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RB Leipzig

„„Stellt sie an die Wand"——Wie sich die Kritik an RB Leipzig der Nazi-Rhetorik bedient

Kein Verein im deutschen Fußball wird so gehasst wie der Club der österreichischen Flügelverleiher. Doch oftmals schlägt die Kritik in antisemitische Ressentiments um.

Nichts polarisiert momentan in deutschen Fußballfankreisen so sehr wie der Einfluss eines österreichischen Brauseherstellers auf den Leipziger Zweitligisten mit Namen RasenBallsport. Der oft zu hörende Vorwurf: Es gehe RBL um nichts anderes als um maximalen Gewinn und er sei kein Fußballverein mit kapitalistischen Interessen, sondern ein Unternehmen, das den Fußball missbrauche. Mancherorts wird gar vom Untergang des Fußballs und seiner Fankultur gesprochen.

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Die Kritik an RB Leipzig begann an dem Tag, als der österreichische Brausehersteller seinen Plan verkündete, einen Fußballverein aus Leipzig in die Bundesliga zu führen. Im Jahr 2006, also drei Jahre vor der tatsächlichen Gründung von RB Leipzig, versuchte Red Bull beim FC Sachsen Leipzig einzusteigen, was allerdings an Fanprotesten und am Widerstand des Deutschen Fußballbundes scheiterte. Am 19. Mai 2009 wurde dann der eigenständige Verein RasenBallsport Leipzig gegründet. Er erhielt das Startrecht des SSV Markranstädt für die Oberliga und übernahm mit ihm die gesamte erste Mannschaft inklusive des Trainerstabs. Der neugegründete Verein begann also direkt in der fünften Liga, doch das langfristige Ziel war ganz klar ein anderes: die Bundesliga, wenn nicht sogar die Champions League. Mit dem Einzug von RB Leipzig in die zweite Bundesliga im Sommer 2014 erreichten die Proteste gegen und die Kritik an RB Leipzig ihren vorläufigen Höhepunkt.

Doch viel zu oft bleibt es nicht bei Protesten und die Kritik wird zu einem mit Ressentiments beladenen Hass. Ein Hass, der die—auch für den professionellen Fußball geltende—Totalität des kapitalistischen Systems verkennt, also die Tatsache, dass sich kein Lebensbereich dem Kapitalismus entziehen kann. Eine Totalität, die seit der Professionalisierung des Fußballs präsent ist. Eine Totalität, die immer neue Möglichkeiten zur Profitmaximierung erzeugen wird. Sei es der erste Trikotsponsor, der 1967 auf dem Trikot von Wormatia Worms präsentiert wurde, oder sei es der Verkauf der Namensrechte am Stadion, durch den sich 1996 die Spielvereinigung Greuther Fürth den Umbau ihres Stadions finanzierte. All dies wurde stets mit Protest und der Warnung vor dem Untergang des Fußballs begleitet, ist jedoch im heutigen deutschen Fußball schlicht und ergreifend Normalität. Die Kommerzialisierung des Fußballs bahnt sich—ganz der kapitalistischen Logik folgend—unaufhaltsam ihren Weg.

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Es ist nicht verkehrt, diese Kommerzialisierung zu kritisieren, jedoch sollte dann eben auch der ihr zugrunde liegende Mechanismus kritisiert werden, anstatt einen einzelnen Sündenbock auszumachen. Auf diesen Sündenbock wird eine zu Hass verkürzte Unzufriedenheit mit dem System projiziert, der bisweilen Angst erregende Auswüchse annimmt. Auswüchse, die getrost als strukturell antisemitisch bezeichnet werden können. Strukturell, weil es sich nicht gegen tatsächliche Juden richtet, aber die Struktur von antisemitischer Hetze aufweist, was sich allzu oft auch im Vokabular niederschlägt. Wenn beispielsweise die Fans von Union Berlin auf T-Shirts den Leipziger Kontrahenten „RattenBall" nennen und auf dem Logo zwei Ratten gierig auf ein Goldstück zurennen lassen, dann hat das mehr mit antisemitischer Rhetorik als mit tatsächlicher Kritik zu tun.

