Der Rapper Bushido inmitten von diskriminierenden Wörtern, die er in seinen Songs verwendet
Collage: VICE || Bushido: imago | suedraumfoto

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"Bist du behindert?!": Wie ich trotz Deutschrap zur Feministin wurde

Battlerap hat mir ein Ventil für meine Teenager-Wut gegeben. Heute weiß ich, was Sprache anrichten kann.

Irgendwann vor ein paar Wochen: Ich scrolle durch meine Mentions auf Twitter. Likes, Retweets, Zustimmung, Beleidigungen. Standard. Dann stocke ich. Einer dieser gesichtslosen "Das wird man doch wohl noch fragen dürfen"-Accounts hat mir geschrieben. Er hat einen acht Jahre alten Tweet von mir ausgegraben, in dem ich einen Bekannten im Streit als "Schwuchtel" bezeichnet habe – für mich damals eine drastischere Alternative zu "du Arschloch!". Die Intention des Twitter-Nutzers ist klar, er will mir Doppelmoral unterstellen. Wie kann ich, die sich als Journalistin und Privatperson feministisch positioniert, mal derart diskriminierende Sprache verwendet haben? Das Internet vergisst nicht. Auch nicht die Dinge, die man ins Netz getippt hat, als die Reichweite der eigenen Social-Media-Profile nicht über den engsten Freundeskreis hinausging.

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Ich bin nicht die einzige semi-öffentliche Person, die er mit alten Tweets konfrontiert. Die Aktion trifft mich trotzdem. "Hat er Recht?", frage ich mich. Muss ich mich Zeit meines Lebens korrekt verhalten haben, um mich als Feministin bezeichnen zu dürfen? Habe ich überhaupt das Recht, mich gegen Diskriminierung zu positionieren, wenn ich selbst mal diskriminiert habe – und sei es auch unabsichtlich?

Also tue ich etwas, was ich normalerweise nicht tue, wenn anonyme Troll-Accounts mich online in Diskussionen verwickeln wollen: Ich antworte. Ich mache deutlich, dass die Aussage dämlich ist und ich froh darüber bin, in den letzten acht Jahren eine sprachliche Entwicklung durchgemacht zu haben. Dann lösche ich den alten Tweet. Er würde mir verzeihen, erklärt der Troll großmütig, aber ob das die feministische Twitterblase auch so sehe? Sicherheitshalber fügt er einen Archivlink zum gelöschten Tweet an. Ich habe für den Rest des Tages Magenschmerzen.

Jahrelang war es für mich das Normalste der Welt, Worte wie "behindert", "schwul" oder "Schwuchtel" zu verwenden. Mein Umfeld hörte Deutschrap, fühlte sich von der Mitte der Gesellschaft missverstanden und war größtenteils broke. Wir schmuggelten Drei-Euro-Sektflaschen ins Sushi-Restaurant, weil wir uns die Drinks nicht leisten konnten und hatten, dachten wir, so gar nichts gemein mit den Leuten, die Revolverheld hörten oder auf Ersti-Partys abhingen. Wir waren anders; direkter, ehrlicher, lauter. Wir sonnten uns in den entsetzten Blicken der Kulturwissenschaftsstudenten, wenn wir uneingeladen auf WG-Partys auftauchten, den YouTube-DJ vom MacBook vertrieben und Bassboxxx auflegten.

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Wir wollten gar nicht dazugehören zu den Einser-Studenten mit der reinen Haut, die noch nie einen BAföG-Antrag ausfüllen mussten. Und diese pseudo-rebellische, aus heutiger Sicht ziemlich peinliche Antihaltung spiegelte sich auch darin wider, wie wir sprachen. Wie ich gesprochen habe. "Behindert", "Schwuchtel" – es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, Personen mit Behinderungen oder homosexuelle Menschen bewusst abzuwerten. Für mich waren das einfach nur Worte, die man Menschen entgegenschleudert, die einem blöd kamen. "Bist du be-HINDERT, Alter?!" klang schon phonetisch ganz anders als "Was ist denn mit dir los?". Wütender, roher. "Schwuchteln" waren die Leute, die schwach waren, die man unter sich sehen wollte. Und ein langgezogenes "schwuuuul" half dabei, romantische, emotionale Momente ironisch aufzulösen und als albern abzutun. Bloß keine Gefühle zeigen. Es gab irgendwann sogar ein "lustiges" Meme dazu!

Diskriminierung? Die meinen das doch gar nicht so!

