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Interview

Wir haben The Mulholland Free Clinic auf die Psycho-Couch gebeten

Die Supergroup aus Move D, Juju & Jordash und Jonah Sharp ließ mich tief in das Seelenleben eines Musikers und DJs blicken.

Alle Fotos: Tereza Mundilova

Sonntagabend. Tatort: das ://about blank. Nachdem ich an der vermutlich coolsten Türsteherin Berlins vorbei in Richtung Garten gehe, sehe ich eine Armada elektronischer Geräte. Dahinter stehen vier Typen und drehen immer wieder an den Knöpfen dieser Apparate. Mich verwirrt schon die bloße Anzahl der Kabel. Aber diese vier Typen, die sind Profis, umtriebige Profis: Move D, Juju, Jordash und Jonah Sharp produzieren seit Jahren Musik, unter anderem in Projekten wie rEAGENZ, Magic Mountain High und Juju & Jordash. Alle zusammen nennen sich The Mulholland Free Clinic und sie spielen an diesem Sonntag eines ihrer wenigen Live-Sets. Über dreieinhalb Stunden improvisieren sie an ihren Geräten Bass, Melodien, Beats und Drums. Zu viert.

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Ich frage mich: Gibt es bei so vielen Leuten nicht massig Konfliktpotenzial? Wie sieht die Psychologie einer Band aus? Wie gehen sie mit dem Druck von außen und dem permanenten Touren um? Nicht wenige DJs und Produzenten haben schließlich zuletzt gesundheitliche Probleme mit ihrem beruflichen Lifestyle öffentlich gemacht. Und was ist bitte eine Free Clinic? Das hat doch auch was mit Psyche und Drogen zu tun, wenn ich mich recht entsinne.

Als ich die vier nach ihrem Gig zwecks Interview Richtung Backstage begleite, ist ihre Erschöpfung offenkundig. Drei von vier essen einen Dürüm, während sie im Sofa versinken. Der Promoter kommt kurz rein und vermeldet, dass heute bereits einige Exemplare des zwei Tage zuvor erschienen selbstbetitelten Debütalbums von The Mulholland Free Clinic verkauft wurden. Nachdem ein bisschen Ruhe im Backstage einkehrt, bitte ich das Quartett zum Gespräch.


Wien kann sich noch ein paar Dinge von Berliner Clubs abschauen:


Noisey: Eigentlich ist es eine typische Frage, aber in eurem Fall muss ich sie stellen: Woher kommt euer Name? Setzt er sich aus dem David-Lynch-Film Mulholland Drive und den sogenannten Free Clincs zusammen, die mittellose Leute medizinisch behandeln?

Jordash: Das hat sich alles David [Move D] ausgedacht, als wir den Mulholland Drive runtergefahren sind. David?
Jonah Sharp: Der Name ist toll. Wie bist du darauf gekommen, David?
Move D: [Kommt grad mit seinem Dürüm rein] Ich weiß es nicht. Ich liebe John Malkovich, ich liebe den Film Mulholland Drive und wir haben Festivals in Malibu gespielt, bei denen wir den Mulholland Drive runtergefahren sind. Die Free Clinic in unserem Namen ist aber vermutlich interessanter.

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Darüber wollte ich mit euch reden.
Move D: Als ich in Heidelberg aufgewachsen bin, gab es eine Free Clinic. Als ich klein war, habe ich nicht verstanden, was das ist. Später habe ich dann begriffen, dass dort Ärzte Drogenabhängige kostenlos behandeln, aber auch Feste und kulturelle Veranstaltungen stattfinden. Das war eine tolle Sache.
Jonah Sharp: Es gibt eine Free Clinic in Haight Ashbury, North California.
Move D: Ich glaube, unsere in Heidelberg wurde durch die inspiriert.
Jonah Sharp: Die in Haight Ashbury arbeitet auch mit Musik-Therapien.

Was für eine Klinik ist die Mulholland Free Clinic?
Move D: Sie gibt dir, was immer du brauchst.
Jonah Sharp: Sie ist auch Musik-Therapie.
Move D: Der Name ist auch selbstironisch. Jeder kann darin sehen, was er möchte.

