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Popkultur

Als Comic-Helden gegen Nazis kämpften und Rassismus säten

'Take That, Adolf!' Wir haben mit Autor Mark Fertig über sein neues Buch und Comics als Kriegspropaganda gesprochen.
Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Fantagraphics

Vor George W. Bushs "Achse des Bösen" und Ronald Reagans "Reich des Bösen" hatten die USA es mit einem anderen, abstrakten Bösen zu tun: den Achsenmächten Deutschland, Japan und Italien. Nach dem Angriff der Japaner auf die Pazifikflotte in Pearl Harbor mobilisierte Uncle Sam seine Truppen und entsandte Soldaten nach Europa und in den Pazifik. Hitler, Hirohito und Mussolini mussten gestoppt werden.

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Der Zweite Weltkrieg war in seiner ganzen blutigen Grausamkeit auch ein integraler Bestandteil der Geburt des Superhelden-Comics, wie wir es heute kennen. Vor allem die Nazis, aber auch das Japanische Kaiserreich eigneten sich quasi perfekt für den Prototypen des Bösewichts – komplett mit eigenen Kostümen, Logos und Gräueltaten. Alles, was noch fehlte, war ein muskelbepackter Superheld, der ihnen ein paar Haken verpasste.


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Mark Fertig ist leidenschaftlicher Comicsammler mit einem Lehrstuhl in Kunst und Kunstgeschichte an der Susquehanna University in Pennsylvania. 2014 veröffentlichte er ein Buch mit einer Sammlung von Film-Noir-Postern und jetzt ist mit Take That, Adolf! eine Sammlung an Comic-Heften aus der Ära des Zweiten Weltkriegs erschienen.

Ich habe mit Mark über Rassismus, KKK-Nazis und 911 gesprochen.

VICE: Was hat dich auf dieses Thema gebracht? Deine allgemeine Faszination für Comics oder ein historisches Interesse am Zweiten Weltkrieg?
Mark Fertig: Es ist definitiv eine Mischung aus beidem. Mein ganzes Leben lang sammle ich schon Comics. Langsam nehmen sie zu viel Platz in meinem Haus ein, es ist schon fast peinlich. Ich bin Kunstdozent an der Uni und setze mich schon lange mit dem Zweiten Weltkrieg auseinander. Ich habe meine Studenten schon an verschiedene Orte in Europa gebracht, Friedhöfe, Kriegsschauplätze und solche Dinge besucht. Das hat immer schon zu meinen Interessen gehört und dieses Buch kombinierte beide Themen hervorragend miteinander. Ich habe mich allerdings sehr gewundert, dass bislang noch niemand so ein Buch gemacht hat. Der Krieg spielt eine sehr wichtige Rolle in der Comic-Geschichte.

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Bei der aktuellen Lage dürfte es nicht schwer gewesen sein, den Verlag von deiner Idee zu überzeugen.
Als ich die Idee für das Buch hatte, habe ich mir kaum Gedanken über dieses ganze Trump-Ding gemacht. Ich glaube nicht, dass wir ihn da überhaupt schon auf dem Schirm hatten. Für mich war das eine Art glücklicher Zufall, wenn du so willst. Wenn Menschen auf diese Zeit in unserer Geschichte blicken und dann Verbindungen zu diesem Trottel ziehen, dann habe ich kein Problem damit. Ich habe damals einfach einen Blog mit zehn oder fünfzehn Bildern zusammengestellt, das an Fantagraphics geschickt und die meinten nur: Mach!

Stammen die Cover alle aus deiner Privatsammlung oder musstest du danach suchen?
Nein, solche Comics habe ich nicht, die sind viel zu teuer. Die ganzen Cover in dem Buch zusammengenommen dürften mehrere Millionen Euro wert sein. In den späten 80ern oder frühen 90ern ist The Photo-Journal Guide to Comic Books erschienen. Das sind zwei dicke Bände voll mit winzigen Bildchen der gesamten Comic-Cover des sogenannten "Goldenen Zeitalters" – also den späten 1930ern bis etwa 1950. Ich bin die mit einer Lupe durchgegangen und habe versucht, so viele Kriegs-Cover mithilfe einer Liste zu identifizieren, wie ich konnte. Mit zusätzlicher Recherche habe ich die Liste dann vervollständigt. Als ich genug hatte, habe ich angefangen, die Bilder zu sammeln und das Buch zusammenzustellen.