2005 bin ich 16 Jahre alt. Meine jugendliche Rebellion, meine Wut gegen dieses ungerechte Scheißleben, das in meinen Augen immer nur mich benachteiligt, hat in Deutschrap ein angemessen radikales Ventil gefunden. Vom Bordstein bis zur Skyline ist mein Lieblingsalbum. Auf "Berlin" rappt Bushido: "Berlin wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel" und "Es ist ganz normal, Männer lutschen keine Schwänze". Laut mitrappen will ich das nicht unbedingt, der Song läuft trotzdem auf Repeat. Ich erzähle jedem, der es hören will, dass das fantastische Sample im Song aus einer Anime-Serie stammt, die ich damals nachts auf MTV geguckt habe, wenn meine Eltern schon im Bett lagen. Darüber, was in "Berlin" gesagt wird, spreche ich mit niemandem. Zumindest nicht lange. Ist doch alles nicht so gemeint. Ist doch HipHop.


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Als Farid Bang 2014 beim Jugendsender Joiz darauf angesprochen wird, ob es wirklich nötig sei, Wörter wie "Schwuchtel" in seinen Texten zu verwenden, antwortet er: "Ich glaube nicht, dass jeder, der das Wort Schwuchtel sagt, gegen Homosexuelle hetzen möchte. Das ist einfach ein Wort, das sich in die deutsche Sprache eingegliedert hat." Natürlich sei es Scheiße, "Schwuchtel" zu sagen, aber verantwortlich gemacht werden möchte er dafür dann doch nicht. Alle anderen sagen es ja auch. Die Kritik prallt ab, der Interviewer gibt schließlich auf.

Irgendwann vor zehn Jahren: Zwei Berliner Rapper stehen in der Redaktion, in der ich damals gearbeitet habe, und warten auf meinen Chef. Ich muss sie enttäuschen, er musste spontan zu einem Termin. "Wie? Wir wussten nicht, dass eine Frau das Interview macht", sagt einer der beiden. Ich verbringe also die erste halbe Stunde unseres Gesprächs damit, die Wogen zu glätten. Zu zeigen, dass ich Ahnung von Rap habe, dass ich keine soften Fragen stelle, dass ich mich nicht einschüchtern lasse. Bei der Verabschiedung erklärt einer von ihnen: "Du bist cool." Wenn ich Probleme in Kreuzberg haben sollte, könne ich mich bei ihnen melden. Ich bin stolz und fühle mich stark. Ich habe mir Respekt erkämpft, obwohl ich eine Frau bin. Ich weigere mich, meine Herabwürdigung als Herabwürdigung zu begreifen und dementsprechend zu reagieren. Wer damit nicht umgehen, wer sich gegen Vorurteile und Herabschätzung nicht durchsetzen kann, der ist eben nicht stark genug, rede ich mir ein. Ein Opfer eben. Und es gibt im Rap-Kontext wenig Schlimmeres, als ein Opfer zu sein.

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Wer erst mal verinnerlicht hat, dass man Dinge auf gar keinen Fall persönlich nehmen darf, dass es immer irgendeine imaginierte Zwischenebene geben muss, die alles relativiert, der kommt schnell an einen Punkt, an dem Worte nichts mehr bedeuten. Ja, klar war das eine Zeile, die mir das Existenzrecht als Person abspricht, aber das ist halt Battlerap! Natürlich sind Sexismus und Schwulenhass scheiße, aber der Künstler hat das bestimmt nicht so wörtlich gemeint. Wenn es mich nicht angreift, weil ich mir in den letzten Jahren erfolgreich eingeredet habe, dass man mit diesen Dingen eben einfach irgendwie umgehen muss, dann darf sich auch sonst niemand angesprochen fühlen. Ist doch alles Kunst! Und auf der Seite der Außenstehenden, die von ganz weit weg Deutschrap kritisierten und der ganzen Subkultur ihre Berechtigung absprachen, wollte ja auch keiner stehen. Ich musste "meine" Kultur so regelmäßig nach außen verteidigen, dass es mir irgendwann gar nicht mehr auffiel, wie sehr ich mich selbst belog.

Irgendwann mochte ich selbst nicht mehr, wer ich war und was ich verteidigte

Die Erkenntnis kam langsam. Und erst dann, als sich im Studium mein Bekanntenkreis und mein Horizont erweiterten. Ich hatte meinen Job bei rap.de gekündigt – aus finanziellen Gründen, aber auch, weil ich nach zwei Jahren langsam müde wurde, immer und immer wieder aufs Neue beweisen zu müssen, dass ich mir meinen Platz als Redakteurin verdient hatte. Dass ich meinen Job gut machte. Obwohl ich eine Frau war. Plötzlich saß ich also zwischen den Personen, mit denen ich früher auf Privatpartys kein Wort gewechselt hätte. Leuten, die sich jeden Tag eine Brotbox mit Apfelschnitzen mit in die Hochschule nahmen. Wenn ich mit denen darüber sprach, wofür ich mich interessierte, kam ich in Erklärungsnot. Und merkte durch die Distanz zur Deutschrapszene plötzlich, womit ich mich eigentlich noch nie so richtig wohlgefühlt hatte. Einen großen Erweckungsmoment gab es nicht, ich hatte einfach nur zum ersten Mal seit Jahren das Gefühl, dass ich nicht mehr mochte, wer ich war und was ich da die ganze Zeit verteidigte.

