Ein Königreich für einen Teppich. Einen grossen, flauschigen Teppich. Endlos, zimmergross. Ein zweites Königreich für jemanden, der einem den Terminkalender für ein paar Tage freiräumt. ROFLDBASW. Rolling on the floor drinking beer and smoking weed. Das wär’s jetzt. Aber dazu ist hier zu wenig Floor und zu wenig Teppich und zu viel Rauchverbot.
Dies sind die Gedanken, die mir durch den Kopf rollen, während ich an einem Mittwoch im Oktober—lange ist’s schon her—in der Mars Bar in Zürich stehe, mitten im Gedränge, den Blick auf die Ecke gerichtet, in der sonst die Sofas stehen und den Klängen lausche, die dort erzeugt werden.
Exakt an dem Abend feiert die Bar ihr zehnjähriges Bestehen. Aus diesem Anlass hat man eine Band eingeladen: ZAYK.
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ZAYK sind fünf Zürcherinnen, die seit gut dreieinhalb Jahren gemeinsam Musik machen. Juliette Rosset am Bass, Eliane Imbach am Schlagzeug, Nina Seyfried und Sophie Hartmann an der Gitarre, Janine Städler an den Keys. Alle zwischen 26 und 28 Jahre alt. Kaum Gesang. Ein Sound, wie ein Teppich. Repetitiv, beharrlich, stoisch, nichts überhastend. Steter Tropfen höhlt den Stein. Er lebt von Wiederholungen, von dynamischen Akzenten, von Verschiebungen, vehementer Manifestation und Zerfall.
Die Songs können sehr kurz sein, oder sehr lang. Sie ziehen einen in einen Strudel, nehmen den Zuhörer mit auf eine Assoziationsreise. Ein kräftiges Rückgrat, viel Hall, viel Fläche, ein kleines Fest für Leute, die Musik mit Farben verbinden. Eine gut abgehangene Mischung aus Krautrock und Psychedelic Rock.
Die Band steht im Halbkreis mit Blickkontakt zueinander. Die Bassistin wendet dem Publikum praktisch immer den Rücken zu. Man hat das Gefühl, man schaut ihnen beim Kochen zu. Jeder wirft etwas in den brodelnden Kessel.
Auf dem elektronischen Notizzettel stehen bald einige Begriffe: “Zaubertrank” zum Beispiel. “Reverb”, “Initialzündung” oder “Eruption”—und immer wieder: “Teppich”.
Das Kennenlernen hat bereits vor dem Konzert stattgefunden. Zuerst mal war da ein Berg an Skepsis und Verwunderung: Wie kommst du überhaupt auf uns? Woher kennst du unsere Musik? Freundliche, fragende Augenpaare, die von ihren Tellern aufblicken. Vier Fünftel der Band sitzen in einem indischen Imbiss an der Kanonengasse. Vor ihnen Linsen, Lamm und Bier. Man merkt sofort: Das ist eine eingeschworene Gemeinschaft. Ich werde geduldet, wenn ich nicht allzu doofe Fragen stellen. Aber brauchen tut’s die eigentlich nicht.
In knapp 20 Minuten werden sie ein Konzert spielen. Falls sie nervös sind, dann verstecken sie das gerade sehr gut. Sie reden von der Tour durch Italien und Griechenland, die sie bald absolvieren werden. Alles im Do-it-yourself-Modus, mit dem Büssli.
In eben dieses Büssli quetschen sie sich nach dem Konzert für Fotografin Angela Michel. Alle plaudern munter durcheinander. Das Adrenalin zirkuliert. Als das Posen langweilig geworden ist, setzen sie sich zu mir auf einen Stapel Holzpaletten. Bevor das Aufnahmegerät seinen Dienst tun darf, noch ein sehr ernster Blick: “Wir dürfen das dann schon gegenlesen, oder?” Ich bejahe das und beginne mit einer Frage, die man nicht jeder Band stellen kann.
Was ist für euch die perfekte Songlänge?
Sophie: 37,5 Minuten.
Janine: 15 Minuten.
Eliane: 18,7 Minuten.
Juliette: 1,9.
Eliane: Nein, es gibt keine optimale Songlänge. Das ergibt sich – so wie wir das gerade empfinden.
Sophie: Genau, es geht um unser Empfinden. Für alle Anderen ist es wahrscheinlich anders.
Janine: Können wir uns auf zwischen 1,9 und 15 Minuten einigen?
Alle: Ja.
Geht es konkreter?
Juliette: Also ich würde sagen, so lange, bis ein Song fast in sich zusammenfällt, aber trotzdem wieder zusammenkommt.
Eliane: Die Songlänge ist kein Thema, wenn wir anfangen Musik zu machen. Das ist dann einfach am Schluss so.
Vielleicht ist es ja Symptom für etwas.