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Hat sich die Ästhetik Nazideutschlands für Comics nicht geradezu angeboten? Ich kann mir vorstellen, dass damals eine Menge 12-Jährige Hakenkreuze gekritzelt haben.
Aus der Perspektive eines Grafikdesigners muss ich schon sagen, dass die Wirkung des Swastikas als sogenannte "Corporate Identity" sehr stark ist. Wenn wir uns zum Vergleich Logos wie das von IBM oder Apple anschauen, lässt sich das kaum verleugnen. Die Marke, die das Hakenkreuz als visuelles Symbol repräsentiert, ist sehr eindringlich. Comicbuchzeichner haben es damals definitiv überallhin gepackt, wo sie nur konnten. Ich hatte vorab eine Diskussion mit dem Verlag darüber, wie prominent die Hakenkreuze auf dem Cover sein sollten. Ich wollte ja nicht der Typ mit dem großen Swastikabuch sein, aber natürlich nehmen Menschen eher etwas in die Hand, wenn da Hakenkreuze drauf sind. Ich wollte ursprünglich auch einen anderen Titel nehmen, aber Fantagraphics hatten schon ein Buch mit einem ähnlichen Titel veröffentlicht. Sie sagten also: "Überleg mal, ob du eine Möglichkeit findest, Hitler im Titel unterzubringen. Studien haben gezeigt, dass sich Bücher mit Hitler im Titel besser verkaufen." Und so ist der Titel am Ende entstanden.

Britische Kriegscomics scheinen relativ akkurat gewesen zu sein. Sie basierten auf echten Schlachten und die Zeichnungen sind verhältnismäßig realistisch, wohingegen die amerikanischen fantasiereicher sind. Woher kommt dieser Unterschied?
Wenn man bedenkt, dass die amerikanischen Comics während der Kriegshandlungen entstanden sind und es nur begrenzte Informationen gab, ergibt das schon Sinn. Diese Idee, mit Comics als Propagandawerkzeug zum Sieg beizutragen, dürfte ebenfalls nicht ganz unschuldig daran sein. Aus etwa dem gleichen Grund hat die US-Regierung keine Fotos vom D-Day veröffentlicht und wollte nicht, dass tote Soldaten in Publikationen wie der Saturday Evening Post oder dem Life Magazine auftauchen. Außerdem dürfte die Comic-Branche nicht besonders interessiert daran gewesen sein, journalistische Standards zu erfüllen. In erster Linie werden sie ans Geld gedacht haben und als zweites an ihre Rolle als Propagandawerkzeug.

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Abgesehen von 911 war Pearl Harbor der einzige große Angriff auf amerikanischem Boden. Und die Menschen haben ihn immer noch nicht vergessen. Einige Bilder im Buch sind extrem rassistisch. Was sagt das über die amerikanische Psyche?
Das ist ein unschönes und sehr hässliches Thema, aber es ist definitiv wahr. In dem Buch zitiere ich eine Umfrage von damals, bei der eine erschreckend hohe Zahl Amerikaner sagte, dass jeder Japaner, jede Japanerin und jedes japanische Kind zum Kriegsende getötet werden sollte. Ich bin nicht alt genug, um das wahre Ausmaß der Gefühle zu Pearl Harbor zu verstehen. Ich war mir nicht bewusst, wie stark dieser Hass war, aber leider bin ich auch nicht wirklich verwundert.

