Nahkampf, Sprengstoffkunde, Kinderhüten: die Security Nannys von Wien
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Verbrechen

Nahkampf, Sprengstoffkunde, Kinderhüten: die Security Nannys von Wien

Corinna und ihre Kolleginnen bringen Kinder in die Schule oder gehen mit ihnen in den Park—allerdings bewaffnet. Wir haben sie getroffen.

Sieht man die zierliche, blonde und freundliche Corinna bei der Arbeit, wirkt sie wahrscheinlich wie ein ganz normales Kindermädchen. Sie bringt Kinder zur Schule und holt sie wieder ab, verbringt viel Zeit mit ihnen und kümmert sich um sie, wenn die Eltern keine Zeit haben. Sie weiß aber auch, wie man ein Kind im Ernstfall schnellstmöglich aus einer gefährlichen Situation bringt, ist unter anderem in Sprengstoffkunde und Terrorismusbekämpfung ausgebildet und trägt manchmal, wenn es die Situation verlangt, eine Waffe mit sich.

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Corinna heißt eigentlich Ulrike S. und arbeitet unter ihrem Decknamen als Security Nanny bei der Firma Campus Security in Wien. Security Nannys sind dazu da, Kinder, die sich in potenziellen Gefahrensituationen befinden, zu schützen und zu bewachen—oftmals, ohne dass die Kinder selbst davon wissen. Wir haben Corinna und Franz Wulz, den Geschäftsführer der Firma, in ihrem Büro in Wien getroffen und mit ihnen über diesen außergewöhnlichen Job, den Alltag und die Ausbildung einer Security Nanny gesprochen.

Broadly: Wie kann man sich den Alltag einer Security Nanny vorstellen?
Corinna: In erster Linie bin ich aus der Sicht der Kinder mehr Nanny als Security. Die Standardfälle, mit denen ich zu tun habe, sehen ungefähr so aus: Irgendeine Familie wird bedroht, die Eltern haben Angst um die Kinder und ich bringe die Kinder dann zur Schule, zu anderen Terminen und übernehme die ganze Logistik. Ich schaue einfach, dass die Kinder geschützt sind. Es kommt natürlich auch vor, dass man mit den Kindern in den Park geht und ganz normale „Nanny-Dinge" erledigt. Oft haben die Kinder, für die ich zuständig bin, für zu Hause eine „normale" Nanny und ich bin dann gefragt, sobald sie das Haus verlassen. Ich schütze oft nur im Außenbereich.

Und wie sieht die Ausbildung konkret aus?
Franz: Die pädagogische Ausbildung muss man schon mitbringen, wenn man sich bei uns bewirbt.
Corinna: Dann bekommt man als Nanny die gleiche Grundausbildung wie ein Personenschützer. Die Ausbildung beinhaltet zum Beispiel Nahkampf, rechtliche Grundlagen, Waffenkunde, Sprengstoffkunde, Drilltraining—in Theorie und Praxis. Was dann bei mir als Security Nanny noch dazu kommt, ist, dass man sonst als Personenschützer eher Abstand zur Schutzperson wahrt und das bei den Kindern, die ich schütze, nicht der Fall ist. Da geht es darum, Vertrauen aufzubauen, damit die Kinder sich beschützt fühlen, ohne dass sie eine Waffe sehen oder überhaupt wissen, dass sie beschützt werden müssen. Da muss man einfach den richtigen Draht zu ihnen finden und ein Kind hört auf nur auf einen, wenn man mit dem Kind kann. Man muss ein Gespür für Kinder haben, darum ist der pädagogische Teil auch Grundvoraussetzung für jede Security Nanny. Natürlich muss man auch damit leben, dass es immer wieder Abschiede gibt. Unsere Aufträge gehen meistens über ein paar Wochen und da lernt man die Kinder schon kennen.

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Welche Voraussetzungen muss man als Security Nanny grundsätzlich erfüllen?
Franz: Bei uns ist es so, dass man ein Auswahlverfahren durchläuft. Es gibt einen Eingangstest, bei dem es zum Beispiel um logisches Denken, Allgemeinwissen und Grundrechenarten geht. Man muss auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens kennen. Der zweite Teil bezieht sich auf das Körperliche: Bei Eintritt muss man 2.500 Meter in unter 14 Minuten laufen, mindestens 20 Liegestütze und mindestens zwei Klimmzüge machen können und ein Zirkeltraining mit Punktesystem absolvieren. Die Voraussetzungen für Männer und Frauen sind weitestgehend gleich, nur das Punktesystem ist ein bisschen anders. Der Hintergrund dieser Ausbildung ist, dass man sich in einem Worst-Case-Szenario zum Beispiel über eine Gebäudekante ziehen können muss. Und wenn ich keinen Klimmzug kann, schaffe ich das nicht. Dann darf natürlich keine Waffeneinschränkung gegeben sein, ein unbescholtener Leumund und eine positive Sicherheitsabfrage sind auch Voraussetzung. Wir überprüfen nicht nur das, was strafrechtlich relevant ist, sondern schauen uns zum Beispiel auch Finanzdaten an. Wenn jemand beispielsweise massive Steuerschulden hat, ist er für uns nicht im Personenschutz tragbar. Dann muss man natürlich auch ein bisschen Lebenserfahrung mitbringen, sonst wird man von einer Familie nur schwer gebucht oder akzeptiert. Das heißt, Security Nannys beginnen in der Regel so ab 28 Jahren.

