Vorarlberger in Wien

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Popkultur

Vorarlberger in Wien

Ab dem Auszug erinnert jeder Besuch im Ländle an einen Vokabeltest aus der Volksschule, bei dem abgeprüft wird, ob auch alle Wörter aus dem komplizierten Gsi-Slang noch sitzen.​

Vorarlberg ist ein Bundesland, das – vor allem in Wien – gerne vergessen oder belächelt wird. Meiner Meinung nach liegt das daran, dass sich nur die wenigsten Wiener schon mal vom gemütlichen Kaffeehaus ins abgelegene Ländle gewagt haben und deshalb auch nicht wirklich über die Provinz und ihre Bewohner Bescheid wissen. Aber auch wenn man sich Vorarlberg immer als kleinen Zipfel Österreichs vorstellt, ist es immerhin nur das zweitkleinste Bundesland und hat nur die zweitkleinste Einwohnerzahl. Der deutsche Fußballspieler Erik Meijer hat zwar in einem Interview mal behauptet, dass "nichts scheißer ist als Platz Zwei", aber dennoch hat Vori meistens einen ganz besonderen Platz im Herzen eines jeden Abgereisten – und teilt sich diesen mit Bier, Käsknöpfle und Lustenauer Senf.

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Wenn man aber als Vorarlberger irgendwann das Bedürfnis entwickelt, etwas Ordentliches zu studieren oder beim Fortgehen zur Abwechslung ein paar neue Gesichter sehen will, wird man nicht drum herumkommen, Vorarlberg zu verlassen. Wer es bei dieser schweren Entscheidung schafft, den prall gefüllten elterlichen Kühlschrank hinter sich zu lassen und sich besonders erwachsen und selbständig fühlen will, wagt sich direkt in die große Stadt. Viele schwören sich anfangs aber, dass sie nach dem Studium wieder zu ihren Wurzeln zurückkehren und versuchen werden, zwischen Bodensee und Piz Buin Fuß zu fassen.

Anfangs ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass man sich im Großstadtdschungel etwas ratlos vorkommt. Hat man sich dann aber an das Flair von Wien gewöhnt, erscheint einem diese Vorstellung plötzlich gar nicht mehr so nah. Immerhin ist der Weg auch nicht so easy zu bewältigen. Knappe sieben Stunden im Railjet können schnell ziemlich anstrengend werden – vor allem dann, wenn man zu Weihnachten keinen Platz reserviert hat und die ganze Strecke im stehen bewältigen darf.

Das führt auch dazu, dass "Oha, wie hältst du das so lange aus im Zug?", eine der FAQ an jeden Vorarlberger ist. Deshalb haben im vergangenen Jahr auch viele auf das Angebot der People's Viennaline zurückgegriffen und sind für ihren Wunschpreis einfach geflogen. Die Fluglinie ging nämlich Anfangs davon aus, dass schon niemand für einen Cent fliegen wird. Aber – na ja – sie lagen falsch.

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Der deutsche Fußballspieler Erik Meijer hat zwar in einem Interview mal behauptet, dass "nichts scheißer ist als Platz Zwei", aber dennoch hat Vori meistens einen ganz besonderen Platz im Herzen eines jeden Abgereisten.

In Wien angekommen lernt man das Öffinetz, die Anonymität, die städtische Vielfalt und das Nacht- beziehungsweise Freizeitleben zu schätzen. Immer wieder vergleicht man die Bundesländer miteinander und erkennt, dass sowohl Wien als auch Vorarlberg ihre guten und schlechten Seiten haben und schiebt es erstmal auf die lange Bank, sich für seinen weiteren Weg entscheiden zu müssen. So erging es auch mir vor ungefähr anderthalb Jahren. Anfangs war es klar, dass es nach dem Studium wieder ruckzuck nach Vorarlberg gehen würde, aber je länger ich hier bin, desto mehr liebe ich Wien – und sogar die Wiener.

Damit bin ich als Wahl-, Neo-, Exil-, oder Whatever-Wiener aber nicht alleine, denn momentan sind von den rund 324.000 aus den restlichen Bundesländer zugezogenen Wienern zirka 8200 aus dem Ländle. Das klingt vorerst recht marginal, aber wenn man erst mal in Wien ist, trifft man häufiger auf Vorarlberger als so manchem lieb ist.