Eiserne T-Shirts gegen #RBL. #unvsu | pic.twitter.com/5dKr7I4r8C
— Chucky Goldstein (@GoldsteinChucky) 21. September 2014

Wenn sie dann noch einen Schritt weiter gehen und sich selbst als „„Schädlingsbekämpfer" bezeichnen, die den deutschen Fußball vom Schädling" RasenBallsport Leipzig befreien wollen, dann schließt die antisemitische Rhetorik zwangsläufig eine Vernichtungsphantasie mit ein, deren traurige wie logische Konsequenz ein Buttersäure-Angriff auf den Leipziger Gästeblock war.

Diese Rhetorik von „Schädlingen war im Nationalsozialismus Staatsdoktrin, was deutlich den Zusammenhang zwischen der verkürzten Kritik und den Vernichtungsphantasien zeigt. Die Forderung der Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens, Brechung der Zinsknechtschaft war seit 1920 fester Bestandteil des Programms der NSDAP. Die auf Hitlers einflussreichsten Wirtschaftstheoretiker—den Autor von „Das Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft Gottfried Feder—zurückgehende Forderung, fand auch 1925 seinen Weg in das von Göbbels verfasste Kleine ABC des Nationalsozialisten. Hier formulierte Göbbels auch die antisemitische Kapitalismuskritik der Nationalsozialisten aus, als er dem „schaffenden Kapital" das raffende Kapital" gegenüberstellte. Hier liegt die gefährliche Nähe der verkürzten Kapitalismuskritik gegenüber RBL zum Antisemitismus. Die für die nationalsozialistische Ideologie wichtige Unterscheidung zwischen dem „schaffenden", also dem als deutsch definierten Kapital, und dem bösen, dem „raffenden", also dem als jüdisch definierten Kapital. Das „raffende Kapital" wurde im Nationalsozialismus quasi synonym mit der „jüdisch-internationalen Hochfinanz"—hinter diesem Begriff steckte die Behauptung der Nazis, das Finanzsystem würde von den Juden kontrolliert werden—gesehen, weswegen es innerhalb der Ideologie ein logischer Schritt war, das parasitäre Element zu beseitigen, anstatt eine tatsächlich Kritik am System zu üben. Die historischen Folgen dürften hinlänglich bekannt sein.

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Selbstverständlich findet sich bei nur wenigen Fußballfans eine offene judenfeindliche Rhetorik, wohl aber eine Rhetorik, die in der Struktur der antisemitischen durchaus ähnlich ist. Eine Rhetorik, in der die kapitalistischen Unternehmen nicht als kapitalistische Unternehmen kritisiert werden, sondern ihr Geist hinterfragt und bewertet wird, obwohl beide Seiten—also RB Leipzig ebenso wie ein sogenannter Traditionsverein—gleichermaßen an Profit orientiert sind. Das bedeutet die kapitalistische Totalität für den Fußball.

Foto: Imago / Thomas Bielefeld

Im selben Fahrwasser bewegt sich auch die—nach eigenen Angaben von „Gruppen aus Karlsruhe, Kaiserslautern, Darmstadt, Braunschweig, Aue, München, Aalen, Heidenheim, Sandhausen und Ingolstadt" gegründete—Ultra-Kampagne „Nein zu RB", die erklärt, nicht zwischen guten und bösen Investoren unterscheiden zu wollen und dann aber genau dies tut. In ihrem Aufruf schreiben sie erst: „Für uns ist RB Leipzig jedoch nur ein Teil des heutigen kommerziellen Fußballs—ein Fußball, der sich im Rahmen kapitalistischer Interessen bewegt. Wir verwehren uns, zwischen sogenannten guten und bösen Investoren zu unterscheiden." Um dann aber genau diese Unterscheidung vorzunehmen, wenn sie weiter schreiben: „Dennoch gibt es für uns Unterschiede in der Art und Weise des Engagements von RedBull zu anderen sogenannten Werksvereinen" wie Leverkusen und Wolfsburg. RedBull geht es primär darum, sein Produkt bestmöglich zu platzieren—„koste es, was es wolle." Damit unterliegen sie einem beliebten Denkfehler, und zwar dem Glauben, im gegenwärtigen Fußball seien Vereine keine Unternehmen, dem Glauben, dass nicht jeder Verein versucht, sein Produkt—ob es nun ein Energy-Drink oder der Fußball selbst—bestmöglich zu platzieren.