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Ich habe gelesen, dass auch ein unauffälliges Äußeres zu den Voraussetzungen einer Security Nanny zählt. Was heißt das genau?
Corinna: Da geht es darum, dass viele Eltern nicht wollen, dass der Personenschutz ihrer Kinder sichtlich als Security erkennbar ist. Das Äußere wird dann daran angepasst, wie sich eine Nanny in dem jeweiligen Umfeld kleiden würde—je nachdem, wie die betreffende Familie situiert ist.
Franz: Wir merken auch, dass die Nachfrage nach Personenschützerinnen generell steigt. Viele wollen sich einfach nicht die Blöße geben, ganz offensichtlich einen Security dabei zu haben.

Gibt es auch konkrete Anforderungen, wie das Aussehen zu sein hat? Sind zum Beispiel Tattoos erlaubt?
Franz: Generell sollten unsere Nannys keine Tattoos auf den Händen oder am Hals haben. Es wird dann nämlich oft schwer, die Person zu vermitteln. In dem Klientel, in dem wir uns zum großen Teil bewegen—außer es wäre mal ein Rockstar dabei, dem das egal ist—, müssen wir da leider schon drauf schauen. Solange man die Tattoos gegebenenfalls mit Kleidung abdecken kann, wäre das für uns aber gar kein Problem. Viele Mütter, aus gehobeneren Kreisen zum Beispiel, können mit sowas halt oft gar nicht umgehen. Ansonsten ist schrilles Aussehen kein Problem—feuerrote Haare oder so wären bei einer Nanny egal.

Wirken sich dein Job und deine Skills auch auf dein Privatleben aus? Wie reagieren zum Beispiel Männer, wenn sie hören, was du machst und drauf hast?
Corinna: Viele sind natürlich überrascht und erstaunt. Eingeschüchtert habe ich damit noch niemanden—oder sie haben es sich nicht anmerken lassen. Ich glaube, dass es eher beeindruckt, weil es für die meisten einfach völlig unerwartet kommt. Mein Job hat sich aber noch nie negativ auf mein Privatleben ausgewirkt.

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Wie kann man sich das Klientel von Security Nannys vorstellen?
Corinna: Ich weiß, dass man erst einmal denkt, dass vor allem Personen aus eher gehobeneren Kreisen diese Dienstleistung in Anspruch nehmen. Natürlich gehören diese Personen auch zu unseren Kunden, aber nicht ausschließlich. Wir haben auch Scheidungssituationen, in denen sich eine Mutter an uns wendet, weil sie Angst hat, dass der Vater mit dem Kind abhaut. Dann ist die Mutter vielleicht selbst berufstätig und kann ihr Kind auch nicht auf Schritt und Tritt bewachen.

Und wer sind dann die Kunden aus gehobeneren Kreisen?
Corinna: Das sind dann Personen aus der Geschäftswelt, Vorstandsmitglieder oder hohe Tiere in Banken. Leute mit sehr hohen Stellungen oder Politiker haben oft schon ihre eigenen Securitys, da kann es dann sein, dass wir unterstützend hinzugezogen werden.

Bist du bei der Arbeit auch bewaffnet?
Corinna: Das kommt ganz auf die Gefahrenlage an. Der Regelfall ist es natürlich nicht, aber es kann vorkommen. Vorher wird mit dem Kunden abgeklärt, wie die Bedrohung konkret aussieht, ob schon eine Körperverletzung oder Sachbeschädigung passiert ist, oder ein Schreiben gekommen ist, aufgrund dessen jetzt Nervosität herrscht. Die Waffe habe ich in einer unauffälligen Gürteltasche dabei, damit das Kind nicht in Panik gerät.

Auf welche Worst-Case-Szenarien bist du vorbereitet?
Corinna: Grundsätzlich natürlich auf alles. Es gibt Situationen, auf die man sich nicht vorbereiten kann, aber das Wichtige ist, dass ich dann aufgrund meiner Ausbildung weiß, wie ich reagieren muss und meine Schutzperson in Sicherheit bringen kann.