Ich weiß nicht, ob Menschen heute noch so denken. Meiner Meinung nach haben wir auf vielen anderen Ebenen Scheiße gebaut. Wahrscheinlich werden jüngere Amerikaner kaum etwas dazu sagen können, außer dass sie davon gehört haben oder deswegen nachtragend sind. Es ist definitiv gerechtfertigt, an dieser Stelle 9/11 zu erwähnen – das ist schon ziemlich vergleichbar. Wenn du dir 9/11 anschaust und die Rechtfertigung für den Hass, den manche Amerikaner spüren, dann ist das Verhältnis zu Pearl Harbor und die Art, wie dieses in den Comics thematisiert wird und die Bildsprache von damals sehr deutlich.

Mir ist vor allem dieses KKK-Hakenkreuz-Dschungel-Cover von Suspense Comics aufgefallen. Das ist ja quasi ein Mischmasch aus verschiedensten faschistischen Themen.
An dem Cover verstehe ich vor allem nicht, was der Typ da eigentlich glaubt, mit dem Speer zu tun.

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Ja, was zur Hölle ist da los?
Da unten stehen diese KKK-Nazitypen mit Tommy Guns – ein Element klassischer amerikanischer Gangster ist also auch noch vertreten – und dieser Kerl greift sie mit einem Speer an. Viel Sinn ergibt das nicht. Das Cover stammt übrigens von Alex Schomburg – dem Cover-Künstler der Kriegsjahre schlechthin. In dem Buch gibt es mehr Arbeiten von ihm als von allen anderen Zeichnern. Man versuchte damals mit besonders schlüpfrigen Titeln, mehr Exemplare zu verkaufen. In diesem Fall dürfte das allerdings nach hinten losgegangen sein. Die Zeitungsverkäufer nahmen es aus dem Sortiment, bevor jemand es kaufen konnte. Comics, die es in die Hände von Schulkindern geschafft hatten, wurden dann von deren Eltern konfisziert und zerstört. Das hier ist ein berühmt-berüchtigter Comic. Es sind so viele davon zerstört worden, dass er heute sehr wertvoll ist. Jedes Mal, wenn eine Kopie zum Verkauf angeboten wird, sorgt das für Aufsehen in der Sammlerszene.

Mir ist aufgefallen, dass sich in den Bänden gar nicht mit den wirklich dunklen Elementen des Kriegs auseinandergesetzt wird – wie dem Holocaust. Ist dir etwas in der Art untergekommen?
Es gibt ein Cover von Captain America, das ziemlich eindeutig ist. Auf Ausgabe 46 sieht man Captain America und Bucky Barnes ins Bild stürmen. Im Hintergrund sind lauter verwahrlost aussehende Menschen aufgereiht, die alle ein rotes Etikett um den Hals tragen. Währenddessen schieben Nazis einen alten Mann auf einer Bahre in einen Ofen. Captain America und Bucky tauchen gerade rechtzeitig auf, um alles zu stoppen. Das ist allerdings das einzige Cover, das ich finden konnte, in dem mehr oder weniger direkt der Holocaust thematisiert wird – oder zumindest die Vorstellung eines Genozids.

Warum haben sie das denn vermieden?
Ich glaube, sie wussten einfach nichts davon. Als London unter dem Blitz – den deutschen Luftangriffen – litt, rümpften in Amerika alle die Nase über die wahllose Bombardierung der Zivilbevölkerung. Mit Fortschreiten des Krieges merkten die Amerikaner und die Briten allerdings, dass sie eine ähnliche Taktik fahren müssen, um den Krieg gewinnen zu können. Also haben wir Dresden und Tokio mit Brandbomben eingedeckt. Die Autoren haben mithilfe der Comics versucht, die amerikanische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass diese Art von Kriegsführung notwendig war, um die Alliierten zum Sieg zu führen.

Wenn wir zu diesem Zeitpunkt schon so viel über den Holocaust gewusst hätten wie in den Monaten nach Kriegsende, dann wäre das sehr wahrscheinlich dazu benutzt worden, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass ganz normale Deutsche – nicht nur die Nazis – für den Krieg verantwortlich waren. Damit wären solche Bombardierungen politisch und moralisch viel einfacher zu rechtfertig gewesen, um den Krieg zu gewinnen. Da das allerdings nicht passiert ist, bin ich mir ziemlich sicher, dass sie es einfach nicht wussten.

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