Wahrscheinlich begegnet man auf seinem täglichen Weg öfters Steirern, Kärntnern oder omnipräsenten Oberösterreichern, aber bei Vorarlbergern fällt der unverwechselbare Dialekt eben sofort auf. Da reichen auch nur drei Worte, die man im Vorbeigehen mithört. Für die Klugscheißer unter euch: In Österreich spricht man grundsätzlich bairische Dialekte. Vorarlberg hat einen alemannischen Dialekt, deshalb ist auch der Unterschied so groß.

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Apropos Sprachbarriere: Eine der ersten Assoziationen auf das Wort "Vorarlberg" ist im Rest von Österreich, neben abenteuerlichen Skiabfahrten, sicher der Dialekt. Dabei gibt es den einen Vorarlberger Dialekt gar nicht. In Vori spricht man viele verschiedene Dialekte. Die einen klingen eh halbwegs verständlich, während die anderen eher an einen betrunkenen Isländer erinnern (ich schaue euch an, liebe Lustenauer.)

In Vori spricht man viele verschiedene Dialekte. Die einen klingen eh halbwegs verständlich, während die anderen eher an einen betrunkenen Isländer erinnern.

Das eigentliche Problem ist aber gar nicht der Dialekt per se, sondern eher der Zwiespalt, in den man durch ihn gerät. Schließlich wird einem in der Heimat eingetrichtert, dass man ja aufpassen soll, dass man seinen Dialekt nicht verlernt. Und ab dem Auszug erinnert jeder Besuch im Ländle an einen Vokabeltest aus der Volksschule, bei dem abgeprüft wird, ob auch alle Wörter aus dem komplizierten Gsi-Slang noch sitzen. Befindet man sich dann aber wieder in Wien, wundert man sich, wenn man beim enthusiastischen Erzählen der Erlebnisse des vergangenen Wochenendes nur verlegen angegrinst wird, weil keiner versteht, was da aus deinem Mund kommt.

Das führt öfters zu der Annahme, dass Hochdeutsch etwas ist, das im Ländle abgelehnt wird. Deshalb stellen wir das jetzt einfach ein für alle Mal klar: Ja, liebe Wiener, Vorarlberger sind in der Lage, Hochdeutsch zu reden. Wir strengen uns auch extra für euch an, wenn ihr "Haha, VoRADLBerg" sein lasst. Deal?

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Das letzte Mal, als ich mit diesem Phänomen konfrontiert wurde, war am Anfang meines Praktikums in der Redaktion von Noisey. Die generelle Annahme war nämlich, dass ich nach spätestens drei Monaten als einziger Vorarlberger schönes Hochdeutsch reden würde, das man auch in Wien ohne Probleme versteht. Jetzt, drei Monate später, ernte ich immer noch Lacher wenn ich Ausdrücke wie "Lüt", "Ufgwärmta" oder "Häs" verwende.

Aber: Ich verwende sie noch. Der Dialekt hat sich durchgesetzt und auch meine Wiener Mitbewohner, die mich jetzt schon über ein Jahr aushalten, versuchen sich immer wieder am Vorarlbergerischen und meistern sogar bald die ersten Lieder auf Profi-Niveau. Vorarlberg: 1, Wien: 0.

Ab dem Auszug erinnert jeder Besuch im Ländle an einen Vokabeltest aus der Volksschule, bei dem abgeprüft wird, ob auch alle Wörter aus dem komplizierten Gsi-Slang noch sitzen.

Der wohl größte Vorteil am Exilleben in Wien ist für einen Vorarlberger der Umgang mit anderen Vorarlbergern. Während in der Heimat die präferierte Biermarke locker Grund für eine hitzige Debatte sein kann, freut man sich in Wien immer, wenn man irgendwo den vertrauten Dialekt hört. Meistens dauert es dann nicht lange, bis das erste "He, du bisch doch usm Ländle, oda?" fällt. Was danach folgt, ist ein ausgelassenes Gespräch über Familienstand, Studium und Grundbesitz ("hosch Böda?").