Juliette: Wir sind halt hauptsächlich instrumental unterwegs. Unsere Songs haben keine Refrains, keine Strophen. Deshalb bedienen wir uns einer anderen musikalischen Dramaturgie. Das braucht halt seine Zeit.
Sophie: Oder auch nicht—je nach Ästhetik des Songs.
Wieso habt ihr die Zeit?
Janine: Weil wir sie uns nehmen. Jeder hat Zeit, immer.
Eliane: Jeder hat gleich viel Zeit, jeden Tag.
Nina: Ich finde, die Leute sollten sich tendenziell etwas mehr Zeit nehmen.
Wofür?
Janine: Zum Songs schreiben?
Nina: Allgemein, im Leben einfach.
Eliane: Für die guten Momente.
Nina: Ja, für die guten Momente. Nicht immer so gestresst zu sein.
Eliane: Sie sollten warten, bis der gute Moment kommt.
Janine: Geniessen.
Was fällt euch zum Stichwort «Zaubertrank» ein?
Nina: Den kann man nehmen oder nicht nehmen.
Eliane: Asterix und Obelix.
Janine: Wie bist du darauf gekommen?
Wegen der Wirkung der Musik. Und weil eure Musik keinem Trend entspricht. Vielleicht habt ihr Eltern mit einer unglaublichen Krautrock- und Psychedelic-Rock-Plattensammlung, die euch wie ein Zaubertrank geprägt hat.
Sophie: Wir sind in das Fass mit dem Äther gefallen.
Eliane: Ich glaube, unser Musikstil ist ganz natürlich entstanden. Zwei von uns mussten erstmal ihre Instrumente lernen. Ich habe erst im Zusammenhang mit der Band angefangen Schlagzeug zu spielen. Das Repetitive ist aus einer pragmatischen Herangehensweise entstanden.
Nina: Der Zaubertrank bestand aus vielen Desperados vom Chäsegge in Wipkingen.
Janine: Muscat.
Nina: Ja, inzwischen haben wir die Qualität gesteigert: Wir sind vom Desperados zum Muscato gekommen.
Juliette: Dass wir heute Bier trinken, ist nur ein Versehen.
Also keine Plattensammlung?
Juliette: Mein Vater hat schon eine crazy Plattensammlung—aber alles klassisch.
Eliane: Meiner hat DRS 1 gehört, glaubs.
Nina: Ich glaube, wir haben alle mega verschiedene musikalische Backgrounds. Wir bringen das alle irgendwie mit ein. Das macht’s irgendwie auch ein bisschen aus.
Juliette: Das Ding ist halt: Wir haben alle früher Musik gemacht. So wie man als Kind halt Musik macht. Und irgendwann hört man halt auf, weil man sich den Unterricht nicht mehr leisten kann oder weil’s doch nicht so Spass macht. Irgendwann kam dann der Punkt, an dem wir gedacht haben: Hey, scheisse! Wir haben mega Lust zum Musikmachen. Dann haben wir uns einen Bandraum gesucht und angefangen zu jammen.
Nina: Ohne den Anspruch eine Band zu sein.
Sophie: Zeit verbringen miteinander, das stand im Vordergrund. Musik hören.
Was habt ihr so gemeinsam gehört?
Juliette: Alles Mögliche: Frank Zappa, Spacemen 3, Velvet Underground.
Nina: Wir sind sehr viel da rumgehangen, haben Musik gehört, geraucht und getrunken.
Janine: Dann sind wir plötzlich Streber geworden.
Sophie: Aber ich glaube, ein wichtiger Punkt ist: Unsere Musik funktioniert nur, wenn wir einander spüren auf der Bühne. So entwickeln sich auch unsere Songs. Es braucht viel Zeit und viel Energie von jedem von uns.
Juliette: Ja, wir machen ja nicht wirklich Songs. Sondern es ist mehr so… Ja, mit dem Zaubertrank bist du vielleicht gar nicht weit weg gewesen davon. Es ist ein Reinfallen. Wir bauen eine Energie auf. Unsere Songs haben simple Strukturen. Es geht überhaupt nicht darum, etwas Hochstehendes zu bieten. Es geht mehr um den Flash.
Sophie: Und es ist auch nie darum gegangen, etwas zu reproduzieren.
Juliette: Das wäre auch gar nicht gegangen. Das hätten wir gar nicht geschafft. Wir können nur diese Musik spielen, nichts Anderes.
Inzwischen ist es spät geworden, das Bier ist leer, die Kälte allen in die Glieder gefahren. “Hast du noch mehr Fragen oder können wir gehen?”, fragt Schlagzeugerin Eliane, längst zappelig geworden. Auf das Debütalbum aus dem letzten Jahr soll im Februar eine neue Platte folgen, erzählt Nina noch. Dann löst sich die Gruppe auf, geht gestaffelt zurück in die Bar, Nachschub holen, Freunde begrüssen, den Moment geniessen.
Das Debütalbum von ZAYK kannst du hier beziehen.
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