In eine Klinik gehen Menschen ja nicht nur aufgrund physischer, sondern auch psychischer Leiden. Wie haltet ihr als Musiker und DJs euch mental gesund?
Move D: Für mich ist es sehr einfach, ich habe ein Baby, das zwölf Wochen alt ist. Das rückt alles wieder zurecht, wenn ich nach Hause komme. Mein Job als DJ macht mir auch Spaß. Solange ich nicht auf einer richtig lahmen Party spiele, ist es nicht wirklich Arbeit für mich oder kommt mir zumindest nicht so vor. Manchmal ist es lästig, zu verreisen.
Jordash: Keiner von uns ist mental wirklich stabil.

Hat das spezifisch mit der Szene zu tun, in der ihr arbeitet?
Jordash: Ich glaube, das ist auch in anderen Bereichen so. In der elektronischen Szene ist es vermutlich sichtbarer als in anderen Jobs, weil mehr Drogen genommen werden, die die Dämonen der jeweiligen Person hervorholen. Aber jeder hat irgendwie einen Knacks.
Move D: Ich weiß nicht, ich bin schon geistig gesund.
Jordash: Bist du nicht, du drehst manchmal auch durch.
Move D: Manchmal vielleicht, das stimmt. Als wir dieses Wochenende in unserem Hotel ankamen, gab es wieder ein Problem mit meinem Zimmer, wie schon beim letzten Mal. Da wird man schon dünnhäutig. Aber das ist doch normal, oder?
Jordash: Das mein ich doch. Jeder ist so.
Move D: Aber ich würde nicht sagen, dass unsere Arbeit als Mulholland Free Clinic uns zusätzlich stresst. Im Gegenteil, es ist eine Entlastung.
Jordash: Ich bin sehr gestresst davon. Ich habe kein Lampenfieber, aber es ist stressig, zehn Stunden zu improvisieren.
Move D: Aber niemand zwingt dich, das zu tun.
Jordash: Das habe ich auch nicht behauptet. Aber er hat doch nach psychischer Gesundheit und Kliniken gefragt.

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The Mulholland Free Clinic bei ihrem Live-Set im about blank am 6. Mai

"Zu Beginn war diese Montagsdepression mehr: 'Oh, das Wochenende ist vorbei, jetzt muss ich wieder bis Freitag warten, um weiter Party zu machen." Jetzt ist es so: "Fuck, es ist Montag, ich bin total im Arsch und muss so viele Sachen machen.'" - Move D

Es gibt auch DJs, die eine Pause eingelegt haben, weil sie psychisch erkrankt sind. Zuletzt Ben Pearce, aufgrund von Depressionen.
Jordash: Ich denke, wenn du jedes Wochenende spielst und diese typischen Feiersachen mit Drogen und Alkohol mitmachst, landest du zwangsläufig in Depressionen. Ohne Frage.

Das heißt, ihr versucht da eine Grenze zu ziehen?
Jordash: Wir trinken relativ wenig und versuchen einfach, alles in einem gewissen Maß zu halten. Das hilft schon.
Move D: Aber trotzdem kennen wir alle diese Montagsdepression.
[Alle stimmen zu]
Jordash: Ja, die nervt wirklich.
Move D: Ich glaube zu Beginn war diese Montagsdepression mehr: "Oh, das Wochenende ist vorbei, jetzt muss ich wieder bis Freitag warten, um weiter Party zu machen." Jetzt ist es so: "Fuck, es ist Montag, ich bin total im Arsch und muss so viele Sachen machen." Das ist manchmal etwas erdrückend.
Jonah Sharp: Aber jetzt hast du doch ein Baby.
Move D: Ja, aber das Finanzamt nimmt keine Rücksicht auf das Baby.

Wie ist es, wenn ihr zusammen unterwegs seid?
Move D: Zu viert macht es viel Spaß. Heute war erst unser fünfter Gig, es ist alles noch nicht zu sehr Routine geworden. Zusammen ist es einfach besser und…
Juju: Weniger Arbeit für jeden?
Move D: Ja, aber gleichzeitig auch mehr Arbeit.
Jordash: Man muss einfach konzentrierter sein.
Move D: Auf der sozialen Ebene ist es zu viert weniger Arbeit. Zu dritt ist es oft so, dass zwei Leute eine Mehrheit bilden und der andere immer das Nachsehen hat. Das kann eine schlechte Dynamik entwickeln. Bei vier Leuten kann man sich auch mal aufteilen in zwei Gruppen und verschiedene Dinge unternehmen.
Jonah Sharp: Es ist symmetrischer.

