvorhaben in einer ersten Prüfung vom Knesset gutgeheißen. Ziel des Gesetzes ist es, praktizierenden Juden, die dem berechtigten Scheidungsverlangen ihrer Ehefrauen partout nicht zustimmen wollen, härtere Strafen aufzuerlegen. Nach jüdischem Gesetz kann nur ein Mann den Scheidungsantrag für eine religiös geschlossene Ehe (Scheidebrief oder get genannt) einreichen, den die Frau dann akzeptieren oder ablehnen kann. Wenn jedoch die Frau die Scheidung will, der Mann aber nicht einwilligt—ein absolut üblicher Umstand—kann sich die Frau an ein Rabbinatsgericht wenden, das den Mann unter bestimmten Voraussetzungen dazu verurteilen kann, sich von seiner Frau zu scheiden. Bei Zuwiderhandlung drohen zwar Sanktionen (z.B. Abnahme des Führerscheins oder Reisepasses), doch die reichen in vielen Fällen nicht dazu aus, den Mann zum Ausstellen eines Scheidebriefes zu bewegen. Sogar die Androhung von Beugehaft bleibt in manchen Fällen wirkungslos.

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Und genau hier kommt der Gesetzesvorschlag wieder ins Spiel. Denn durch verschärfte Haftbedingungen, die eine Unterbringung von streng religiösen Männern in nicht-religiösen Gefängnistrakten sowie die Ausgabe von nicht-superkoscherem Essen vorsehen, soll der Wille scheidungsunwilliger Männer gebrochen werden.

„Mit dem Gesetzesvorschlag soll gezielt gegen streng gläubige Männer vorgegangen werden", so Prof. Marc Shapiro von der University of Scranton, „die zwar superkoscheres Essen verlangen, denen es aber gleichzeitig an der grundlegenden Menschenwürde fehlt, ihre scheidungswillige Frau aus der Ehe zu entlassen. Warum sollten sie also einen Anspruch auf diese Art von Essen haben? Das ist schließlich ein Privileg, aber kein Recht", so Shapiro weiter.

Männer sind in der Position, von scheidungswilligen Frauen so ziemlich alles erpressen zu können.

Scheidungsverweigerung ist ein großes Thema in Israel. Im Gegensatz zu den USA, wo auch Zivilgerichte Scheidungen vollziehen können, muss sich eine jüdische Frau in Israel an ein religiöses Gericht wenden. Laut einem Artikel in der LA Times aus dem Jahr 2013 wird ein Fünftel aller von Frauen gewünschten Scheidungen—also rund 34.000 pro Jahr—von der Männerseite blockiert.

„Männer sind in der Position, von Frauen so ziemlich alles erpressen zu können", so Judith Hauptman, Professorin für rabbinische Kultur am Jüdisch-Theologischen Seminar in New York. Sharon Weiss-Greenberg, Vorsitzende der Jewish Orthodox Feminist Alliance, kann dem nur zustimmen: „Organisationen wie unsere fordern schon seit sehr langer Zeit grundlegende Veränderungen."

Die Frage ist nur, ob die Haftverschärfungen weit genug gehen. „Ich halte das auf jeden Fall für eine sehr interessante Idee, mehr Druck auf uneinsichtige Männer auszuüben", findet Weiss-Greenberg. „Auf jeden Fall ist es ein Schritt in die richtige Richtung." Denn die angedrohten Maßnahmen könnten für streng religiöse Männer fast so schwer wiegen wie eine Exkommunikation, glaubt Weiss-Greenberg.

Von wegen, findet Hauptman vom Jüdisch-Theologischen Seminar, die dem Ganzen nicht viel abgewinnen kann. „Superkoscheres Essen verweigern? Das ist doch lächerlich", findet sie. „Nette Idee. Aber diese Änderungen werden doch niemals ausreichen, um den Frauen wirklich zu helfen. Dafür bedarf es schon weitaus mutigerer Maßnahmen."

Und für diejenigen, die gut aufgepasst haben und jetzt spitzfindig darauf hinweisen, dass auch Frauen einem scheidungswilligen Mann Steine in den Weg legen können, sei gesagt: Die Scheidung wird einem Mann, auch gegen den Willen der Frau, religionsgesetzlich und in der Praxis viel leichter gemacht. Ihr merkt also schon: Same same but different.

Oberes Foto: Brad Greenlee | Flickr | CC BY 2.0