Ich beschäftigte mich intensiver damit, was ich sage und wie ich es sage. Ich versuchte, zuzuhören und nicht vorn vornherein davon auszugehen, dass meine Einschätzung einer Situation die richtige war. Vor allem aber arbeitete ich daran, meine jahrelang angelernten Sprachmuster zu durchbrechen. Bis heute. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal "Schwuchtel" gesagt habe, um jemanden zu beleidigen. Aber ich weiß, dass ich mir immer und immer wieder auf die Zunge beißen muss, um in Streitgesprächen nicht auf das Wort "behindert" zurückzugreifen. Passiert es mir doch, ist es mir unendlich peinlich.

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März 2016. Ich sitze für ein YouTube-Format an einer Bar und trinke Pesto-Schnaps und Wein. Zusammen mit zwei Bekannten diskutiere und lache ich, zwischenzeitlich wird es etwas hitziger, aber nie unfreundlich. Irgendwann sage ich ein Wort, das mir so selbstverständlich entschlüpft, als hätte es die letzten Jahre der inneren Reife in meinem Leben gar nicht gegeben. Ich sage "behindert", als negative Zuschreibung. Die Gastgeberin, entspannt, locker, aber kein klassischer Battlerap-Fan, korrigiert mich sofort. Ich schäme mich. Für diese Automatismen, die ich mir nach wie vor nicht vollständig abtrainiert habe. Vor allem aber für mich selbst.

Meine Befindlichkeiten und sprachlichen Gewohnheiten sind nicht wichtiger als die ganz realen Traumata und Gewalterfahrungen anderer Menschen. Warum also zwanghaft darauf bestehen, bestimmte Dinge sagen zu dürfen, wenn sie doch sowieso nur Synonyme für etwas ganz anderes sein sollen? Der deutsche Wortschatz umfasst angeblich 5,3 Millionen Wörter – warum sich nicht einfach einen Begriff suchen, der nicht Personengruppen diskriminiert?

Nachdem mich Twitter dazu zwang, mich mit Teilen meiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, auf die ich weniger stolz bin, suche ich das Gespräch mit Freundinnen, die ich seit zehn Jahren kenne. Sie sind froh, dass niemand ihre alten Posts rausgesucht hat. Der Großteil von uns bezeichnet sich heute als Feministin, der Großteil von uns kann Songs wie Savas' "LMS" oder "Hoes, Flows, Moneytoes" von Westberlin Maskulin nicht mehr unkritisch als maximal radikale Provokationskunst feiern. Würden Huss und Hodn jetzt ein Album herausbringen, würden wir über Lines wie "bisschen schwul, wie viel Schmuck du trägst, aber schön" wahrscheinlich nicht mehr lachen.

Ich höre immer noch Deutschrap. Deutlich kritischer, klar. Aber zu behaupten, auf meinem Telefon liefen nur Songs mit diskriminierungsfreier Sprache, wäre gelogen. Manchmal steht für mich Kunst immer noch über Aussage – einer der besten Deutschrap-Songs der letzten Jahre ist für mich "Optimal" von Gzuz. Früher habe ich jede Forderung nach Selbstreflexion als einen Angriff auf meine Identität gewertet. Heute erkenne ich Teile meines früheren Ichs in den Leuten wieder, die sich aktuell über Political Correctness beschweren. Über eine vermeintliche Überkorrektheit, die angeblich jedes Wort auf die Goldwaage legt und einem jede Freude an schwarzem Humor und Battlerap nehmen will. Mit 18, 19, 20 hätte ich das noch mitgetragen, die Deutschrap-Generation nach mir ist anders.

Die sind laut, die setzen sich kritisch mit Geschlechterbildern und Hass gegen Minderheiten auseinander. Nicht alle, aber viele. Die wissen, dass im Zweifelsfall die ganze Welt mitliest, wenn man etwas ins Internet schreibt. Es gibt einen Diskurs um zweifelhafte Inhalte, ohne die Kunstform an sich abwerten zu wollen. In Sachen Sensibilität gegenüber homofeindlicher, rassistischer und sexistischer Sprache, gerade im Deutschrap, ist noch ordentlich Luft nach oben. Aber: The kids are alright.

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