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Man muss Vertrauen aufbauen, damit die Kinder sich beschützt fühlen, ohne dass sie eine Waffe sehen oder überhaupt wissen, dass sie beschützt werden.

Warst du schon mal in einer solchen Situation?
Corinna: Ich hatte mal einen Fall, da war der Auftraggeber auch Vorstandsmitglied eines Unternehmens und es lagen konkrete Bedrohungen vor. Der Vater selbst war im Ausland tätig, die Familie aber in Österreich. Die Drohungen wurden sehr konkret und dann musste ich handeln. Ich habe die Mutter mit den beiden Mädchen geschnappt und wir sind übers Wochenende in unser Safe House in die Berge gefahren. Zu den Kindern sagt man dann halt, dass man einen Ausflug mit der Nanny macht. Das muss man den Kindern so erklären, dass sie nicht in Panik verfallen. Das ist extrem wichtig. Wenn es den Kindern gut geht und die Mutter das merkt, geht es ihr auch gleich besser. Das macht sehr viel aus. In diesem Fall ist das Ganze gut ausgegangen und es ist nichts Schlimmes passiert. Da sind unser Safe House und die Option, dass man die Stadt verlässt, wenn wie in dem Fall in Wien eine konkrete Bedrohung gilt, schon praktisch. Das Haus liegt irgendwo in Österreich. Wo genau, können wir natürlich nicht sagen.

Ihr arbeitet auch mit GPS-Sendern, richtig?
Corinna: Da muss man zwischen zwei Dingen unterscheiden. Etwas älteren Kindern kann man schon sagen „Schau, wir sind eine besondere Familie. Den Knopf drückst du, wenn du Angst hast." In dem Fall gibt man den Kindern dann einen Notfallknopf mit, den sie selbstständig drücken und anhand des Signals können sie dann geortet werden. Viele der Kinder finden das dann sogar ganz spannend.
Franz: Das andere sind dann versteckte Sender zur Ortung. Da gibt man das Gerät zum Beispiel in den Teddy des Kindes, ohne dass das Kind was davon weiß. Wir wissen von der Täter- und Tatortanalyse von Geiselnahmen, dass diese persönlichen Gegenstände Kindern nicht weggenommen werden. Das heißt, der Teddy bleibt beim Kind, denn der Täter hat nichts davon, wenn er ihn wegnimmt. Das würde das Kind höchstens unruhig werden lassen. Der Täter nimmt hingegen Dinge wie das Handy weg. Deswegen empfehlen wir in solchen Fällen keine Handyortung.

Wie gehen Kinder damit um, wenn sie überwacht werden und davon wissen?
Corinna: Eigentlich ganz gut, ich nehme wahr, dass Kinder da recht flexibel sind. Ich habe noch kein Kind erlebt, das sich geweigert hätte oder total dagegen war. Die Mütter haben oftmals Probleme damit, jemandem ihr Kind anzuvertrauen. Für die ist das schon eine sehr emotionale Angelegenheit. Meistens merken sie dann aber, dass es nur zu ihrem Besten ist.
Franz: Wir erstellen auch immer von allen Familienmitgliedern und Personen im Umfeld ein Profil. Wir schauen uns an, wie wir mit allen am besten arbeiten können, um zum Ziel zu kommen und das Kind zu schützen. Man muss es schaffen, dass man die Familie nicht gegen sich hat. Trotzdem muss man die Balance halten: Man darf nicht zum Familienmitglied werden und muss sachlich bleiben.

Fällt dir das manchmal schwer? Bei Familien, mit denen du dich gut verstehst?
Corinna: Ja, das kann schon vorkommen. Als Security Nanny plaudert man auch viel, ist oft den ganzen Tag zusammen. Man bekommt einfach mit, was bei der Familie los ist und da muss ich mir schon oft ganz bewusst sagen, dass ich die Distanz wahren muss. Ich höre mir natürlich immer alle Sorgen an, ich muss mich aber raushalten. Ich muss meinen Beruf erledigen und darf nicht emotional werden. Ich kann mit einer Mutter fühlen, dass sie Angst vor ihrem Mann hat, darf aber selbst keine Angst vor ihm bekommen.

Warst du trotzdem schon in Situationen, die dir Angst gemacht haben?
Corinna: Nein. Wenn ich mich schon unsicher fühle, wie soll ich dann ein gutes Gefühl an die Schutzperson übertragen? Das lernt man einfach in der Ausbildung. Ich weiß, was ich kann und ich kann mich verteidigen.