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Dabei baut jeder Verein um sein Produkt ein Image auf, sei es der FC Bayern mit seiner lokalen Folklore um die Wiesn-Trikots, der FC Schalke mit seinem an ein Kohlbergwerk erinnernden Spielertunnel oder der FC St. Pauli mit seinem Totenkopf. Die Vereine sind angewiesen auf Geld, um den Ligaalltag bewältigen zu können. Sie sind angewiesen auf Kunden, die ihr Produkt in Form von Merchandise oder Eintrittskarten kaufen. Aber auch Fernsehsender werden hier zu Kunden, beziehungsweise zu Zwischenhändlern, die die Rechte an den Spielen der Vereine erwerben, um daraus wiederum einen Gewinn zu erwirtschaften. Kurz gesagt: Jeder Verein ist ein am Gewinn orientiertes Unternehmen. Das klingt zwar herzlos, entspricht aber nun mal der Wahrheit. Wenn jemand also trotz dieser kapitalistischen Totalität eine Unterscheidung zwischen der Agenda verschiedener Unternehmen macht, dann bewegt er sich in gefährlicher Nähe zum Antisemitismus.

Natürlich schlägt sich dieses als Kritik getarntes Ressentiment—das zur einfachen Erklärung der komplexen kapitalistischen Gegenwart herhalten muss—in Zeiten von Ultrarappern auch in Rap nieder. Der Dortmunder MC M.I.K.I.—seines Zeichens Fan des BVB, übrigens dem einzigen deutschen Verein, der an der Börse notiert ist—widmete RBL pünktlich zum Aufstieg in die zweite Liga einen Track. Auch hier findet sich der in der Fanszene wohlbekannte Tenor. „ Wegen euch befindet sich die Tradition im Abstiegskampf" und nicht etwa, weil manche Traditionsvereine wirtschaftliche Fehler gemacht haben. Habt ihr gehört, liebe Fans von Tennis Borussia? Ihr müsst wegen RB Leipzig sechstklassigen Fußball anschauen, nicht weil eure Vereinsbosse in den Zeiten der Göttinger Gruppe schlecht gewirtschaftet haben.

Aber auch M.I.K.I. belässt es natürlich nicht bei simpler Schuldzuweisung, sondern denkt die strukturell antisemitische Kritik konsequent zu Ende. Für ihn ist RB ein „Virus", also ein Organismus, der ein alles in allem gesundes System zerstört. Die Entfernung dieses „Virus" ist gleichbedeutend mit der Behebung der Probleme. Also nicht die kapitalistische Totalität wird als Problem wahrgenommen, sondern ausschließlich einzelne Akteure. Um wieder auf das Beispiel der nationalsozialistischen Kapitalismuskritik zurück zu kommen: Nicht das kapitalistische System und seine Sachzwänge, dem die einzelnen Akteure unterlegen sind, wird problematisiert, sondern einzelne „raffende" Akteure. Insofern wundert es nicht, das Textzeilen wie stellt die Bullen an die Wand" hier als Problemlösung präsentiert werden.

Jedes Unternehmen—und nichts anderes sind professionelle Fußballvereine heutzutage—ist auf Profit aus und braucht Kunden. Diese Kunden sind die Fußballfans und—so traurig und herzlos auch das klingen mag—ihre emotionale Bindung zum Unternehmen bedeutet vor allem eines: Planungssicherheit. Natürlich muss und darf die Entwicklung nicht unkommentiert gelassen werden, klar können und müssen sich Fangruppen gegen eine derartige Entwicklung wehren, allerdings sollte dies mit Kritik statt mit Ressentiment geschehen. Natürlich muss man RB Leipzig nicht mögen und natürlich ist auch nicht jeder, der Kritik an RB Leipzig übt, ein Antisemit, aber die Akzeptanz einer verkürzten, also strukturell antisemitischen Kritik schafft keine Problemlösung, sondern nur eine Zunahme von Ressentiments. Um mit den Worten von die schlechtesten Geschichten' abzuschließen: „Es ist zu kritisieren, dass es möglich ist, den Namen von Fußballvereinen zu verkaufen. Ebenso ist es zu kritisieren, dass Entscheidungen im Verein nicht mit den Fans, sondern vielmehr gemeinsam mit den Investoren getroffen werden. Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs ist absolut richtig und angebracht—so lange sie mit dem System in Verbindung gebracht wird. Das System heißt noch immer Kapitalismus und der Fußball kann sich und konnte sich diesem System nie entziehen. Wer also RB Leipzig, 1899 Hoffenheim und Investorenvereinen den Garaus machen möchte, sollte nach dem großen Ganzen greifen. Kommerzialisiert ist jeder Profi-Fußballverein."

Folgt Chucky bei Twitter: @GoldsteinChucky