Istanbuls durchgeweichter Burger ist eine kulinarische Offenbarung

Wer nach einer durchzechten Nacht in Istanbul keinen ıslak gegessen hat, war nicht wirklich feiern. Während sich Feierwütige in Berlin noch einen Gute-Nacht-Döner oder in New York ein Stück Pizza gönnen, sollte man in Istanbul unbedingt Islak probieren: ein saftiges Hackfleischpatty, das zuvor mit Milch, Knoblauch und Minze gegart wurde, getränkt in Tomatensauce und zwischen zwei weiche Brötchenhälften gequetscht.

Die Zubereitung ist einfach. Sobald die ıslak-Burger fertig sind, werden sie auf ein großes Blech gepackt und kommen in eine Art Vitrine—wie diese Kästen, aus denen man sich auf dem Jahrmarkt hässliche Kuscheltiere angelt. Unter dem Kasten wird die ganze Zeit Wasser aufgekocht, sodass der aufsteigende Dampf die ıslak-Burger schön warm hält und mit feuchtem Knoblauchdampf einhüllt.

Auf türkisch bedeutet ıslak so viel wie „nass".

Die wirklich guten Burger-Buden findet man am oberen Ende der Istikal, eine der größten Straßen Istanbuls, die auf den Taksim-Platz trifft—genau dort, wo im Mai 2013 die Gezi-Proteste begannen.

Der bekannteste ıslak-Imbiss in Istanbul heißt Kizilkaya. Da musste ich hin. Bei meiner Ankunft war Hasan, der ıslak-Guru, gerade schwer damit beschäftigt, die Burger umzudrehen, sodass die Unterseite nicht verbrennt und sie schön gleichmäßig nass sind.

Drinnen ist es wie in einer Knoblauchsauna. Für meinen ıslak zahle ich nicht mal einen Euro. Beim ersten Bissen in das weiche, warme Brot vermischt es sich mit der flüssigen Tomatensauce. Gleichzeitig ist da das Fleisch mit seinem intensiven Knoblauchgeschmack, das dem Ganzen noch mehr Gewicht gibt—von dieser Kombination kann man nicht genug bekommen.

Der ıslak ist so einfach und doch so umwerfend, dass er normale Burger in den Schatten stellt. Erstens: dieses Brötchen. Bei einem normalen Burger ist das Brötchen meist zu hart im Vergleich zum leckeren weichen Inhalt. Zweitens: Normale Burger übertreiben es manchmal einfach mit der Füllung—Tomaten, Ketchup, Zwiebeln und so weiter. Einfach ist doch auch gut. Und der ıslak trifft es einfach perfekt. Ich will Burger jetzt nicht ganz abschreiben, aber die türkische Version ist eine ziemlich gute Alternative.

Es gibt nur ein Problem: Der ıslak ist einfach zu klein.

Ich will gerade aufstehen und einen zweiten bestellen, aber mein Guide hält mich davon ab: „Wir sollten hier nicht zu viel essen." „Warum?", frage ich sie. Junge, liberale Türken boykottieren Kizilkaya, weil der Besitzer einige Demonstranten der Occupy-Gezi-Proteste rausgeworfen hat, die sich in seinem Laden vor der Polizei verstecken wollten. Und damit nicht genug: Auf Twitter unterstützte er die Regierung und forderte, dass die Demonstranten „aus Istanbul rausgeschmissen" werden.

Also auf zur nächsten ıslak-Bude. Einen Katzensprung weiter liegt das Bambi Café, eine türkische Fast-Food-Kette, bei der man gerne mal spätnachts einkehrt. Der junge Kellner Adin erzählt mir, dass der Taksim-Platz die Wiege des ıslak ist: In den 60er Jahren erfand hier der Besitzer des Buffetrestaurants „Kristal" den Burger. Das Kristal ist mittlerweile den Plänen der Stadt, aus Istanbul die Hauptstadt des Nahen Ostens zu machen, zum Opfer gefallen.

„Zum ıslak trinken wir meist Ayran oder Zitronensaft. Willst du das mal probieren?", fragt mich Adin. Ich entscheide mich für die erste Variante. Ayran hört sich für mich zunächst total ungewöhnlich an: ein kaltes Getränk aus Joghurt und Wasser mit einer leichten Salznote. Schmeckt aber viel besser, als es klingt. Ayran ist dickflüssig und erfrischend, jeder Schluck reinigt deinen Gaumen und macht Platz für den nächsten Bissen, der dann genauso unverfälscht schmeckt wie der erste.

Direkt neben Kizilkaya liegt Cılgın. Hier wollen wir ein bisschen Gossip über die erfolgreichere Konkurrenz erfahren. Aber da gibt's kein Durchkommen. Man respektiert sich gegenseitig.So ist die Geschäftsmentalität in der Türkei, erklärt man mir, wenn Geschäfte um den gleichen Kundenstamm kämpfen. Der Besitzer vom Cılgın, Murat, erzählt mir auch, dass die meisten ıslak-Burger-Experten aus der gleichen Region in der Nähe vom Schwarzen Meer stammen. Daher kommt auch das Rezept für den ıslak-Burger.

Die Türkei ist heute ein viel liberaleres Land als noch in den 60ern, als der ıslak erfunden wurde. Heute ist es das nahrhafte Essen für die betrunkene Meute, die nachts aus den zahlreichen Bars, Restaurants und Clubs heraustorkelt. Auf meine Frage, ob sich ein paar Betrunkene mal ein ıslak-Wettessen geliefert haben, erzählt mir Murat: „Ja, erst letzte Nacht haben zwei betrunkene Typen gewettet, dass jeder von ihnen 14 Stück essen kann. Bei fünf war Schluss. Der Rekord liegt bei 22 Stück. Das war vor ein paar Jahren. Daran erinnere ich mich noch genau."