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"Für mich ist unser spontaner Ansatz eine Möglichkeit, auf mich zu selbst zu blicken. Was fällt mir in dem Moment für ein Sound ein? Wonach fühle ich mich?" - Jonah Sharp

Wie ist es, wenn ihr zu viert euer Set spielt? Ist es mehr oder weniger Arbeit?
Move D: Das ist viel mehr Arbeit, du musst viel konzentrierter sein, wenn du live so spielst, wie wir es tun. Als DJ kannst du einfach mal eine Platte raussuchen, die auf jeden Fall funktioniert und dir sieben Minuten Zeit verschafft, um zu überlegen. Aber mit The Mulholland Free Clinic ist es Non-Stop Arbeit. Wenn wir so lange spielen wie heute, würde ich mir manchmal wünschen, dass wir uns freier von diesem Druck machen.
Jordash: Ich musste mich heute sogar 20 Minuten hinsetzen, weil es so intensiv war.
Jonah Sharp: Bei uns ist ja alles improvisiert, das ist ein wichtiger Punkt. Wir sind frei, in dem was wir tun können bei einem Set. Heute haben wir zum Beispiel den Soundcheck übersprungen und einfach die Geräte angemacht und losgelegt. Viele Leute fragen mich aber hinterher immer wieder: Wie hast du dieses oder jenes Gerät programmiert? Wie habt ihr das ohne Laptop hinbekommen? Ich habe es aber immer gehasst, eine Woche vor einem Gig schon darüber nachzudenken, was ich spielen werden und wie es genau klingen soll.

Ihr programmiert also vorher gar nichts?
Jonah Sharp: Genau. Wenn wir vier zusammenkommen, wollen wir experimentieren. Für mich ist dieser Ansatz eine Möglichkeit, auf mich zu selbst zu blicken. Was fällt mir in dem Moment für ein Sound ein? Wonach fühle ich mich? Das ist nichts, das man vorher planen kann. Es ist sehr instinktiv. Und dadurch kann diese berühmte Magie entstehen.

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Gab es schon Momente, in denen einer von euch auf den anderen sauer war, weil er irgendwas komisches gespielt hat?
Alle zusammen: Natürlich!

Besprecht ihr sowas dann auch hinterher?
Jordash: Wir nehmen sowieso immer alles auf, um aus verschiedenen Parts dann Tracks zu bauen, wie bei unserem Album. Und dann hören wir uns auch die schwierigen Stellen noch mal an.
Move D: Wenn sich jemand während des Sets verspielt, nehmen wir das oft unterschiedlich wahr. Manchmal denkt man: Das war mies! Aber hinterher hört man noch mal rein und merkt, dass es gar nicht mies war. Aber manchmal ist es auch umgekehrt. (Lacht)
Jonah Sharp: Die Aufnahme lügt nicht.
Move D: Wenn ein Gig nicht so gut besucht ist, denkt man schnell, dass man irgendwas falsch gespielt hat, das muss aber nicht so sein.

Letzte Frage: Ein Kollege ist der Meinung, noch nie ein gutes Live-Set gehört zu haben. Hat er Recht?
Jonah Sharp: Es gibt gute Live-Sets. Wenn ich jemanden sehe, der live eine Drum Machine oder eine 303 spielt, wie Richie Hawtin zum Beispiel in den 90ern – das ist inspirierend. Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung, wie schwierig es ist, sowas alleine zu machen. Klar, du kannst auch drei Monate lang einen Track machen und ihn dann live mit einem Laptop präsentieren…
Move D: Aber das ist dann meistens eher scheiße.
Jonah Sharp: Du kannst aber auch auf die Bühne gehen und komplett neu anfangen und das Publikum mit dieser Spontanität begeistern. Das wollen wir erreichen.
Move D: Die Momente, in denen es nicht gut klingt, gehören dabei dazu. Das Problem ist natürlich, dass sich die Möglichkeit solcher Momente mit der Anzahl der Bandmitglieder multipliziert und es potenziell viel mehr Kombinationen gibt, etwas zu verkacken. [Alle lachen]
Jordash: Die meisten Live-Sets – ich generalisiere jetzt – wirken etwas langweilig, weil nicht viel gemacht wird. In der Regel spielt jemand einfach die Tracks, die er vorher aufgenommen hat, und lässt die Spuren laufen.
Move D: Es sind wahrscheinlich 70 bis 80 Prozent, die das so machen.
Jordash: Wir haben da einen anderen Ansatz. Im Prinzip sind wir wie eine Free-Jazz-Band, die Leute zum Tanzen bringen will. Aber wir sind trotzdem nicht Avantgarde, wir haben nur ein paar philosophische Elemente adaptiert.

Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.

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