Wenn man es aber wirklich darauf anlegt, Voris kennenzulernen oder sich unter seinesgleichen aufhalten will, sollte sich nicht von der Vorarlberger Allee blenden lassen, sondern lieber nach Meidling fahren. Dort gibt es nämlich die berüchtigten Erath-Wohnungen, die bevorzugt an Vorarlberger vergeben werden. So bildet sich um die Ruckergasse im 12. Bezirk ein wahres Vori-Eldorado, in dem jeder jeden kennt. Jedes Mal, wenn ich dort auf Besuch bin ist es wie ein neuer Eintritt in eine Parallelwelt. Man muss sich keinen Satz zweimal überlegen, bevor man ihn sagt und die Käsknöpfle schmecken wie daheim.

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Es braucht aber keine expliziten Vorarlberger-Veranstaltungen oder Besuche in den Ghettos, um ein paar Ländle-Exemplare zu treffen. Vom Verein der Vorarlberger in Wien (dessen Facebook-Page leider nur 2500 Mitglieder hat) werden zwar regelmäßig typische Voritreffen organisiert, aber man trifft sie auch einfach so in Wien. Nach Käsknöpflepartien im Ü-Lokal und im Ganz Wien ist das Wiener Nachtleben nie schlecht, wenn man nach Vorarlbergern sucht.

Meistens dauert es nicht lange, bis das erste "He, du bisch doch usm Ländle, oda?" fällt. Was danach folgt, ist ein ausgelassenes Gespräch über Familienstand, Studium und Grundbesitz ("hosch Böda?").

In der Tonstube hat man bei Turbo-Gin noch immer mindestens 10 Bekannte getroffen und manche Vorarlberger haben sich gerade mit ihren Partys einen Namen gemacht. Im Sass trifft man sich regelmäßig zum Ländle Takeover, was viel harmonischer abläuft als es klingen mag. Das DJ-Team von Soundterasse hat sich längst auch außerhalb von Vorarlberg einen Namen gemacht. Auch die Jungs von Mann & Klamm legen öfters auf Afterhours oder auf anderen Partys auf, auf denen immer ein paar Gsi-Rufe zu hören sind.

Wo wir auch schon beim Ländle-Output wären. Abgesehen von den DJs lebt nämlich auch der Vorarlberger Rapper Phil Fin seit Jahren in Wien und bildet zusammen mit dem Wiener DJ King das Duo Penetrante Sorte – freundlicherweise erklären sie dem Rest von Österreich sehr melodisch, was ein "ghöriga Gsi" in seinem Alltag so treibt. Auch die Betreiber der Tonstube sind Vorarlberger. Der Mehrwert für Wien zeichnet sich also deutlich ab: Käse, Bier, Musik und Afterhours werden importiert.

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Diese Partyaffinität führt dazu, dass es sehr selten reine Vorarlberger-Freundeskreise gibt. Die Leute, die ich kenne, haben alle auch gute Freundschaften mit anderen Österreichern aufgebaut, die über das übliche "Haha, wie heißt das in eurer Sprache?" hinausgehen. Manche sind sogar mit Deutschen befreundet. Man trifft sich aber auch gerne in gewohnter Umgebung, um sich gegenseitig mit selbstgemachten Käsknöpfle zu verköstigen oder einen gemütlichen "Jassobad" zu verbringen.

Sucht euch eure Mitspieler aber genau aus! Jassen ist nicht nur ein Kartenspiel, sondern auch ein Volkssport. Deshalb ist es ratsam, sich einfach mit einem Bier hinzusetzen und einfach zuzuschauen. Und ich weiß, wovon ich rede, da ich selber leider auch kein Profispieler bin und damit schon einige Freundschaften dramatisch gefährdet habe.

Vorarlberger gehören also längst zum Wiener Stadtbild und soweit ich das beurteilen kann, wird das auch so bleiben. Die große Stadt ist sehr reizvoll für Provinzler, die ihre gewohnte Umgebung verlassen wollen und Lust auf was Großes haben, ohne es gleich zu übertreiben. Die Wechselwirkung zwischen Vori und Wien funktioniert sehr gut und wie gesagt:

Wir können nicht nur mit Menschen aus anderen Bundesländern, sondern sogar mit Deutschen – und die sind tatsächlich überall. Und wenn der Bodensee einmal besonders weit weg scheint und man sich von der Anonymität erdrückt fühlt, atmet man einfach tief durch und nimmt sich Michael Köhlmeiers "Vom Mann, der Heimweh hatte" zur Hand.

Hab ich schon Käsknöpfle gesagt?

Sandro auf Twitter:  @voriboy